Die solidarische Sippe

Ronald Pofalla (CDU) schlägt vor, dass arbeitende Kinder ihre arbeitslosen Eltern unterstützen sollen. Er hat dafür herbe Kritik einstecken müssen. Warum eigentlich? Sein Vorschlag ist doch ganz nett

VON CHRISTIAN SEMLER

Herber Kritik sah sich Ronald Pofalla, Generalsekretär der CDU, am Wochenende ausgesetzt. Von Aberwitz war die Rede, gar von Schäbigkeit. Dabei hatte der als schäbig titulierte nur eine alte Bestimmung des Sozialhilferechts wieder in Kraft setzen wollen, wonach Kinder, so über genügend Zaster verfügend, für ihre armen, arbeitslosen Eltern einzustehen hätten. Er wollte doch nur eine Reform, wie sie auch anderweitig von der großen Koalition angepackt wird.

Pofallas Initiative hätte gleich mehrere Vorteile gebracht. Sie hätte dem Staat eine erkleckliche Summe erspart, die bis jetzt für die Zahlung von Arbeitslosengeld II draufgeht. Sie hätte ferner eine große Zahl von langzeitarbeitslosen Eltern aus dem Gesichtsfeld der Arbeitsvermittler geschafft und ihnen damit eine ebenso frustrierende wie ergebnisarme Arbeit erspart. Und sie hätte neue Arbeitsplätze bei der Vermittlung geschaffen, denn es hätte gegolten, die Kinder einer detaillierten Befragung zu unterziehen, ob sie eine Familie zu ernähren haben, ein Eigenheim abzahlen müssen, Doppelverdiener sind und vieles mehr – ein mindestens 16-seitiger Fragebogen, zu dessen Bearbeitung unbedingt neue Kräfte hätten eingestellt werden müssen.

Am Wichtigsten an Pofallas Initiative ist der erzieherische familienpolitische Effekt. Denn zu Zeiten des um sich greifenden Egoismus, dessen traurigste Folge sinkende Geburtenraten sind, kommt alles darauf an, Familiensinn zu wecken, die Familie wieder zum festen Anker der Familienmitglieder zu machen und zur Keimzelle des Staates. Dies zu erreichen, genügt nicht nur gutes Zureden. Zwar ist allseits eine Rehabilitierung der Familie in den Medien und im öffentlichen Bewusstsein anzutreffen und die einstmals beliebte Redensart von der Doppeldeutigkeit des Begriffs Familien-Bande wird heute als geschmacklos zurückgewiesen. Doch noch gibt es hartnäckige Gegenwehr und es bedarf handfester staatlicher Steuerungselemente. Beispielsweise wird eingewandt, die geplante Gesetzesänderung sehe gänzlich davon ab, wie die Kinder konkret zu ihren Eltern stehen und umgekehrt. Gerade hierauf kann es nicht ankommen. Denn die Familie ist eine objektive, durchs Blut gestiftete Schicksalsgemeinschaft – ganz so wie die Schicksalsgemeinschaft der Nation.

Um Pofallas Initiative gerecht zu würdigen, ist es unbedingt nötig, sie im Rahmen einer korrekten Fassung des Subsidiaritätsprinzips zu sehen, das leider infolge der Wühlarbeit sich Christen nennender Linker seiner eigentlichen Bedeutung entkleidet worden ist. Richtig verstandene Subsidiarität will den Sozialstaat beileibe nicht abschaffen, sondern ihn nur auf seine wesentlichen Funktionen zurückführen. Denn: „Die Familiennetze übernehmen zentrale Aufgaben der sozialen Absicherung vorrangig von staatlichen Sicherungssystemen und entlasten damit den Sozialstaat“ – wie es der Deutsche Familienverband/Landesverband NRW so treffend ausgedrückt hat.

Geht es nicht letztlich darum, unsere Eltern vor der Bevormundung und Entmündigung durch einen allumfassenden und allzuständigen Staat zu schützen? Lange Zeit wollte man uns weismachen, gerade die Anonymität des Sozialstaates, seine allgemein verbindlichen Regeln und sein Absehen von den Besonderheiten der Biografie verbürgten die Würde der Klientel. Jetzt soll wieder die Individualität der zu unterstützenden Eltern, die von den Nachkommen auf sie ausstrahlende Wärme, die Liebe und die Achtung der Alten samt ihren Schrullen und Besonderheiten zu bestimmenden Faktoren werden. Wer dies Abhängigkeit nennt, ist bar jeden Verständnisses menschlicher Beziehungen.

Wenn etwas an Pofallas Vorstoß zu kritisieren ist, dann seine mangelnde Reichweite. Wieso sollen eigentlich nur die Kinder für die Eltern einstehen und nicht auch deren Enkel und Großneffen? Warum auf halbem Wege stehen bleiben und nicht kraft Gesetzesänderung die glücklichen Zeiten der Großfamilie wieder aufleben lassen? Warum nicht die Solidargemeinschaft auf die Sippe ausweiten? Diente das nicht dem Ziel des gesellschaftlichen Zusammenhalts und würde es nicht den Sozialstaat weiter entlasten?