Demokratie kommt per Post

Am 17. September stimmen die Berliner nicht nur über das Parlament ab. Sondern auch über einfachere Volksbegehren. Jetzt verschickt der Wahlleiter die Anleitung zur Verfassungsreform

VON MARLENE WOLF

Am 17. September wählen die BerlinerInnen nicht nur so banale Dinge wie das künftige Abgeordnetenhaus oder Bezirksverordnetenversammlungen. Sie entscheiden auch über mehr Demokratie. Denn zeitgleich mit der Parlamentswahl findet die Volksabstimmung über eine Verfassungsreform statt, die den BürgerInnen auf Landesebene einflussreichere Bürgerbegehren ermöglicht.

Neben den üblichen Wahlzetteln bekommen die BerlinerInnen am Wahlsonntag auch einen grauen Stimmzettel mit in die Wahlkabine. Auf ihm müssen sie die Frage beantworten, ob sie der Änderung „der Artikel 62 und 63 der Verfassung von Berlin“ zustimmen. Weil sich darunter niemand etwas vorstellen kann, verschickt der Landeswahlleiter bis zum 17. August zusammen mit der Wahlbenachrichtigung ein Informationsblatt. Diese Gebrauchsanleitung für mehr Bürgerrechte erklärt kurz, welcher Verfassungsartikel sich wie ändert – und was der Bürger davon hat. Die Basisdemokratie-Lobbyisten vom Verein Mehr Demokratie sind damit nicht zufrieden: „Die einseitige Kurzanleitung ist zu gedrängt, die Informationen sind zu verkürzt“, sagt Michael Efler. Sein Verein will ab Mitte August mit einer eigenen Kampagne über die Änderungen aufklären.

Bisher war in Berlin auf Landesebene kein einziger Volksentscheid erfolgreich, der auf ein Volksbegehren folgt. Noch im Jahr 2003 hatte der Senat ein Begehren zum Bankenskandal mit der Begründung abgelehnt, es handele sich um ein Haushaltsthema. Die Reform senkt die Hürden, etwa bei der nötigen Unterschriftensammlung, und erweitert die Themen – den Haushalt beeinträchtigende Initiativen sind künftig ausdrücklich erlaubt.

Walter Momper, Präsident des Abgeordnetenhauses, wertet die Neuerung als „Stärkung der bürgerschaftlichen Mitbestimmung“. Er hat das Informationsblatt des Landeswahlleiters auch unterschrieben. Von der Verfassungsänderung erwartet er, dass dadurch auch Politiker für „bestimmte Themen sensibilisiert“ werden.

Im Detail fällt die Erleichterung für engagierte BürgerInnen allerdings nur mäßig aus. Ein Beispiel: Um ein Volksbegehren zu beantragen, waren bisher 25.000 Unterschriften nötig. Die Zahl wird künftig auf 20.000 gesenkt. In der zweiten Stufe, dem Begehren selbst, mussten zuvor zehn Prozent der Wahlberechtigten unterzeichnen, nach der Änderung sind es nur noch sieben. Der Zeitraum für diese Sammlung wird von zwei auf vier Monate verlängert.

Mehr-Demokratie-Sprecher Efler nennt dies einen „mittelgroßen Schritt in die richtige Richtung“. Von der Verfassungsänderung verspricht er sich einiges: „Wir hoffen, dass direkte Demokratie in Berlin eine wesentlich größere Rolle spielt als in den letzten zehn Jahren.“ Doch sieht er die Reform mit gemischten Gefühlen. Die Hürden für eine Verfassungsänderung durch die Bürger seien inakzeptabel. „Sie sind so hoch, dass sie einem Verbot gleichkommen.“

Einfachere Volksbegehren auf Landesebene waren ein wichtiges Projekt der rot-roten Koalition. Erst im Sommer 2005 hatte sie in den Bezirken Bürgerbegehren per Gesetz ermöglicht. Seit Inkrafttreten sind 15 Initiativen zustande gekommen.