AKW-Besitzer von Forsmark ungerührt

Nach dem Beinahe-GAU in einem schwedischen Reaktor sollen auch alle deutschen Anlagen überprüft werden, kündigt das Bundesumweltministerium an. Vattenfall, EnBW und Eon schließen solche Störfälle für die deutschen Kraftwerke aus

VON REINHARD WOLFF
UND BERNWARD JANZING

Betreiber von deutschen Atomkraftwerken halten einen Störfall wie im schwedischen Kraftwerk Forsmark in ihren Reaktoren für nicht möglich. „Das kann in der Form bei uns nicht passieren, das können wir ausschließen“, sagte Vattenfall-Sprecher Ivo Banek. Der schwedische Konzern ist mit 66 Prozent Hauptanteilseigner des Atomkraftwerks Forsmark, aber mit seiner deutschen Tochter auch an den Meilern Brunsbüttel, Krümmel und Brokdorf beteiligt. Auch Eon erklärte, ein solcher Vorfall könne in Deutschland „ausgeschlossen werden“, weil die elektrischen Versorgungseinrichtungen anders konstruiert seien. EnBW teilte mit, man nutze andere Komponenten als in Schweden. Zudem sei der Aufbau der Anlagen „grundlegend anders“.

Das Bundesumweltministerium hatte am Donnerstagabend eine Überprüfung der deutschen Reaktoren angekündigt. Schließlich sei der Vorfall in Forsmark ein „sicherheitstechnisch ernstes Ereignis“. Am Mittwoch vor einer Woche war dort ein Stromumwandler bei einem Kurzschluss ausgefallen. Dies hatte zur Folge, dass die zur Kühlung des Reaktors nötigen Notgeneratoren zum Teil nicht in Gang kamen. Auch die Kontrollmonitore fielen aus, so dass die Mannschaft in der Leitstelle mehr oder weniger blind agieren musste. Nach 23 Minuten gelang es ihnen, die ausgefallenen Generatoren per Hand zum Laufen zu bringen. Nach Einschätzung von Experten, wie dem Forsmark-Konstrukteur Lars-Olov Höglund, war es „reiner Zufall“, dass es nicht zur Kernschmelze kam.

Schweden hat mittlerweile nicht nur zwei Reaktoren in Forsmark, sondern auch zwei weitere in Oskarsham vom Netz genommen, weil auch dort ein ähnlicher Zwischenfall nicht auszuschließen sei. Unklar bleibt bislang, warum weder die AKW-Betreiber Vattenfall und Eon noch die Aufsichtsbehörde SKI etwas unternahmen, diesen Konstruktionsfehler zu beseitigen.

Denn die Schwachstelle war bekannt. Aufgrund von Störfällen in Deutschland und Belgien. Und auch Finnland, dessen AKW Olkiluoto schwedischer Konstruktion und weithin mit dem betreffenden Forsmark-Reaktor baugleich ist, hat sich des Problems rechtzeitig angenommen und eine andere Lösung gewählt.

„So ein Kurzschluss ist ja keine Seltenheit und passiert etwa einmal im Jahr, meist durch Blitzeinschlag“, begründet Juhani Hyvärinen, Abteilungsleiter für Kernkrafttechnik bei der staatlichen finnischen Strahlenschutzamt Säteilyturvakeskus (Stuk), die Maßnahme. Und er hält es für außerordentlich problematisch, wenn ein Kurzschluss Konsequenzen wie in Forsmark haben kann.

Die deutsche Vattenfall-Tochter zeigte sich unterdessen von der Sicherheit ihre Reaktoren überzeugt. Ein Vorfall wie in Forsmark sei ausgeschlossen, sagt Unternehmenssprecher Banek. Krümmel und Brunsbüttel hätten eine zusätzliche Absicherung gegen Stromausfälle. Banek betonte zudem, dass die Sicherheitsvorkehrungen in Forsmark funktioniert hätten. Denn zwei von vier Ersatzgeneratoren seien angesprungen und hätten die Stromversorgung gesichert.

Doch es war offenbar nicht nur ein problematisches Bauteil, das für den Beinahe-Unfall in Forsmark verantwortlich war. „Die Schaltlogik war nicht in Ordnung“, sagt Michael Sailer, Mitglied der Reaktorsicherheitskommission und Atomexperte des Öko-Instituts in Darmstadt, der taz. Das bedeutet, die gesamte Steuerung der Anlagen lief nicht korrekt ab, weil sie logische Fehler enthielt.

Und das gibt der Sicherheitstechnik etwas Unberechenbares. Denn das Wesen solcher logischen Fehler liegt darin, dass sie nur bei ganz bestimmten Betriebszuständen zutage treten, also jahrelang verborgen bleiben können. „Ein so komplexes System vollständig auf alle denkbaren Möglichkeiten durchzutesten, ist unmöglich“, sagt Sailer.

Folglich geht es jetzt auch in Deutschland nicht einfach darum, Typenschilder von Notstromaggregaten zu überprüfen, sondern die gesamte Steuerungstechnik aller Reaktoren zu hinterfragen. „Wenn sich zeigt, dass deutsche Anlagen die gleichen Probleme haben wie die schwedischen“, sagt Atomexperte Sailer, „dann wird man auch in Deutschland sofort abschalten müssen.“