Absurde Thesen

betr.: „Fallstrick Recherche“, taz vom 4. 8. 06

In dem Beitrag auf der Medienseite unterstellt der Autor Matthias Holland-Letz dem Vorsitzenden der Journalistenvereinigung Netzwerk Recherche, Thomas Leif, er habe in seinem Buch über Lobbyismus auf eine kritische Analyse der Bertelsmann-Stiftung verzichtet, weil er selbst mit dieser Stiftung zusammenarbeite. Als Beleg wird darauf verwiesen, dass das Netzwerk Recherche beim Ringen um ein Informationsfreiheitsgesetz mit der Bertelsmann-Stiftung kooperiert habe. Außerdem habe Leif einen Recherche-Workshop bei der RTL-Journalistenschule abgehalten. Der Artikel offenbart zunächst ein merkwürdiges Rechercheverständnis: Plötzlich muss jemand begründen, warum er etwas nicht getan hat, in diesem Fall also, sich nicht mit der Bertelsmann-Stiftung befasst hat. Dann wird in einem zweiten Schritt nach allen nur möglichen Verbindungen gesucht, und seien sie noch so konstruiert. Diese Methode hat nicht nur etwas Verschwörungstheoretisches, sie erinnert fatal an die Strategie, „guilt by association“ herzustellen: Jemand ist verdächtig, weil er mit anderen Verdächtigen an einem Projekt mitgearbeitet oder auch nur in einem Raum gesessen hat.

Für das Netzwerk Recherche betreibe ich seit seiner Gründung die Arbeit zum Informationsfreiheitsgesetz. Deshalb an dieser Stelle Aufklärung, warum wir mit der Bertelsmann-Stiftung hier punktuell zusammengearbeitet haben: Netzwerk Recherche hat bei diesem Projekt von Anfang an mit anderen Akteuren kooperiert, die das gleiche Ziel verfolgten, darunter der Deutsche Journalistenverband, die Deutsche Journalistinnen- und Journalisten-Union in Ver.di, Transparency International und die Humanistische Union. Die Bertelsmann-Stiftung hat sich auch für das Reformvorhaben stark gemacht und die öffentliche Debatte befruchtet, unter anderem mit der vom Autor zitierten internationalen Konferenz in Berlin.

Man muss die Bertelsmann-Stiftung nicht mögen. Aber im Unterschied zu den Aktivitäten der Initiative Soziale Marktwirtschaft, die in dem Buch von Thomas Leif untersucht wird, tritt dieser Akteur offen auf und legt mit seinen Projektberichten Anregungen für die öffentliche Debatte vor, zu denen sich jeder eine eigene Meinung bilden kann. Zum Informationsfreiheitsgesetz haben die Gütersloher eine lesenswerte Studie präsentiert, durch die deutlich geworden ist, dass sich Deutschland mit seinem Festhalten am obrigkeitsstaatlichen „Amtsgeheimnis“ international völlig isoliert hatte. Soll man dem als Journalistenorganisation etwa widersprechen, nur weil diese Feststellung von der Bertelsmann-Stiftung getroffen wurde? Wäre es nicht gelungen, ein breites gesellschaftliches Bündnis für das Akteneinsichtsrecht in Deutschland zusammenzubringen, hätten wir diese Reform bis heute nicht. Aus der punktuellen Zusammenarbeit den Beleg für ein Abhängigkeitsverhältnis zu kreieren, ist äußerst gewagt – um es milde auszudrücken.

Netzwerk Recherche sieht ein zentrales Arbeitsfeld in der Verbesserung der Recherche-Ausbildung. Wenn der Vorsitzende zur Verfolgung dieses Ziels Recherche-Trainings durchführt und Vorträge hält, kann man dieses ehrenamtliche Engagement doch nicht ernsthaft kritisieren. Thomas Leif hat in den vergangenen Jahren bei fast allen Journalistenschulen referiert. Da kann es nicht wirklich überraschen, dass dazu auch die RTL-Journalistenschule zählt, die wiederum zum Bertelsmann-Konzern gehört.

Wenn eine falsche Hypothese mit absurden Thesen begründet werden soll, kommen dabei sehr leicht Verschwörungstheorien heraus. Mit Recherche hat das dann allerdings nichts zu tun.

MANFRED REDELFS, Netzwerk Recherche, Hamburg

Anmerkung der Red.: Sollte mit dem oben genannten Artikel der Eindruck entstanden sein, Thomas Leif wäre nicht unabhängig von der Gütersloher Bertelsmann-Stiftung, so bedauern wir das. Der geäußerte Verdacht, die Stiftung wäre in Leifs Buch nicht erwähnt worden, weil es im Bertelsmann Verlag gedruckt wurde, ist durch den Artikel nicht belegt.