Kehrseite der Arbeitsmarktzahlen

Die Jobcenter melden neue Stellen. Aber viele Interessenten finden nur Zeitarbeit oder machen sich selbstständig. Prognosen über „sichere Jobs“ können nach hinten losgehen

„Prognosen bekommen eine Eigendynamik und plötzlich gibt es zu viel Bewerber“

BERLIN taz ■Die Nachricht klingt gut: eine überraschend hohe Zahl an neuen offenen Stellen meldete die Bundesagentur für Arbeit für den Juli. Um 36 Prozent stieg die Zahl der gemeldeten Plätze im Vergleich zum Vorjahresmonat an. Geht es also aufwärts? Dazu muss man sich die Bewegung auf dem Jobmarkt genauer angucken, denn dort „wird ständig umstrukturiert“, sagt Wolfgang Biersack, Jobexperte am Institut für Arbeitsmarkt und Berufsforschung in Nürnberg.

Im Juli standen der Bundesagentur für Arbeit (BA) 836.000 Stellen zur Vermittlung zur Verfügung. Knapp 80 Prozent dieser Stellen zielten auf eine Beschäftigung am ersten Arbeitsmarkt, heißt es bei der BA. Doch „eins zu eins“ ließe sich das mit den Arbeitslosen nicht abgleichen, warnt Biersack. Denn zum einen wollten viele Arbeitgeber jüngere Bewerber als sie sich unter den Arbeitslosen fänden. Oft passe auch die Qualifikation nicht in das Unternehmen und regionale Bindungen hielten manche Arbeitslosen davon ab, sich einen Job weit der Heimat und Familie zu suchen.

Hinter der Beschäftigung stecken zudem Trends. So nimmt vor allem die Zeitarbeit zu. Die sozialversicherungspflichtige Beschäftigung bei den so genannten „unternehmensbezogenen Dienstleistungen“ stieg im Mai diesen Jahres – neuere Zahlen liegen nicht vor – um satte 5,4 Prozent. Zu dieser Art der Dienstleistungen gehört auch die Leih- oder Zeitarbeit. Dort sind Handwerker, IT-Leute oder andere Kräfte bei einer Zeitarbeitsfirma angestellt und werden etwa an Industriebetriebe verliehen. Dies zählt dann zu den „unternehmensbezogenen Dienstleistungen“ und nicht zum Industriesektor. Im Jahresdurchschnitt 2005 gab es 343.000 Mitarbeiter in der gewerblichen Zeitarbeit. Das sind 20 Prozent mehr als im Jahre 2001.

Der beachtliche Zuwachs bei den Zeitarbeitern speist sich nicht zuletzt aus dem Zufluss von Kräften aus Unternehmen, die ihr reguläres Personal abbauten. Mit dem Umweg über die Leiharbeit können die Unternehmen die Arbeitskosten drücken, denn Zeitarbeiter werden nicht nach dem Branchentarif des Entleihers bezahlt.

So verleiht beispielsweise das Zeitarbeitsunternehmen „Bankpower“, ein Joint Venture von Manpower und der Deutschen Bank, Fachkräfte zum günstigen Preis an Kreditinstitute. Viele ehemals bei einem Finanzinstitut tariflich beschäftigte Angestellte seien „jetzt als Zeitarbeitskräfte tätig“, erzählt Martin Mauracher, Sprecher des Deutschen Bankangestelltenverbandes. Nicht nur im Bankenwesen müssen sich viele der Entlassenen aber auch als Freiberufler verdingen – mitunter zum Billigpreis für den früheren Arbeitgeber.

Doch in welchen Branchen wächst denn nun die Beschäftigung? Laut den „Top Ten“ der BA vom Juli bieten vor allem Land- und Forstwirtschaft, Gastgewerbe, Bau, Einzelhandel, Gesundheits- und Sozialwesen, aber auch die Bereiche Erziehung und Unterricht offene Stellen an. Dieses Angebot sei „saisonal geprägt“, schränkt die BA ein.

Die Frage, welcher Bereich denn nun künftig besonders viel neue Jobs bietet, wird von den Experten jedenfalls sensibel gehandhabt. Mit Prognosen müsse man vorsichtig sein, meint Biersack. So galt noch vor wenigen Jahren der IT-Bereich grundsätzlich als zukunftsträchtig. Doch gerade bei den Datenverarbeitungsfachleuten wuchs die Arbeitslosigkeit von 1999 bis 2005 um fast das Dreifache auf 59.000 Leute. Gerade einfache Programmiertätigkeiten werden zunehmend wegrationalisiert oder ins Ausland vergeben, so Biersack.

Vor dem Ingenieurstudium wiederum wurde in der Vergangenheit gewarnt. Heute jedoch werden Ingenieure wieder von einigen Firmen händeringend gesucht – aber eben nur solche mit Spezialkenntnissen im Maschinenbau, die außerdem nicht zu alt sein sollen. „Prognosen entwickeln schnell eine Eigendynamik und plötzlich gibt es zu viel oder zu wenig Bewerber“, sagt Biersack, „deshalb sollte man sich damit zurückhalten.“

BARBARA DRIBBUSCH