Senat baut auf barrierefrei

Im Behindertenbericht zählt der Senat Erfolge auf: Es gebe mehr Werkstattplätze, mehr U-Bahnhöfe mit Aufzügen, mehr Selbstbestimmung. Die Behindertenlobby übt Kritik

Es gibt immer zwei Sichtweisen. Der Senat findet seine Politik für behinderte Menschen innovativ. Petra Leuschner, Staatssekretärin in der Sozialverwaltung, zählte gestern Verbesserungen aus dem aktuellen Behindertenbericht auf: So sei zum Beispiel die Zahl der Werkstattplätze von 2003 bis 2006 um ein Drittel gestiegen. „Jeder, der einen Platz anfragt, bekommt ein Angebot.“ Stolz ist Leuschner auch auf ein Modellprojekt in Friedrichshain-Kreuzberg. Behinderte bekommen dort keine Sachmittel mehr, etwa einen Rollstuhl, sondern Geld ausgezahlt. „Unser wichtigstes Ziel ist, die Eigenverantwortung zu fördern.“

Dagegen äußerte der Berliner Behindertenbeauftragte Martin Marquard gestern Kritik. Viele Bezirke planten, aus Finanznot ambulante Pflegeleistungen für behinderte Menschen zu kürzen, so Marquard. Tausende Betroffene, die teils rund um die Uhr betreut werden müssten, litten unter „großen Ängsten“.

Viele Beschwerden gebe es auch über den neuen Betreiber des Behindertenfahrdienstes, so Marquard. Betroffene klagten über lange Wartezeiten, Verspätungen und eine überlastete Telefonhotline. Den Betrieb hat am 1. Juli die Wirtschaftsgenossenschaft Berliner Taxi-Besitzer übernommen. Staatssekretärin Leuschner räumt ein: „Der Übergang läuft nicht reibungslos.“ Laut Berliner Behindertenverband hat der Senat den Etat für den Dienst von zwölf auf sieben Millionen Euro im Jahr gekürzt.

Im Öffentlichen Nahverkehr müssen RollstuhlfahrerInnen oft große Umwege in Kauf nennen – doch BVG und S-Bahn bauen immer mehr Bahnhöfe behindertengerecht aus. Fast ein Drittel der U-Bahnhöfe verfügt inzwischen über Aufzüge, bei der S-Bahn sind es sogar gut 70 Prozent. Auf ebenfalls fast 70 Prozent der Buslinien fahren tags und nachts Busse mit ausklappbaren Rampen. Auch Leitsysteme für Blinde gehören bei Neubauten oder Renovierungen zum Standard. „Der neue Hauptbahnhof ist geradezu vorbildlich“, sagt Staatssekretärin Leuschner.

Jeder sechste Berliner ist nach dem Senatsbericht, der die Jahre 2003 bis 2006 betrachtet, behindert. Dies sind rund 540.000 Menschen. Seit 2003 stieg die Zahl um vier Prozent an. Leuschner führt dies vor allem auf die größere Lebenserwartung durch eine bessere medizinische Versorgung zurück. Das Land wendet rund 600 Millionen Euro jährlich für behinderte Menschen auf. ULRICH SCHULTE