Neue Deutsche Asozialität

Wenn die Generation Mobbing gegenüber ausländischen Arbeitskolleginnen den inneren Schweinewolf rauslässt

„Das Klima wird rauer“, sagen die Soziometeorologen. Was auch rassistischer meint. So wurde kürzlich eine tschechische Porzellanbemalerin nach 23 Dienstjahren in einer Berliner Geschirrfabrik Knall auf Fall entlassen – mit der Begründung: ihr fehle die nötige Qualifikation. Und in einem Ausbildungsinstitut entließ man eine tschechische Sekretärin, bloß weil dem neuen Vorstand ihr „Arbeitsstil“ nicht gefiel, begründet wurde dies mit 10,5 Fehlstunden seit 2005. Es handelte sich dabei um zwei Tage, an denen sie Migräne hatte und früher nach Hause gegangen war, um sich krankschreiben zu lassen. In Wirklichkeit stand dahinter das Drängen einer deutschen Kollegin.

Einer russischen Ingenieurin wurde so übel mitgespielt, dass sie nun nach 15 Jahren wieder zurück nach Moskau zieht. Vor allem jedoch ziehen die Russlanddeutschen hierzulande die Arschkarte bei der Jobsuche. Kürzlich forderte sie deswegen bereits der Gouverneur des sibirischen Oblasts Swerdlowsk während seines Deutschlandbesuchs auf, zurückzukommen – wenn sie es hier nicht mehr aushielten. Dort, in Jekaterinburg, seien sie jedenfalls hochwillkommen, es herrsche ein großer Kadermangel. 2007 will Putin sogar eine allrussische Rückhol-Initiative für alle im Ausland unglücklichen Sowjetbürger starten.

Dagegen hatte man der Moskauer Ingenieurin zuletzt einen ABM-Job als Pressesprecherin eines Kulturprojekts in Mitte gegeben. Die deutschen Kollegen dort setzten sie jedoch als Putz- und Klofrau ein, zudem schimpften sie in ihrer Hörweite ständig über die ganzen Ausländer, die den Leuten hier die Jobs wegnähmen. Vor einigen Monaten berichtete ich bereits über einen Stammtisch von vier Holländerinnen, die laufend Opfer dieser neuen deutschen Asozialität werden: Sie hatten Deutsche geheiratet, waren nach Westberlin gezogen, wo sie Kinder bekamen und sie großzogen. Drei hatten sich danach scheiden lassen, einer war der Mann gestorben.

Nun arbeiteten alle vier als Sekretärinnen in Büros – was ihnen jedoch von ihren deutschen Arbeitskolleginnen zunehmend vermiest wurde. Bei der einen, die in einem Krankenhaus arbeitete, war es die Eifersucht ihrer Abteilungsleiterin, die ein Verhältnis mit dem Chef hatte. Sie tat alles, um die Holländerin wegzumobben, die deswegen schon eine Mobbing-Beratungsstelle aufgesucht hatte. Bei der anderen Holländerin war es ähnlich, wobei ihre deutsche Kollegin schon regelrechte „Stasimethoden“ anwandte, indem sie ihren Vorgesetzten berichtete, was die Holländerin wieder falsch oder fehlerhaft gemacht hatte oder dass sie zu spät gekommen bzw. zu früh gegangen sei. Mittlerweile scheute die deutsche Kollegin nicht einmal davor zurück, den Papierkorb der Holländerin nach belastendem Material zu durchsuchen und sich sogar in deren Computer einzuloggen. Wenn die Vorgesetzten mal wieder eine Schlichtungssitzung einberaumten und die deutsche Kollegin dort über ihre letzten Auseinandersetzungen mit der Holländerin berichtete, tat sie dies unverschämterweise in einem nachäffenden Akzent.

Die dritte Holländerin arbeitete in einem Bezirksamt und hatte sich bereits zweimal versetzen lassen, um ihren mobbenden deutschen Kolleginnen zu entkommen. Und die vierte Holländerin? Arbeitete seit zwei Jahren in einem großen Architekturbüro und litt darunter, dass ihre Kolleginnen, mit denen sie täglich zum Essen ging, nach Möglichkeit ohne sie am Tisch Platz nahmen und auch sonst alles taten, um die Holländerin nicht in ihre Gespräche mit einzubeziehen. Sie verhielten sich so dermaßen „korrekt“ und blieben stets strikt „im Dienstlichen“, dass die Holländerin immer mal wieder auf die Toilette gehen musste, um sich auszuheulen. Manchmal kriegt sie schon eine Panikattacke, wenn sie abends nur an „ihr“ Büro denkt.

Gestern diskutierte ich im Advena darüber mit Fatih, der im Kotti-Quartiersbeirat mitarbeitet – und sich quasi laufend Gedanken über diesen neuen Hang zur Asozialität und Antisolidarität macht. Er ist selbst Opfer dieses Trends: Seine Firma, die alte Leute pflegt, kündigte ihm nach einer Rehamaßnahme wegen eines Bandscheibenvorfalls. Zwar gewann er den Arbeitsgerichtsprozess, arbeitslos ist er trotzdem. Fatih erzählte, dass auch in Kaufhäusern sowie in Altersheimen und Krankenhäusern das Mobbing epidemisch geworden sei, in Letzteren reagieren die Gemobbten sich an den Patienten ab. Er meinte, das alles sei Folge einer um sich greifenden „sozialen Verwahrlosung“. Eine Ursache dafür ist laut Fatih die Schwäche der Gewerkschaften. Ich nickte. Von einer alten IG-Metall-Sekretärin hatte ich erfahren, dass dort das „Klima“ ebenfalls extrem mies geworden sei: Man duze sich nicht mehr und feiere auch nicht mehr zusammen. Alle Kontakte würden sich formalisieren, jeder sei vor mobbenden Kollegen auf der Hut. So etwas hätte es früher nicht gegeben – vor dem Fall der Berliner Mauer. Die anscheinend so etwas wie eine tragende Wand gewesen ist.

HELMUT HÖGE