Seele auf kaltem Entzug

Der ungarische Film „Dealer“ zeichnet das Psychogramm eines emotional zerstörten Drogenhändlers – und beweist, dass Depression erstickend körperlich Film werden kann

Ein unter Verstopfung leidender Guru braucht Koks. Eine alleinerziehende Exgespielin Heroin. Der Mann, der am Strand nach einem Schatz gräbt, will Amphetamine. All diese Kunden beliefert der Dealer in Benedek Fliegaufs gleichnamigem Film auf seinem weißen Fahrrad. Wer jetzt an eine Sammlung lustig-skurriler Drogenanekdötchen denkt, der wird – so viel ist sicher – von diesem Film überrollt werden wie von einer Dampfwalze.

Als Hommage an diejenigen, „für die Depression nicht eine überwindbare pubertäre Phase ist, sondern ein schrecklicher Bewusstseinszustand“, beschreibt der 1974 geborene Regisseur seinen Film. Worte für den Hinterkopf – in seinen mehr als zweieinhalb Stunden erstellt „Dealer“ dann auch nichts weniger als das Psychogramm eines Menschen, dem jeder Lebenswille abhandengekommen ist.

Emotionslos verrichtet Fliegaufs namenloser Dealer seinen Job. Er spricht kaum, lässt die Dinge geschehen und ist sowieso blind für alles, was über seinen Broterwerb hinausgeht – selbst im Bett mit seiner Freundin ist er allein damit beschäftigt, seine Drogenpäckchen zu sortieren. Ob sein Unglück in dem unlösbaren Widerspruch wurzelt, dass er einerseits skrupellos am Leid anderer verdient, andererseits aber oft der letzte Halt ist für diejenigen, die sonst niemanden mehr haben – darauf gibt „Dealer“ keine Antwort.

Stattdessen sucht der Film einen Weg, die Wahrnehmungswelt dieses hochgradig depressiven Menschen für den Zuschauer nachvollziehbar zu machen. Um das zu erreichen, bedient er sich verschiedener realitätsverfremdender Techniken: Auf der akustischen Ebene entwickeln die durchs Effektgerät gejagten Geräusche – ob Vogelgezwitscher oder das Schnurren einer Katze – ein derart bedrohliches Eigenleben, dass man sich immer wieder an David Lynchs „Eraserhead“ erinnert fühlt. Dabei verbinden sich die Klänge zu immer unerträglicheren Kakofonien: Klingelnde Wecker und vibrierende Handys fräsen sich in die Gehirnwindungen des Zuschauers, der sich zunehmend fühlt wie ein Junkie auf kaltem Entzug.

Ein weiteres Mittel, mit dem der Film die Depression des Dealers fast körperlich auf den Zuschauer überträgt, ist die sich schier endlos dehnende Zeit. Schon die Anfangscredits laufen einen Tick zu langsam ab, jede Gesprächspause und jede einzelne Einstellung ist einfach nur – quälend lang. Auch die Kamera leistet dazu ihren Beitrag: Ständig umkreist sie die Figuren in endlosen Zirkeln. Diese Bewegung löst die serielle Abfolge der Szenen auf – jede Szene strudelt nur in sich, das Ganze fügt sich zum Abbild eines ohnmächtigen Gefühls der Wiederkehr des immer gleichen Schreckens. „Dealer“ ist ein schwer erträglicher, aber gerade deswegen sehenswerter Film. ANDREAS RESCH

„Dealer“. Regie: Benedek Fliegauf. Mit Felícián Keresztes, Barbara Thurzó, Anikó Szigeti u. a., Ungarn 2004, 160 Min., im Eiszeit-Kino