„Die Hilfe ist gut organisiert“

Aber wegen der zerstörten Straßen gehen im Südlibanon Nahrung und Medizin aus, sagt Martin Glasenapp von Medico International

taz: Herr Glasenapp, Sie sind zum Ende der dritten Kriegswoche im Libanon eingetroffen. Überall liest man, die humanitäre Krise spitze sich zu. Was sind Ihre Eindrücke?

Martin Glasenapp: Das Hauptproblem ist, dass Nahrungsmittel und medizinische Güter im umkämpften Grenzgebiet zu Israel zur Neige gehen. Südlich und östlich der Hafenstadt Tyrus lassen sich medizinische Notfälle kaum noch behandeln. Die lokalen Hilfsorganisationen und Gesundheitsinitiativen brauchen in der aktuellen Krise die Unterstützung der großen internationalen Hilfswerke, die mit ihren Konvois und Feldlazaretten aufgrund der zerstörten Brücken der Küstenstraße den Süden nur auf stundenlangen Umwegen durch das Schuf-Gebirge erreichen können. Aber auch das ist nur möglich, wenn es die Sicherheitslage erlaubt.

Wie hat sich die Arbeit Ihrer Partnerorganisationen im Vergleich zu Friedenszeiten verändert?

Unsere Partner in Beirut, in Tripoli, in Saida, in der Bekaa-Ebene, aber auch in den am heftigsten von der israelischen Offensive betroffenen südlibanesischen Gebieten haben ihre Arbeit komplett umgestellt. Niemand macht mehr das normale Programm. Alle konzentrieren sich auf Hilfsmaßnahmen vor allem im Süden, alle versuchen, den Flüchtlingen zu helfen und die Gesundheitsversorgung sicherzustellen.

Gerade in Krisenzeiten wird oft Kritik laut an mangelnder Koordinierung der vielen vielleicht wohlwollenden, aber schlecht organisierten Hilfsinitiativen. Trifft das im Libanon auch zu?

Mein Eindruck ist, dass angesichts der schwierigen Verhältnisse, die immer prekärer werden, je weiter man nach Süden kommt, die Hilfe vergleichsweise gut organisiert wird. Unsere Partnerorganisationen beispielsweise haben sich mit anderen libanesischen Nichtregierungsorganisationen (NGOs) zusammengeschlossen. In Saida koordinieren ein vom Bürgermeister geführtes Komitee und eine Plattform von NGOs die Verteilung der Flüchtlinge, die nach ihrer Ankunft in Schulen, in Privatunterkünften und Parks untergebracht werden. Es gibt überall eine sehr große Solidarität der Bevölkerung mit den Kriegsflüchtlingen. Natürlich gibt es auch Dopplungen in der Versorgung, aber das ist in einer Situation, wo 800.000 Libanesen ihre Häuser und Dörfer verlassen mussten, kaum zu verhindern. Dazu muss man wissen: Der Libanon verfügt über eine vitale Zivilgesellschaft. Es gibt viele erfahrene und professionell arbeitende NGOs, von denen nicht wenige die Bevölkerung schon während der israelischen Invasion in den 80er-Jahren versorgten.

Wie sieht die Lage in den palästinensischen Wohngebieten aus? 400.000 der 4 Millionen im Libanon Lebenden sind Palästinenser.

Seit der zweiten Kriegswoche haben die großen palästinensischen Lager in Tyrus, aber auch in Saida und Beirut, den aktuellen Kriegsvertriebenen Zuflucht gewährt. Das heißt, die 1948 aus Israel geflohenen Palästinenser und ihre Nachfahren nehmen jetzt libanesische Flüchtlinge aus dem Süden des Landes auf. Viele Libanesen sehen diese Lager zum ersten Mal von innen und freuen sich über die Solidarität, die ihnen entgegenschlägt.

Welche Auswirkungen hat der Konflikt im Gaza-Streifen auf die Situation im Libanon?

Als der Krieg im Libanon anfing, haben unsere Partner in Israel uns gebeten, in Europa Öffentlichkeit herzustellen für die sich zuspitzende Situation im Gaza-Streifen und deutlich zu machen, dass es auch dort tagtäglich neue Opfer gibt. Was wir in Beirut nun erleben, das Abwerfen von Flugblättern, auf denen die Bevölkerung zum Verlassen ihrer Wohnungen aufgefordert wird, findet im Gaza-Streifen schon einige Wochen länger in zugespitzter Form statt: Dort sind es nicht Flugblätter, sondern Lautsprecheransagen aus unbemannten Drohnen, die warnen, den Bewohnern blieben nur noch 15 Minuten Zeit, um ihre Häuser zu verlassen.

INTERVIEW: MARKUS BICKEL