Ohne Waffenruhe keine Hilfe

Das größte Hindernis bei der Bekämpfung der Ölkatastrophe: Aufgrund der See- und Luftblockade ist Expertenteams der Zugang versperrt. Deshalb fehlen bislang die entscheidenden Informationen

BERLIN taz ■ Die Experten stehen in den Startlöchern, können aber noch nicht loslegen. „Wir müssen Rücksicht auf die Sicherheit unserer Leute nehmen“, sagt Karsten Petersen. Er leitet die Abteilung Schadstoffe bei der Sonderstelle des Bundes zur Bekämpfung von Meeresverschmutzungen in Cuxhaven (CCME). Petersen kennt sich aus mit Ölteppichen an Küsten und auf offener See. Er weiß, dass im Notfall schnelle Hilfe gebraucht wird. Inzwischen sind jedoch mehr als zwei Wochen vergangen, nachdem das Kraftwerk Dschije südlich von Beirut durch die israelische Luftwaffe beschossen wurde und so die Ölkatastrophe im östlichen Mittelmeer auslöste. Da Luft- und Seeweg durch die israelischen Angriffe blockiert sind, kommen die Helfer nicht zum Einsatzort.

Nach Angaben von Greenpeace droht eine der „schwersten ökologischen Katastrophen, die das Mittelmeer je gesehen hat“. Vor der libanesischen Küste gibt es ausgedehnte Fischlaichplätze, und der längst überfischte Rote Tunfisch lebt hier noch in größeren Beständen. Diese sind durch das krebserregende und erbgutverändernde Öl ebenso gefährdet wie die Karett- und Grüne Meeresschildkröte, die vom Aussterben bedroht sind. Ihre Eier sind an sandigen Küstenabschnitten vergraben, und die gerade frisch schlüpfenden Jungtiere können das Meer über den ölverschmierten Strand nicht erreichen.

Trotzdem plädiert CCME-Experte Petersen dafür, „die Ölverschmutzung im Libanon nicht so hoch zu hängen“. Es habe schon schwerwiegendere Unfälle gegeben. Das Besondere jetzt sei allerdings, dass die Helfer nicht in die verschmutzten Gewässer kämen: Auf dem Landweg müssten sie mit weiterem Beschuss rechnen, auf See blockieren israelische Schiffe die Zufahrt.

Dabei ist Hilfe von außen dringend notwendig. Der Libanon selbst ist nur auf Ölunfälle bis zu 50 Tonnen vorbereitet. Für mehr fehlen Know-how, Geräte – und Fachkräfte. Deshalb hat die Regierung die internationale Gemeinschaft um Hilfe gebeten. Kuwait hat bereits Spezialmaschinen geschickt, die jedoch in Beirut festhängen und wegen der anhaltenden Luftangriffe nicht eingesetzt werden können. Das UN-Umweltprogramm Unep hat sein gesamtes regionales Netzwerk aktiviert, um sich über Satellitenbilder und andere Daten ein Bild von der Lage machen zu können und mögliche Strategien zu entwickeln – aber auch das ist schwierig. „Man müsste ein Vorabkommando in die Region schicken, das die wichtigsten Informationen sammelt“, meint CCME-Experte Petersen. Und auch Unep-Chef Achim Steiner sagte: „Wir stehen bereit, alles zu tun, was wir können, sobald es möglich wird.“ Wann dies der Fall sein wird, ist nicht absehbar. „Wir brauchen einen Waffenstillstand“, fasst Greenpeace-Experte Jörg Feddern zusammen.

„Tatsächlich wissen wir bislang so gut wie nichts darüber, was die internationalen Helfer an der libanesischen Küste erwartet“, sagt Petersen. Es sei nicht einmal sicher, um welche Art Öl es sich handele: Um Schweröl wie bei dem Tanker „Erika“, der 1999 vor der Bretagne havarierte? Das wäre besonders dickflüssig, giftig und schwerer zu bekämpfen, da es klebt, leicht verklumpt und im Wasser absinkt. Oder handelt es sich um eine mittelschwere Sorte, wie man im Öl-Einsatzzentrum für den Mittelmeerraum (Rempec) auf Malta erkannt zu haben glaubt? Erst wenn die Spezialisten dies wissen, können sie entscheiden, wer wie gegen die Verschmutzung vorgehen soll. Hilfreich sein könnten dabei nicht nur Erfahrungen mit Tankerunglücken, sondern auch jene, die Kuwait im Golfkrieg 1991 mit kriegsbedingten Ölverschmutzungen gemacht hat.

Der Ölteppich an der Küste dürfte denn auch nicht das einzige Umweltproblem bleiben, das die Kämpfe im Libanon verursachen. „Wenn der Konflikt vorbei ist, müssen wir umgehend die Verschmutzungs-Hotspots in Flüssen, der Luft, dem Meer und an Land ausfindig machen“, erklärt Unep-Direktor Steiner. Schließlich seien Häfen und Fabriken zerstört worden, aus denen möglicherweise giftige Chemikalien in die Umwelt gelangen. Besonderes Augenmerk gilt der Trinkwasserversorgung. Die Gefahr ist groß, dass Frischwasser durch zerstörte Leitungen kontaminiert ist. BEATE WILLMS