Bald Palmen am Tegernsee

Die Alpen-Gletscher schmelzen immer schneller. Unter Führung von Bayern starten die Anrainerstaaten deshalb eine Initiative zur Anpassung an die Klimaerwärmung

MÜNCHEN taz ■ Ein wenig makaber war das Treffen gestern auf der Zugspitze: Bayerns Umweltminister Werner Schnappauf (CSU) versammelte zahlreiche Gletscherexperten, Geologen und Meteorologen auf dem höchsten Berg Deutschlands, um über die schmelzenden Gletscher zu diskutieren. Und gleich zu Beginn gab es eine traurige Prognose ohne jede Hoffnung: Das Eis auf der Zugspitze wird in 20 Jahren komplett verschwunden sein.

An jedem Sommertag verliert der 45 Hektar große Gletscher derzeit 10 Zentimeter oder anders ausgedrückt: 35 Millionen Liter Wasser. Das ist der tägliche Bedarf einer Großstadt mit einer Viertelmillion Einwohnern. Bayerns Umweltminister machte keinen Hehl daraus, dass dem Alpenraum in den nächsten Jahrzehnten noch Schlimmeres bevorsteht: „Unabhängig von den Ergebnissen der internationalen Klimaschutzanstrengungen wird es bis zum Ende des Jahrhunderts in Süddeutschland und besonders im Alpenraum immer wärmer.“ Von 4 Grad geht das Umweltministerium aus, die durchschnittliche Erwärmung weltweit sehen Experten bei 2,5 bis 3,5 Grad Celsius.

„Bis zum Jahr 2100 werden die Ostalpen gletscherfrei sein“, schätzt auch Stefan Witty, Gletscherexperte des Deutschen Alpenvereins. Das Department für Glaziologie der Universität Zürich kam kürzlich zu dem Ergebnis, dass die Alpengletscher 80 Prozent ihrer Fläche einbüßen, wenn die Sommertemperaturen um 3 Grad steigen. Die Auswirkungen wären gravierend: Die Dauerfrostgrenze steigt, Gebiete, die bislang vom ewigen Eis wie von Beton festgehalten wurden, verlieren den Halt. „Es wird mehr Hangrutsche geben, Muren und Hochwasser“, sagt Witty.

Erst vor zwei Wochen waren 400.000 Tonnen Felsen vom Eiger in der Schweiz abgebrochen. „Das muss man in diesem Zusammenhang sehen“, so Witty. „Das Schmelzen der Gletscher wird nicht nur in den Alpen spürbar sein“, sei seine Prognose. „Die alpinen Flüsse Rhone, Isar und Inn bekommen mittelfristig ein Problem.“ Diese Wasserläufe speisen sich aus den Gletschern – in wenigen Jahrzehnten werden sie im Hochsommer zu Rinnsalen verkommen.

Eine Lösung hat niemand, mancherorts werden Gletscher mit so genannten Geotextilien abgedeckt, mit viel Aufwand hat man etwa in Tirol gerade mal ein Tausendstel der Eisfläche zugepflastert. „Das Grundproblem kann man nur global angehen, indem man den CO2-Ausstoß verringert“, erklärt Witty. Selbst dann rechnen Klimaexperten, dass sich die Situation erst mit 30 Jahren Verzögerung bessert.

Schnappauf fordert deswegen eine Strategie „für nicht mehr vermeidbare Folgen des Klimawandels“. 15 Prozent „Klimazuschlag“ bekommen bayerische Hochwasserdeiche, die Katastrophenvorsorge wird sich international vernetzen. „ClimChAlp“ heißt das Projekt, an dem sich alle sieben Alpenstaaten unter bayerischer Führung beteiligen.

Es stehen aber nur magere 3,5 Millionen Euro bereit. Vielleicht sollte man sich also an Schnappaufs Positivismus halten: „Die Erwärmung bringt auch touristische Chancen“, glaubt der Bayer. „Wir werden Verhältnisse wie am Lago Maggiore mit Palmen und tropischen Gärten bei uns am Tegernsee haben.“ MAX HÄGLER

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