Bio ist Masse und Klasse
: KOMMENTAR VON HANNA GERSMANN

Wohin das Auge auch reicht, machen sich Produkte mit dem „Bio“-Siegel breit: Aldi hat Ökokartoffeln, Meica macht Biowürstchen und Heinz verkauft Bioketchup. Und der Kunde fragt sich: Alles bio, alles gut?

So viel ist sicher: Die reine Ökolehre der kleinteiligen Strukturen hat ausgedient. In der Region wirtschaften, Jobs schaffen, Umwelt schonen? Das war gestern. Die neue Biogeneration macht große Geschäfte mit alten Methoden. Der Ökosupermarkt drapiert die Schokolade an der Kasse im unteren Fach, damit jedes Kind sie sieht. Er lässt Äpfel aus fernen Ländern ankarren, damit sie das ganze Jahr schön frisch sind. Wie umweltbelastend der lange Transport ist, spielt keine Rolle.

Dadurch wird Bio billiger. Und das hat auch sein Gutes: Endlich verliert „Bio“ die bornierte Exklusivität der Eingeweihten. Die Zeiten sind vorbei, in denen der Kunde mit jedem Einkauf eine ganze Weltanschauung in die Jutetasche packte. Heute können sich immer mehr Menschen das schmackhafte Biogemüse leisten. Doch es sind längst noch nicht genug. Der momentane Biorausch täuscht nämlich darüber hinweg, dass noch immer 95 Prozent der hiesigen Landwirte konventionell wirtschaften.

Das breite Industriebauerntum wird erst umsteigen, wenn das Gros der Käufer den Konsum konventioneller Ware verweigert. Das heißt: Aldi und Lidl sollten noch viel mehr Biowürstchen und Ökomüsli ordern. Eingefleischten Biogenießern mag sich bei manchen Discountprodukten der Magen umdrehen, halten sie doch nur die Mindeststandards der EU-Ökoverordnung ein. Doch selbst diese Ware wird mit mehr Arbeitskräften, mit weniger Dünger und Giften hergestellt als die konventionelle Konkurrenz.

Von romantischen Vorstellungen über das Biolandleben muss man sich dabei verabschieden. Nur mit einer grünen Wiese und ein paar glücklichen Kühen kann heute kein Ökobauer mehr überleben. Doch verkommen muss die Bioqualität deswegen noch lange nicht. Denn die einstigen Pioniere setzen schon wieder auf einen neuen Trend: Bio-deluxe-Läden mit Ökodelikatessen, Kosmetikberatung und Kinderecke. So bedeutet „Bio“ heute eben beides – Masse und Klasse.