SPD betreibt Denkmalpflege

Die Genossen setzen im Wahlkampf voll auf Spitzenkandidat Wowereit. Sie liegen in Umfragen weit vor der CDU. Aber die SPD hat ein Problem: Sie ist zu siegesgewiss – und davor fürchtet sie sich

von ULRICH SCHULTE

Wahlkampf kann manchmal absurd sein. Als der SPD-Abgeordnete Christian Gaebler jüngst in den Nachrichtenagenturen die Überschrift „Rot-Rot ohne Mehrheit“ las, ärgerte er sich nicht etwa über die verlorenen Prozentpunkte. Im Gegenteil. „Ich finde ganz gut, dass sich alle Zeitungen dankbar darauf gestürzt haben.“ Denn Gaebler, als parlamentarischer Geschäftsführer der Strippenzieher der SPD-Fraktion, weiß: Wer zu siegesgewiss ist, kämpft nicht.

Dieser Gedanke treibt im Moment viele führende Sozialdemokraten um. Halten die SPD-Mitglieder und -wählerInnen die Wahl schon für gewonnen? Muss die SPD nur noch vor sich selbst Angst haben? Ihr Spitzenkandidat Klaus Wowereit führt in sämtlichen Beliebtheitsskalen konkurrenzlos, die SPD liegt in den Umfragen 10 Prozentpunkte vor der CDU, die wichtigste Konkurrentin zieht mit meist unbekannten Gesichtern in den Wahlkampf (Text unten).

Es gibt Anzeichen für eine allzu lässige Einstellung. Ein Abgeordneter findet die Mobilisierung der Parteimitglieder in diesem Wahlkampf schwierig wie nie: „Die Notwendigkeit der Haushaltssanierung haben alle akzeptiert. Jenseits dessen fehlen allen Parteien Themen, mit denen sie punkten könnten.“ Ein SPD-Wahlkämpfer aus Friedrichshain-Kreuzberg berichtet, dass sich erst in letzter Minute genug Genossen für den Plakatklebedienst fanden.

Solche Details werden das Wahlergebnis kaum beeinflussen. Aber auch in der SPD-Wählerschaft macht sich eine schläfrige „Ist doch eh schon gelaufen“-Haltung breit. Mark Rackles, der Sprecher der Berliner Linken und damit des einflussreichsten parteiinternen Netzwerks, beobachtet „eine gewisse Lethargie“ bei der SPD-Klientel. „Wir müssen aufpassen, dass diese Stimmung nicht einreißt.“ Schlimmer noch für die SPD: Die Wähler könnten die ihnen genehmste Koalition wählen – also nicht bei der SPD, sondern bei PDS oder Grünen ihr Kreuz machen.

Solchen Überlegungen beugt Wowereit vor. Geschickt hält er beide Partner in spe in der Waage, flirtet mal mit diesen, dann mit jenen. Und meidet jede Festlegung wie die Linkspartei Privatisierungen. In einem Interview mit einem Nachrichtenmagazin ließ er gar durchblicken, nicht ganz ausgelastet zu sein. Nach dem 17. September werde er „sicher auch mehr Kapazitäten“ haben, sich „bundespolitisch stärker zu artikulieren“.

Und seine Partei tut alles, um Wowereit auf ein Podest zu hieven. Der wichtigste Punkt im Wahlprogramm lautet: konsequente Denkmalpflege. Die Parteizentrale hat den Ortsvereinen genau vorgeschrieben, in welchem Verhältnis Plakate mit dem Gesicht des Stargenossen hängen müssen.

Egal, mit welchem Sozialdemokraten man in diesen Tagen spricht – niemand lässt sich auch nur die leiseste Kritik an dem Personenkult entlocken. „Da hat keiner ein Problem mit. Wowereit ist unser Kapital“, fasst Rackles zusammen. Personalisierte Wahlkämpfe haben in der SPD schon Tradition: In den Bundestagswahlkämpfen 2002 und 2005 baute sie Gerhard Schröder zur Marke aus.

Die Schwäche der Opposition ist im Moment – neben Wowereits Beliebtheit – der stärkste Trumpf der SPD. Auch der Union fehlen polarisierende Themen im Land. Als ein Häftling durchs Klofenster entwischte, versuchte sie, eine sicherheitspolitische Debatte loszutreten – und die Justizsenatorin abzuschießen. Beides verpuffte. „Bisher geht die CDU nach der Strategie vor: Lieber ein schlechtes Image als gar kein Image“, sagt der Politologe Gero Neugebauer. Wowereit, sonst total offen, sagt knapp: „Mit dieser Berliner CDU ist keine Regierungskoalition möglich.“

Die thematische Langeweile auf Landesebene hat einen weiteren Effekt: Die BerlinerInnen könnten die Abgeordnetenhauswahl zu einer Mini-Bundeswahl umfunktionieren. „Die Menschen werden an den Ständen nach Bundesthemen fragen – von der Gesundheitsreform bis zu Steuerpolitik“, sagt Neugebauer. „Und da hilft Wowereit auch nicht weiter.“

Die CDU bekommt den Trend schon jetzt zu spüren – in Form der aktuellen Profildebatte ihrer Bundespartei. CDU-Spitzenkandidat Friedbert Pflüger beklagt sich über „Gegenwind“. Bei der Vorstellung seines Wahlkampfteams sagte er gestern, man habe in den vergangenen Wochen schwer unter dem Bundestrend gelitten. Immerhin: Jetzt leidet Pflüger nicht mehr allein.