In Rüschen und Korsagen

Wie Jonathan Meese und Martin Wuttke an Nietzsche denken und spazieren gehen. Eine Performance im Ungefähren, aufgeführt im brandenburgischen Neuhardenberg

Der Park, die gestaltete Natur, sie bleibt das stärkste Element in der Performance „Zarathustra – Die Gestalten sind unterwegs“, die Martin Wuttke und Jonathan Meese im Park von Schloss Neuhardenberg aufführen. Im Park zu verschwinden und die Kunst, das Theater und das Publikum leichtfüßig hinter sich zu lassen, das gelingt dem Schauspieler und dem Künstler am besten an diesem Abend, zu dem die Zuschauer bereitwillig aus Berlin ins 60 km entfernte Neuhardenberg gekommen ist. Nun sitzt man da, auf weißen Gartenstühlen um einen Teich, und schaut, wie sich die beiden in den Schatten der Bäume verlieren. So fängt die Vorstellung an und so endet sie 90 Minuten später. Möglicherweise hat man dann noch einen der letzten Sätze im Ohr: „Und wir sahen uns an und blickten auf die grüne Wiese, über welche eben der kühle Abend lief, und weinten miteinander.“ Ja, ja, so ist das.

„Zarathustra“ steht rot auf den Plakaten, „Nietzsche, Meese, Wuttke“ ist in schwarzen Buchstaben darunter gemalt, drei Komplizen eines Spiels. Man erwartet Großes und Formen Sprengendes, nicht nur weil Wuttke, der zur Volksbühne Berlin gehört, schon dreimal im Sommer aufregendes Theater in Neuhardenberg inszeniert hat. Sondern mehr noch, weil Nietzsche und Meese so gut zu einander zu passen scheinen: Begegnung auf einer Augenhöhe von Maßlosigkeit. Der Ältere, der Philosoph, litt unter Angst vor dem Misserfolg und baute aus einer Sprache, die sich an sich selbst berauscht und kein Gegenüber mehr braucht, ein Werk, von dem sich immer noch nicht sagen lässt, ob seine Monumentalität, sein Sinn, sein Wahnsinn oder seine Poesie das entscheidende sind. Der Jüngere, der Künstler, leidet eher unter seinem Erfolg, und wäre ganz froh, man hätte mit seinem Werk die gleichen Probleme wie mit Nietzsche.

Doch es kommt anders, als man denkt. In Interviews vor der Premiere haben die Künstler zwar ein wenig den orakelnden Ton des Propheten Zarathustra aufgegriffen und das Ende ihrer Künste prophezeit; doch vor Ort ist ihre Umsetzung zierlich, gesittet und ein bisschen langweilig. Vor allem die Kleider, die vielen Rüschen, Röcke und Korsagen, mit denen sie ihre Männerkörper verwandeln, scheinen es ihnen angetan zu haben und das Vergnügen, zu fühlen, wie schwere Schleppen im Gras streifen und wie schwierig sich ein Kahn damit besteigen lässt, ist groß.

Aus Zarathustra, der in die Einsamkeit des Gebirges ging und dort mit der Sonne, den Tieren, seiner Seele oder seinem Leben Gespräche führt, wird in den lautsprecherverstärkten Textpassagen im übrigen ein „es“, ein „Rosenmeesli“. Holztiere, von Meese gebastelt, bemalt und auf Räder montiert, folgen ihm wie die Ziegen der Ziegenhirtin. Die Tiere sind Teil einer stetig sich wandelnden Installation, zu der auch Kreuzformen und vor allem viele Schilder gehören, die von Wuttke, Meese und einer Schar Schilderträger hin- und herdrapiert werden. Die Form sieht aus nach Agitprop, die Parolen eher nach Scham für die große Geste. „Kalte Muschelsuppe mit 1000 Soleiern“, das prangt am Schloss.

Tja, und Nietzsche? Man versteht zu wenig, erstens akustisch, und zweitens sowieso. Nur manchmal unterstützt, was geschieht, das Zuhören und Verstehen des Textes. Meese und Wuttke sind über den Teich gepaddelt, liegen unter der Weide im Gras, und man hört, wie das „Rosenmeesli“ unter einem Baum schlafend seine Seele betrachtet. Der Text steigt immer tiefer in die Selbstbeobachtung, erzeugt Wirbel, Schleifen und Schwindel um etwas, das immer ungreifbarer wird, je mehr man davon erfährt. Das ist der Moment, in dem die Poesie des Textes und die Poesie der Inszenierung sich durchdringen und zwei, drei Atemstöße lang ohne Angst vor dem Pathos und ohne Albernheit auskommen. Davon hätte man mehr gebraucht.

Aber sonst: Buchstabensuppe. „Wie in einer riesigen Buchstabensuppe fließt eins ins andere“, hört man mal am Anfang, und so ist das dann auch mit Nietzsche-Passagen und Wortkaskaden, die ohne Grammatik Begriffe aufeinandertürmen, lautmalerisch und assoziativ verbunden, ein Akt der Einverleibung von allem. So gehen Konturen verloren, und Auflösung ist in allem. Wahrscheinlich ist das den Künstlern gerade nicht unlieb, die nichts so fürchten wie feste Formen, feste Formen sind Tod und Erstarrung. Sie aber wollen ins Unbekannte. Falls sie da waren, mitgenommen haben sie uns nicht.

KATRIN BETTINA MÜLLER