Dreimal Deutschland

An ihnen haben sich in den vergangenen Jahren die großen Deutschland-Kontroversen im Pop entzündet: Nun haben Jan Delay, Fler und Mia neue Alben gemacht. Vier Wochen nach dem Ende der WM – eine Deutschlandreise in drei Platten

VON TOBIAS RAPP

Von Hamburg aus ist wahrscheinlich alles einfacher. Nicht dass die lässige Selbstverständlichkeit, mit der Popkultur hier links kodiert ist, vom Himmel geregnet wäre. Das mag manchmal so ausschauen, aber sie ist hart erkämpft, teuer ertrunken, endlos ausdiskutiert. Und die Umstände, unter denen diese Selbstverständlichkeit immer wieder aufs Neue hergestellt wird, können auch etwas Unangenehmes haben – wer es in Hamburg zu etwas bringen will, der muss vor strengen Autoritäten bestehen, eine anspruchsvolle Schule durchlaufen.

Das ist seit Jahren so. Und auch wenn die verschiedenen Spielarten des Hamburger Pop in letzter Zeit ein wenig verschwunden waren hinter all diesen Produkten Berliner Aufgeregtheiten – in den vergangenen Monaten spielte die Musik wieder hier: sei es bei den Goldenen Zitronen und ihrem Album „Lenin“, sei es bei Blumfeld und ihren „Verbotenen Früchten“. Oder eben hier: bei Jan Delay und seinem Album „Mercedes Dance“, einer Funkplatte für Freunde des erweiterten Funkbegriffs.

Entspannungspolitik

Es sind grundunterschiedliche Platten: musikalisch wie stilistisch, sie sind aber von einer ähnlichen Haltung getragen. Nennen wir es mal: Sicherheit im Urteil über den Ort, von dem aus man spricht. Das ist immer gut, vor allem, wenn man etwas zum Thema Deutschland zu sagen hat. Darum geht es nämlich auf „Mercedes Dance“ (Buback/Universal). Nicht nur, aber auch. „Kartoffel“ heißt das betreffende Stück. Und es ist ein Liebeslied, wenn man so will. Obwohl es ganz anders anfängt.

Wir erinnern uns: Jan Delay alias Jan Eißfeld. Die nölige Stimme der Absoluten Beginner, der smartesten und erfolgreichsten Band der Hamburger Hiphop-Szene. Vor fünf Jahren begann er seine Solokarriere mit der Reggaeplatte „Searching For The Jan Soul Rebels“, die nicht nur musikalisch äußerst gelungen war – die Art und Weise, wie sie Publikumsbeschimpfung („Ich möchte nicht, dass ihr meine Lieder singt“), Verarbeitung des deutschen Terrorismus der Siebziger („Söhne Stammheims“) und Polit-Dadaismus („www.hitler.de“) verband, war durchdacht, in Maßen militant, aber mit fast allen Spielarten linker Politik kompatibel. Deutschland war hier kein Ort, mit dem sich irgendwie identifiziert werden konnte.

Und nun „Kartoffel“. Eigentlich beginnt es als Schmähgesang. Es handle sich um „ödes Gemüse“, habe „keinen Geschmack“, sei eine bittere Pille. Weiter geht es mit all den Vorurteilen, die deutsche Hipster gemeinhin mit Deutschland verbinden, die Nationenschelte als Stilkritik: „Geht’s um Entertainment bei unserem Kleingewächs / sag ich ‚Bonjour Tristesse‘, und zwar im vollen Effekt / Wir haben andere Hobbys, andere Vorlieben / Regeln vorschreiben oder auch Riegel vorschieben / Wir scheißen auf Mucker, wollen lieber Bausparen / darum haben andere Bob Marley, und wir haben Klaus Lage / keinen Miles Davis, nicht mal einen Frank Sinatra / Warum sind hier alle so modebewusst wie Taxifahrer?“ Alles wie gehabt also, und auch der arme Klaus Lage und sein Gewerkschafterblues kriegt noch einen mit, als hätte sein Publikum mit dem Strukturwandel nicht schon genug zu tun.

Doch im Refrain gibt Delay seinem Stück eine erstaunliche Wendung: Er schaut nämlich in den Spiegel. „Aber wenn das, was ich grad gelabert hab, die Wahrheit ist / wieso kannst du dann verdammt noch mal so cool sein, wie du bist?“ Und er dreht das Bild weiter: Als Kartoffel „da sollte man in ’ner Stadt leben / weil hier die Zutaten sind, die einem Geschmack geben / ja hier in Hamburg, zwischen Sam und Tocotronic / krieg ich gar nicht so viel mit von 70 Jahren Grobmotorik“. Um dann zum Abschluss zu kommen: „Wir können wetten: In 20 Jahren mach ich dir aus Bielefeld Manhatten“.

Ja, das Bild hat seine Schwächen. Ist das nicht eine Naturalisierung des Sozialen, könnte man einwenden? Sind die Türken nun der Kümmel, der die Kartoffeln würzt, auf dass alles nicht mehr so schrecklich ist? Sehen so die United Colours of Eimsbüttel aus?

Doch darum geht es nicht. Denn Aussagen entstehen über Kontexte. Besonders im Pop. Und was dieses Lied so besonders und überzeugend macht, ist die Haltung. Jenseits aller Anrufungen des Nationalen, über die Deutschland im deutschsprachigen Pop sonst immer verhandelt wird, beschreibt Jan Delay einen Ort, der sich wandelt. Mit ihm als Akteur in der Mitte. Das mag nicht viel sein. Doch nach all den Debatten, die in den vergangenen Jahren rund um dieses Thema aufgezogen worden sind, ist das eine ganze Menge. Ob Jan Delay relaxen kann, in Deutschland? Das dürfte die falsche Frage sein. Er ist relaxt. So lange der Kontext stimmt.

Strategie der Spannung

Diese Entspannungspolitik unterscheidet Jan Delay grundsätzlich von dem Berliner Rapper Fler – einem großen Freund der popkulturellen Strategie der Spannung.

Wir erinnern uns: Letztes Jahr zum 1. Mai war es, dass Fler sein Album „Neue Deutsche Welle“ herausbrachte, ein brillant konzipiertes Tabubruch-Konzeptalbum. Als „deutscher Rapper“ positionierte er sich, „Schwarz-rot-gold, hart und stolz“ waren die gerne zitierten Kernzeilen, und auch sonst wurde an nichts gespart, um die deutschen Besorgtheitsreflexe anzutriggern, hier erhebe ein gewalttätiger Nationalismus das Haupt. Der Adler war sein Symbol, seinen Namen schrieb er in Frakturlettern, und Gerüchte, zu seinen Konzerten würden rechte Hooligans gehen, dementierte er nicht. Allerdings sei sein Deutschtum vor allem Zuschreibung von außen, betonte er in Interviews: Wer in Berlin-Schöneberg mit deutscher Herkunft zwischen einer Mehrheit arabisch- und türkischstämmigen Kids aufwachse, dem bleibe keine Chance, als sich über die Nation zu definieren.

Hätte Fler ein klein wenig mehr Fantasie und wären Subtilitäten ein klein wenig mehr sein Ding, er hätte sich wahrscheinlich eine Menge Ärger ersparen können – um genau diesen Ärger ging es ihm allerdings. Tatsächlich ist Jan Delay mit seiner Kartoffel-Identität ja gar nicht so weit weg von Flers Deutschtum. Die Unterschiede sind fein, wenn auch entscheidend: Delay benutzt die alte Subkulturstrategie der Schimpfwort-Aneignung (die von „schwul“ über „nigga“ bis „bitch“ schon oft funktioniert hat), um seinen identitären Ort als durchlässig und heterogen zu kennzeichnen.

Das kann Fler nicht. Ja, für sein neues Album „Trendsetter“ (Aggro Berlin/Groove Attack) hätte er deutschlandmäßig noch mal so richtig auf die Pauke hauen, noch offensiver mit rechten Symbolen hantieren können. Das hätte ihn jedoch für den Rest seiner Karriere auf eine Rolle festgelegt, aus der es jenseits einer Eskalationslogik kein Entkommen mehr gegeben hätte. So rudert er zurück, hat den Adler als Symbol aufgegeben und sein Deutschsein ist gar kein Thema mehr. Stattdessen zeichnet er ein in seiner inhaltlichen Enge einigermaßen trauriges Bild des Lebens in der Männerhölle des kleinkriminellen Unterschichtendaseins im Neoliberalismus. Ein großes Ellbogendrama des ziellosen Kampfes um den Weg zu Geld und Anerkennung, das immer flackert zwischen dem Bedürfnis, das zu bleiben, was man ist, nämlich Gangster und real. Und dem Willen, diesen Zwängen zu entkommen.

Aufstand der Anständigen

Sie kann einem fast ein wenig leidtun, die Berliner Band Mia. Bis ans Ende ihrer Tage dürften sie mit dem Vorwurf assoziiert werden, der nationalistischen Normalisierung Deutschlands in die Hände zu spielen.

Wir erinnern uns: „Was es ist“ hieß das Stück, das erboste Antifaschisten Eier auf die Band werfen ließ – was in Anbetracht der politischen Harmlosigkeit dieses Deutschland-Liebesliedchens erstaunlich war. Es dürfte viel mit enttäuschter Liebe zu tun gehabt haben und der Erkenntnis, dass das Konzept der Pop-Antifa natürliche Grenzen hat. Man kann Pop benutzen, um in die Mehrheitsgesellschaft hineinzustrahlen – je populärer sie werden, desto weniger lassen sich diese Zeichen (und ihre Träger) aber kontrollieren. Dieses Missverständnis mussten Mia ausbaden.

Und für „Zirkus“ (Sony), ihr neues Album, ziehen sie die Konsequenzen: Bloß keine Politik mehr in der Musik. Stattdessen linke Allgemeinplätze in Interviews (siehe etwa taz vom 9. 8. 06) und Popsongs, die einfach nur noch Songs sein wollen. Menschen lieben sich, Boote gehen unter, Moleküle tanzen. Die Neo-New-Wave-Ästhetik ist durch einen Akkordeon- und Kontrabass-Sound ergänzt, der laut „Kinder und Narren sagen die Wahrheit“ ruft. Aber kein Gefühl möchte mehr mit einem Argument verwechselt werden.