Endlich Frau König

Martina König war einmal ein Mann. Seit fünf Jahren ist sie eine Frau. Sie liebt Frauen, schon immer, und möchte mit einer leben

von THOMAS FEIX (TEXT)und ANJA WEBER (FOTOS)

Frau König weiß, was die Wörter joder und follar heißen, die sie mit Bleistift auf einen Zettel geschrieben hat. Aber sie sagt es nicht. Dolores hat sie ihr gestern durchs Telefon diktiert, damit sie nachsieht, was sie bedeuten. Du meine Güte, sagt sie bloß, tippt sie in den Übersetzer und hält das Display hin. „Ficken“. Dolores, die Mondäne, Bisexuelle, die in Maspalomes auf Gran Canaria einen Kramladen besitzt. Die eifersüchtig ist auf Beatrice, die kleine, kraushaarige Kellnerin aus dem Maspalomas Princess, weil die gern ein Mann wäre und verrückt ist nach Frau Königs Verwandlung und den Reizen, die sie bietet.

Frau König lässt sich aufs Sofa fallen, den Hintern spitz, die Arme vorgestreckt, uff. Das Haar ist rotblond gefärbt. Hinten ist es ein kurzer Pferdeschwanz. Auf dem Gesicht hat sie eine Abdeckcreme, und die Kinnlade entlang ist zu viel davon da. Sie sagt: „Sie haben sicher einen Presseausweis oder so was.“ Sie war bei der Berliner Justiz, bevor sie 1997 in den Vorruhestand ging, mit 56.

Seit dreißig Jahren wohnt sie in Charlottenburg, in einem Haus mit neun Mietparteien. Der Blick vom Balkon geht rüber auf einen Spielplatz mit viel Grün. Dreißig Jahre lang dieselbe Straße, dasselbe Haus, dieselben Nachbarn. Und immer mit der Mutter zusammen. Die beiden jüngeren Brüder waren schnell aus dem Haus, der Vater ging nach der Scheidung vor 29 Jahren. Die Kindheit, die Pubertät, das Erwachsensein, die Verwandlung, und immer war die Mutter mit dabei, bis sie 2003 starb. Ist das normal? „Es war bequem“, sagt Frau König.

Bequem sind das bunte Stoffsofa, auf dem sie sitzt, und die vielen weichen Kissen, der Couchtisch davor hat die richtige Höhe. Frau König hat eine Flasche Wasser hingestellt, dazu zwei Gläser. Auf den beiden Kunststoffplatzdeckchen sind Palmen zu sehen, ein Sonnenuntergang und die Aufschrift Gran Canaria. Sie gießt ein und bemerkt den Blick. „Gran Canaria ist meine Heimat“, sagt sie. Die Wahlheimat. Sie sucht jetzt auf dem Faltblatt eines Weinhändlers, der gerade spanische Aktionswoche hat, und sagt, in Spanien können Männer Männer heiraten und Frauen Frauen, das findet sie gut. Sie entdeckt einen Wein, der ihr behagt, einen Rioja, er ist ihr zu teuer, vier Euro der halbe Liter, sie muss sparen, die Gerichts- und Anwaltskosten fressen die Pension. Und dann die Pediküre, die Maniküre, die Enthaarungssitzungen. Die Botoxspritzen. Der Friseur. Sie klappt das Blatt zu.

Die Tabletten haben ihren Alkoholgeschmack verändert. Von Bier zu mildem Wein. Die Tabletten, Androcur, entwickelt, um den Trieb bei Sexualstraftätern zu dämpfen. Dann Estrifam, weibliche Hormone pur. Sie nimmt sie täglich, sie muss sie wahrscheinlich für immer nehmen. Ihre Stimme und ihr Kehlkopf gefallen ihr, aber nicht die Haare, die sie immer noch im Gesicht hat. Die Tabletten haben ihr zwanzig Jahre geschenkt, sie fühlt den Drang zu Jüngeren. Sie hat den Hormonspiegel einer 45-Jährigen, hat der Gynäkologe neulich gesagt. „Ich weiß nicht, wie Sie das sehen“, sagt sie, und ihr Blick wird treuherzig. „Alle meinen, ich sehe wie um die 50 aus. Nein?“ Doch, sie wirkt jünger. Zehn Jahre mindestens. Sie ist charmant, warmherzig, witzig und direkt. Sie ist wunderbar. So wünschte sich mancher – ob man ihr das sagen dürfte? – die eigene Mutter.

Frau König spricht von der Harmonisierung ihres Charakters durch die Hormone. Hell fühlt sie sich und sauber. Wie nach einer Enthaarungssitzung. Was sie früher aufregte, regt sie nun nicht mehr auf. „Als Mann war ich wie in einem Ballon gefangen.“ Dann die ARD-Sendung, Ende 1998, über einen ehemals transsexuellen Mann, einen Mann, der jetzt eine Frau war, froh und zufrieden. Die Sendung half Frau König, den Ballon zu durchstoßen. Sie rekapitulierte, analysierte. Wollte ihren Zustand verstehen, wollte nicht untergehen. Sie fuhr in den Grunewald, viele Abende, lief umher, stundenlang, es war bitterkalt, und die Mutter lag zu Hause im Bett und ahnte nichts. Sie hatte immer gesagt, Jürgen, Junge, such dir endlich eine Frau.

Es ging nicht mehr. Frau König hatte sich verkleidet, jahrelang, wenn die Mutter Mittagsschlaf hielt. Für zwei Stunden war sie eine Frau, bis die Mutter erwachte. Die Röcke und Schuhe, die Blusen und Strümpfe, die Schminke und den Schmuck hatte sie in ihrem Schrank versteckt, den Schlüssel in der Tasche. Sie war auf der Straße unterwegs, im Kleid, frühmorgens, im Dunkeln, und einmal auch am Tage, nassgeschwitzt vor Angst, ausgelacht zu werden oder Nachbarn zu begegnen. Es ging nicht mehr. Ich fühle mich als Frau und möchte als eine leben. Ich weiß, was ich machen muss, es gibt Ärzte, Kliniken, Vereine. Frau König hatte sich die Worte genau zurechtgelegt. Über sieben Jahre ist das her.

Sie wollte mit der Mutter reden, noch bevor sie die erste Dosis nahm. Sie saß auf dem Sofa, mit Schminke und Schmuck. Die Mutter rannte aus dem Zimmer. Weinte und schwieg, drei Tage lang. Am Morgen des vierten Tages sagte sie, komm, Martina, aufstehen, Kaffee trinken, und dann räum dein Zimmer auf, du bist doch jetzt eine Frau. Dann begann die Mutter zu erzählen. Von der Menstruation und vom ersten Mal, sie hatte nur einen einzigen Mann, Frau Königs Vater, es zog sich hin, bis die beiden so weit waren mit dem Sex. „Als ihrem Sohn Jürgen hätte sie mir das nie erzählt.“

Bald danach zeigte sich die Mutter nackt, sagte, schau her, lass dir den Busen nicht zu groß machen, sonst sieht er nachher so aus wie bei mir. Von da an umarmten und küssten sie sich täglich. Der Frieden hielt bis zum Schluss, mehr als vier Jahre lang. Es war ein fantastisches Erlebnis, sagt Frau König, meine Mutter war eine fantastische Frau, weitherzig und hellwach, obwohl sie altmodisch war, sie wäre dieses Jahr 99 geworden.

Die ersten Tabletten, ein halbes Milligramm Androcur, ein Milligramm Estrifam, 6. März 1999, 18 Uhr. Frau König war wie im Rausch. Sie dachte, jetzt ist es so weit, jetzt bin ich eine Frau, die Brust- und Bauchbehaarung, die Beine, es ging ihr nicht schnell genug. Sie sah in den Spiegel, immer wieder. Außer dem Gesicht, das sie kannte, sah sie nichts. Sie befühlte ihre Brust und fühlte nichts. Nach einem halben Jahr kam sie, zu langsam, zu wenig, die Brustwarzen hingen. Noch ein Jahr, dann erst kam sie richtig. Später holte Frau König die Schreibmaschine aus der Anbauwand, vor der ersten Operation, und fing zu schreiben an. „Ich möchte mich Ihnen einfach mal vorstellen. Mich transparent zeigen.“ Im April 2001 war das. Sie schrieb, wie sie sich fühlt, „so ein bisschen als Monster“, wegen der „männlichen Teile da unten“. Schrieb, wie lange es gedauert hatte, bis sie sagte: „Ich bin transsexuell.“ Eineinhalb Seiten, viele Kopien. Bestimmt für jeden, der es lesen wollte. Die Nachbarn, die es lasen, sagten so, so. Weiter sagten sie nichts.

Jetzt hat Frau König Körbchengröße C, sie wollte sie haben. Ein Drittel ist Estrifam, der Rest Silikon, 326 Gramm jede Seite. Die Brustwarzen stehen. Der Po, sagt sie, der Po ist nie gekommen, leider, warum nur, aber was kann ich tun? Sie blickt auf ihre Füße, dreht dann die Hände vor den Augen hin und her. Immer hat sie der Versuchung widerstanden, sich zusätzlich Hormone zu besorgen. Wenn du zu viel auf einmal nimmst, sagt sie, läuft der Penis ein, er reicht dann nicht mehr als Rohstoff für Scheide, Klitoris und Schamlippen. Der Arzt nimmt dann Ersatz. Aus mit Gefühlen und Orgasmus. Das Gute an den Tabletten ist, sagt sie, dass man abnimmt und die Muskeln schrumpfen. Früher hatte sie einen Bierbauch, eine richtige Plauze. Jetzt ist er weg. Bei einssiebzig Körpergröße wiegt sie 63 Kilo. Darauf ist sie stolz. Muskeln sind ihr dasselbe wie ein Penis. Sie schaut auf den rechten Arm, macht das Ellenbogengelenk krumm. Der Bizeps schwillt an. Verflucht, sagt sie.

Sie bietet Salat an. Aus einem Asia-Geschäft, sauren Salat. Mit Sojasprossen, Karotten, Paprika und Pilzen drin, gut für die Linie, möchten Sie? Sie neigt den Kopf. Und Baguette dazu, hm?

„Früher, als ich ein Mann war, war ich Frauenhasser“, sagt Frau König und beobachtet, wie es wirkt. „Ich war neidisch auf Frauen, auf das Vollkommene, das sie für mich verkörpern. Ich wollte so sein wie sie, Hüfte, Taille, Po. Ich wollte eine Frau sein.“ Jetzt ist sie eine, und das Verflixte ist, die Art ist geblieben, wie sie früher über Frauen dachte. Sie begehrt sie, sie will sie haben.

Wenn sie eine sieht, die ihr gefällt, mustert sie das Dreieck zwischen den Beinen und fragt sich, ist sie rasiert? Hat sie große Brüste oder kleine? Transsexualität ist eine Krankheit, sagt die Medizin, und heilbar durch eine Operation. Ich bin ein Mann, sagt Frau König, ich bin eine Frau, ich weiß nicht, was ich bin. Sie hat eine Geliebte gehabt, bis vor drei Jahren, dreißig Jahre jünger. Es hielt nicht lange. Frau König saß in Untersuchungshaft, stand vor Gericht, im letzten April, und wurde verurteilt, ein halbes Jahr Gefängnis auf Bewährung. Stalking lautete der Tatbestand, sie habe nicht anerkennen wollen, dass es zu Ende war. Stalking, sagt Frau König, ich weiß nicht, was das ist, ich mag diese amerikanischen Wörter nicht.

Sie legt eine Urkunde auf den Tisch, ausgestellt vom Standesamt Berlin-Mitte auf den Namen Martina König: „Mit Wirkung vom 11. Dezember 2001 wurde festgestellt, dass das Kind als dem weiblichen Geschlecht zugehörig anzusehen ist.“ Da hatte sie die wichtigsten Operationen hinter sich. Der Penis war aufgeschnitten, ausgeschält, nach innen verlegt. Klitoris und Schamlippen waren geformt. Nur das Silikon in der Brust fehlte noch.

Dann ein Foto, auf dem ein weißblonder Junge in einem Anzug dasitzt, mit eingeschnappter Miene und einer Schultüte auf dem Schoß. „Das bin ich bei der Einschulung, 1947“, sagt sie und schiebt das Foto in die Schachtel zurück. „Ich hätte lieber das Kleid von der Uschi angehabt, daher der Blick.“ Der Junge trug die Wäsche der Mutter, wenn er allein daheim war. Er tat es so lange, bis er sich vom ersten Lehrlingslohn eigene Damenwäsche kaufen konnte.

Frau König nimmt ein anderes Bild heraus, darauf ein Mann in jungen Jahren. Schmallippig, zierlich, dünne Schenkel. Eingeschnappte Miene. „Richtig“, sagt sie. „Das bin ich auch.“ Das war die Zeit, als sie sich zwei Apfelsinen in den BH steckte und den Penis mit Pflaster nach hinten klebte. Sie wollte ihn nicht sehen, nicht anfassen, nicht spüren, dass er da ist. Zum Pinkeln hockte oder setzte sie sich hin. Dann ein Farbbild, eine junge Frau. Schlank, flachsblond, hohe Wangenknochen, die Augen dominieren das Gesicht. Eine zeitlose Schönheit. „Wie Romy Schneider“, sagt Frau König. Eine Nichte, eine Nachbarin, ein Patenkind? „Vivian“, sagt Frau König, „die Ex“, und macht eine verzweifelte Gebärde.

Fünfzehn Monate sind sie zusammen gewesen, am 28. September 2003 war Schluss. Frau Königs erster Gedanke damals war: Ich bringe sie um. Erst sie, dann mich. Sie fuhr in ihrem Wagen vor Vivians Wohnhaus auf und ab. Hupte, pfiff, rief, schnalzte mit der Zunge. Machte es viele Male, über Wochen und Monate hinweg. Klebte eine Fotokopie in DIN A3 ans Heckfenster ihres Wagens, mit dem Gesicht von Vivian drauf und der Unterzeile: Das ist die Frau, die ich liebe. Tauchte in dem Kosmetiksalon auf, in dem Vivian arbeitete. Dann die Anzeige, die Untersuchungshaft, der Prozess. Jetzt will Frau König bloß noch über die Zeit reden, in der sie zusammen waren.

Mit Vivian fing das Frausein richtig an. Die Mimik, die Gestik, das Permanent-Make-up. Das Stöbern in den Damenboutiquen. Gemeinsam gingen sie zum Botoxspritzen. Über und an der Nasenwurzel, die Kerben sollten weg. Frau König zeigt es an der Stirn, drückt mit Daumen und Finger die Haut zusammen, hier und hier und hier, sehen Sie, es werden immer mehr. Es war Vivians Idee und Frau Königs Geld. Frau König zahlte alles. Die Abendessen beim Italiener. Die Nächte im Annabell’s, einer feinen Diskothek. Der Sekt floss, ein Schluck, ein Kuss, so ging das. Die Auslandsurlaube, die waren auch Vivians Idee, und Frau König zahlte alles: Vivians Schulden, Vivians Kleider, Vivians Fettabsaugen, Vivians Telefonrechnungen, die Arztkosten für Chico, Vivians Hund. Am Ende waren es 20.000 Euro, alles für Vivian.

Als das Konto leer war und Frau König ein Viertel der Summe von Vivian wiederhaben wollte, kam es zum Bruch. Sie versteht das nicht. Sie findet, ein Streit ist dazu da, dass man nachher miteinander redet, und nicht, dass man sich für immer hasst, nicht wahr? Sie schenkte Vivian immer Blumen. Rosa und weiß, Vivians Lieblingsfarben. Rosa Rosen und weiße Orchideen. Sie wollte mit Vivian reden, sich mit ihr hinsetzen und reden, daher das Auf-und-ab-Fahren vor ihrer Wohnung, das große Foto. Vivian rief die Polizei.

Frau König holt Vivians Briefe hervor. Eine sorgfältig ausgemalte Schrift mit viel Kringeln: „Lass dir von mir gesagt sein, dass du ein ganz besonderer Mensch bist. Ich will auf ewig mit dir zusammensein.“ Glauben Sie, sagt Frau König, dass sich jemand so verstellen kann? Glauben Sie, sie hat mich nur benutzt? Das Farbfoto liegt auf dem Tisch, Vivians aufgespritzte Lippen sind zu sehen.

Ich war ihr Spielzeug, sagt Frau König. War ihre Mutter, ihre große Schwester, ihre Freundin. Ihr Vater. Ihr Geliebter. Frau König will so sein, wie Frauen sich einen Mann wünschen: großzügig, liebenswürdig, tolerant. Und zupackend, wenn es um praktische Fragen geht. In Vivians Wohnung reparierte sie alles, was zu reparieren war. Ich hatte Spaß daran, sagt sie, ich bin gelernter Maurer und war sogar Polier, bevor ich Justizvollzugsbeamter wurde.

Sie will die Frauen begreifen, will wissen, wie sie sind. Auch deshalb ist sie eine geworden. „Frauen werden nie sagen, warum sie etwas tun. So viel habe ich begriffen.“ Das erste Mal Sex ging von Vivian aus. Vivian kniete sich einfach vor sie hin und danach immer wieder, und obwohl Frau König jetzt eine Frau war, war es Sex zwischen einem Mann und einer Frau. Die Mutter und Vivian, sie konnten sich nicht ausstehen. Vivian kam zum Kaffee, brachte selbst gebackenen Kuchen mit. Die Mutter fand, der Kuchen ist nicht gut. Vorsicht, Martina, sagte sie, diese Frau ist auf ältere Männer scharf, weil die ihr hörig sind. So wie du in ihren Augen ein älterer Mann bist und ihr hörig. Die Mutter ist wegen Vivian gestorben, Frau König ist davon überzeugt.

„Vivians Anwältin hat gesagt, dass ich gefährlich bin, weil ich früher ein Mann war. Und unanständig, weil ich jetzt als Frau Frauen liebe. Finden Sie auch, dass ich gefährlich und unanständig bin?“ Frau König ist Vater. Sie hat eine Tochter, 1996 geboren. Hat sie zusammen mit einer Frau, die die einzige ist, mit der Frau König als Mann verkehrte. Das Mädchen lebt bei dieser Frau, und Frau König findet den Gedanken schön, dass es sagen kann, mein Vater ist eine meiner Mütter.

Frau Königs Frauen. Die erste war Schwedin. Frau König war 19, ein Mann, der sich als Mädchen fühlt. Sie trafen sich auf der Fähre, die über den Öresund fuhr. Sie küssten sich, Frau König empfand nichts, obwohl sie etwas empfinden wollte. Sie seufzt. Es ist lange her. Bald fünfzig Jahre. „Ab da war dann nichts mehr mit Frauen bei mir, absolut nichts.“ 1996 hatte Frau König zum ersten Mal Sex in ihrem Leben. Mit Birgitta, der Mutter ihrer Tochter, zwanzig Jahre jünger. Frau König war glücklich, ein Kind gezeugt zu haben. Nie wieder Frauenkleider, dachte sie. Nie wieder diese Wellenbewegung, die sie in sich gespürt hatte. Mal Mann, mal Frau, ruhelos, ohne Phasen des Gleichgewichts. Eine Katastrophe, und die Welle als Frau war immer sehr stark und sehr lang gewesen. Nach anderthalb Jahren kam er erneut, der Schub zur Frau, wie Frau König es nennt. Kam von irgendwoher. War diesmal wie eine Mauer, die plötzlich dasteht, unüberwindbar, jenseits der Mann, der Frau König bis dahin war. Es tut mir leid, Birgitta, sagte sie, ich bin kein Mann. Dann die Trennung, die Hormone, die Operationen. Birgitta akzeptierte es nicht, akzeptiert es bis heute nicht: Für mich bist und bleibst du Jürgen. Schenkte Frau König einen Doppelpenis, 518 Euro teuer. Damit, sagte Birgitta, bist du ein Mann, ein Mann und eine Frau, gleichzeitig. Auf den Penis möchte Frau König nicht mehr verzichten.

Dann kam Dietmar. Bei ihm, dem Autohändler, kaufte Frau König fünfzehn Jahre lang ihre Autos, immer VW. Sie waren Kumpel, und dann, Ende 2001, nachdem Frau König eine Frau geworden war, verbrachten sie viele Nächte miteinander. Es passierte deshalb, weil Dietmars Frau gestorben war und weil die Mutter ihn mochte und gesagt hatte, los, Martina, nimm ihn, das ist der Richtige für dich. Es war das einzige Mal, dass Frau König mit einem Mann zusammen war. Sie hat Dietmar aber auch nicht als Mann gesehen, im streng sexuellen Sinne. Er war ihr Vertrauter, und sie dachte, so wird es gehen. Eine Lebensgemeinschaft, sie als Frau, er als Mann. Es ging so lange, bis die nächste Frau kam. Doris, eine Dänin, kurz vor Vivian.

„Ich hatte mal zehn Perücken, blond, brünett, rot, grau meliert. Vorbei.“ Frau König hat eine Bluse an, Rock, Strickjacke, flache Pumps und eine Kette um den Hals. Ob die Mutter so ausgesehen hat? Ein Foto von ihr steht in der Vitrine der Anbauwand. Eine kleine Frau in einem Popelinemantel, ein hartes, kantiges, verwittertes Gesicht mit hellen, glanzlosen Augen und einem fest geschlossenen Mund.

Die Zeit mit Dietmar. Frau König fühlte sich als Frau, die einen Mann hat. Dann die Zeit mit Doris, der Dänin. Frau König fühlte sich als Frau, die Frauen begehrt. Doris, Ende 20, blond, blauäugig. 2002 war das, in Frau Königs Urlaubsort in Dänemark. Frau König kannte Doris schon, da war sie, Frau König, noch ein Mann. „Gerade mal Guten Tag, mehr nicht. Doris hatte genug von Männern.“ Drei, vier schlechte Erfahrungen, das war’s. Erst als Frau König eine Frau war, kamen sie ins Gespräch. Zieh dich schön an, lud Doris Frau König zum Abendessen ein. Frau König blieb über Nacht. Sie sagt, Doris hat ihr was in den Wein getan, ihr war ganz blümerant.

„Natürlich wusste sie, dass ich ein Mann gewesen war, und ich wusste, dass ich nach wie vor nur Frauen will. Mit Dietmar war sofort Schluss.“ Aber Doris war auf einmal auf und davon. Mit einem Mann.

Frau König schmiegt sich an das Rückenpolster des Sofas, je zwei Kissen links und rechts und eins im Kreuz, sie hat Depressionen, sie muss oft weinen, sie möchte wissen, wieso. „In Vivian habe ich mich als Mann verliebt. Auf einmal wäre ich gern wieder ein Mann gewesen, komisch, nicht? Aber als Mann hätte ich sie nie gekriegt. Es war gerade die Verwandlung, die sie faszinierte.“ Vivian hatte sehen wollen und fühlen, was das ist, ein neuer Mensch, und sagte, mein Gott, wie vollkommen du bist. Dann wieder: Warum hast du ihn dir wegmachen lassen, Martina, warum? Du bist doch mein Kerl! Frau König hatte viel Spaß mit ihr. Auf der Straße gingen sie untergehakt, taten wie Mutter und Tochter und manchmal wie ein lesbisches Paar und lachten dabei. Sie hat Dolores und Beatrice. Aber das ist nicht dasselbe. Ihr fehlt Vivian, ihr fehlt – „Warten Sie …!“ – einfach alles fehlt ihr, seit sie nicht mehr da ist. Vivian, das Licht meines Lebens. Obwohl es schön ist auf Gran Canaria.

Dolores und Beatrice, Frau König zeigt Fotos. Dunkelhaarige Frauen, Mitte dreißig. Dolores mit einem Lachen, dass einem warm ums Herz wird. Beatrice mit Bubikopf und todernstem Blick. Frau König leidet. Sie möchte auf die Insel übersiedeln. Mittags setzt sie sich hin mit Kaffee und zwei Stullen, vor sich die Karte von Gran Canaria. Flüstert Orte und Ereignisse. Auf der Insel könnte sie Dolores heiraten, sie könnten alle Geschlechterkombinationen durchprobieren. Dolores, die Schwermütige. „Hach.“ Frau König rutscht nach vorn, das Licht der Lampe fällt auf ihr Gesicht. „Die Wärme einer Frau, es gibt nichts Schöneres.“ Mal ehrlich, Jürgen, hatte der eine Bruder einmal gesagt, du hast dich doch bloß umbauen lassen, um an Weiber ranzukommen. Sie stützt die Arme auf die Schenkel. „Blödsinn, kann ich nur sagen.“ Dann sagt sie: „Ich wollte immer mit Frauen zusammen sein. Wollte sie in mich aufnehmen, eins mit ihnen sein, verstehen Sie? Und sagen Sie bitte nicht mehr Transsexueller zu mir. Ich bin eine Frau, bitte.“ Die Haare am Kinn, sie nimmt einen Epilierer, es tut sehr weh. Die Falten, viele sind vom Solarium, aber sie will schön sein. Begehrt sein. Sie will Vivian. Will Dolores. Will Beatrice. Ach, es ist zu verwirrend, manchmal versteht sie sich selber nicht.

„Ob ich meine Hoden aufbewahre? Wie die Eunuchen in ‚Der letzte Kaiser‘? Getrocknet, in einem Topf?“ Sie lacht. Wie schön, Frau König lacht.

Nach dem Schlaganfall

Frau König sitzt im Rollstuhl. In einem hellen, großen, mintgrünen Raum. Zusammen mit einem Dutzend anderer Schlaganfallpatienten. Eine strahlende Sommersonne scheint in die Fenster, die Luft über dem See und den Hügeln ringsum ist samtig und heiß. Liegen stehen auf der Terrasse. Frau König weint, als sie mich erkennt. Ohne Tränen, die linke Schulter bebt. Dass sie mit den anderen nicht reden kann und die nicht mit ihr, ist das Schlimmste, gibt sie zu verstehen. Seit Anfang des Jahres ist sie in Angermünde. Im Rehabilitationszentrum Wolletzsee, im Nordosten Brandenburgs. Sie ist rechtsseitig gelähmt, sie lallt wie ein Baby. Das Gesicht ist nicht entstellt, Gott sei Dank. Die steinerne Traurigkeit darin beunruhigt. Mit der gesunden Körperhälfte erzählt sie, was war. Ende November war sie nach Gran Canaria geflogen. Zu Dolores und Beatrice. Sie hatte sich auf ein gemeinsames Weihnachten gefreut, auf Neujahr. Anderthalb Monate hatte sie bleiben wollen. Und wurde kurz vor Weihnachten schwer krank.

Sie hatte sich unwohl gefühlt. Die Wärme, die Sonne, das Temperament der beiden Frauen. Wovon sie früher nicht genug kriegen konnte, auf einmal war es ihr zu viel. Sie wollte weg, zu ihrem Hausarzt. Am 21. Dezember kam sie nach Berlin zurück. Als sie auf dem Flughafen Tegel das Gepäck vom Band heben will, in dem Moment kann sie sich nicht mehr rühren. Man bringt sie in die Charité und stellt fest, dass die Hormone, die sie täglich nimmt, schuld am Unwohlsein und am Schlaganfall sind. Von den Nachbarn in Charlottenburg weiß niemand, wo sie ist.

Fremd wirkt sie hier. Zerbrechlich. In ihrem Viertel, zwischen Oper, Universität und Kurfürstendamm, fiel sie nicht auf. Dort war sie eine ältere Dame, die junge hübsche Frauen liebt. Dort gibt es viele ältere Damen, viele junge hübsche Frauen und unzählig viele Liebesverhältnisse. Keine der Patientinnen hier hat Augenbrauen, die gelasert sind. Ein Ekzem, das vom Rasieren kommt. Ein Solariumbraun, das fast verblasst ist. Das Haar der anderen ist zur Dauerwelle frisiert, die Haut weich und weiß. Die Gesichter sind ungeschminkt. Die Köpfe neigen sich würdevoll, sie wünschen einen guten Abend.

Die rechte Hand. Platt und fleckig liegt sie vor Frau König auf der Ablage des Rollstuhls. Wächsern. Nutzlos. Frau König hebt sie an. Die gehört nicht zu ihr, will sie das damit sagen? Es patscht. Sie hat sie zurück auf die Platte fallen lassen. Zeigt auf das leblose rechte Bein. Sie ist wütend auf sich selbst. Auf die Schwäche, gegen die sie nichts machen kann. Scheiße, würde sie wahrscheinlich jetzt gern sagen. Frau Amelo sagt, dass sie „sehr auffällig“ war, sie hat sich widersetzt, am Anfang. Jetzt nicht mehr. Jetzt ist es gut. Es hat viel Zeit gekostet. Viel Mühe, ehe Frau König so weit war, ihr Schicksal anzunehmen.

Sie will stark sein. So stark wie früher. Wenn sie sich früher wo stieß, bekam sie keine blauen Flecke. Mit der Linken schlägt sie eine Handkante. Gegen das Plexiglas der Platte. Lässt den Bizeps hüpfen. Er ist stark, unter dem Ärmel pulsiert er wie ein Herzmuskel. Sie guckt hoch, sie freut sich, ihre Augen sagen es. Der rechte, der schlimme Arm ist nicht viel mehr als Haut und Knochen.

Frau Amelo, die Betreuerin. Klein, flink, braune runde Augen, Kurzhaarschnitt. Sie sagt, dass es schon wieder wird. „Wird schon wieder, was, Frau König?“ Frau König nickt. „Jaaa, wissen wir doch“, sagt Frau Amelo und reibt Frau Königs guten Arm. Frau Amelo sagt, dass es dauern wird. Lange. Dass sie Frau König in eine andere Klinik verlegen werden, zurück nach Berlin. Voraussichtlich. Sicher ist, dass es mit Frau Königs Wohnung nichts mehr wird. „Sechste Etage, ohne Fahrstuhl, das wird nichts mehr“, sagt Frau Amelo. „Sie wird in eine Parterrewohnung umziehen müssen. Nicht, Frau König?“ Vielleicht. Vielleicht wird es aber auch ein Platz in einem Pflegeheim werden, Erdgeschoss. Frau König sieht aus, als ob sie lieber losheulen würde statt wieder zu nicken.

Wir sind im Foyer. An einem der Panoramafenster, zwischen zwei Yuccapalmen. Frau Amelo hat sich verabschiedet, „ich lasse Sie dann allein“. Die Bartstoppeln an Frau Königs Kinn reflektieren den rotgelben Schein der Abendsonne. Ein starkes, eisgraues Reflektieren. Männer in Jogginganzügen gehen vorbei. Sie werden in der Cafeteria wiederzufinden sein, beim Bier. Bevor sie ging, hat Frau Amelo noch gesagt, Frau König bekommt kein Estrifam mehr. Und auch kein Androcur.

Frau König wird die Tabletten nie wieder nehmen dürfen. Es ist die Sorge, dass sie sonst den nächsten Schlaganfall kriegt. Ohne die Hormone hat Frau König das innere Gleichgewicht nicht. Sie wird aggressiver werden, bestimmt. Wird sich wieder in diesem Ballon gefangen sehen. Sie war aufgeblüht. Eine späte, wundersame Blüte. Trotz der Sache mit Vivian, trotz allem. Und nun das.

Etwas macht Frau König Angst. Es gibt immer etwas, das ihr Angst macht. Jeden Tag. Am meisten das Gefühl, zu vereinsamen. Menschen wie sie vereinsamen, hatte sie einmal gesagt, zwangsläufig. Menschen mit einer Operation, die das Geschlecht geändert hat. Sie wollte das nicht, vereinsamen. Sie pflegte die Kontakte, die sie hatte. Zu Huong Duong etwa, der Vietnamesin. Frau König hatte sie während der Untersuchungshaft kennengelernt, in Pankow, im Frauengefängnis. Eines Abends hatte die zierliche junge Frau ihren Haarknoten gelöst und war zu Frau König in die Zelle geschlüpft. Sie hatte Trost gesucht. Bei einer erfahrenen, verständnisvollen Frau. Nach Frau Königs Entlassung im Februar 2004 schrieben sie sich Briefe. Lange Briefe, zärtliche Briefe, beinahe täglich. Bis Huong Duong entlassen wurde und verschwand.

Frau König hat Angst. Sie glaubt, jetzt alles zu verlieren. Alles, was ihr je von Wert gewesen ist. Ihre Weiblichkeit. Dolores und Beatrice. Die Mutter und Vivian hat sie schon verloren. Sie hält das Foto mit dem lachenden Gesicht von Dolores hoch und schüttelt den Kopf. Also auch Dolores. Auch sie weiß nicht, dass sie hier in der Klinik ist. Was ist mit Birgitta und dem Kind? Wissen sie es? Frau König senkt den Kopf, die linke Schulter bebt.

Vier Jahre lang ist sie das gewesen, was sie immer hatte sein wollen. Vier von fünfundsechzig. Sie hat ein Leben geführt, das zu vier Fünfteln ohne die Höhepunkte gewesen ist, die die Leidenschaft einem Menschen schenkt. Sie hatte alles überstanden. Die Suche nach sich selbst. Nach jemandem, den sie lieben konnte. Die Jahrzehnte hat sie überstanden. Auch die Selbstmordfantasien, die sie hatte, als sie dachte, es würde nicht mehr weitergehen. Mancher wäre wohl daran zerbrochen. Sie nicht.

Die langen Reihen der Autos, die die Auffahrt der Klinik gesäumt hatten, haben sich aufgelöst. Die Besucher sind weg. Ein orangefarbener Streifen leuchtet waagerecht am Horizont. Frau König und die anderen warten. Stumm. In einer halben Stunde ist Abendbrotzeit.

Das Porträt von Frau König hatte im Frühjahr im taz.mag erscheinen sollen, es fehlten nur noch die Fotos. Dann wurde Frau König krank. Der letzte Stand: Mitte Juli wurde sie in ihre alte Wohnung entlassenTHOMAS FEIX, Jahrgang 1960, lebt als freier Autor in Berlin. Zuletzt schrieb er für das taz.mag „Bei Waldschrats“. ANJA WEBER,geboren 1968, ist freie Fotografin in Berlin. Für ein Porträt von Molly Luft arbeitetenThomas Feix und Anja Weber im vergangenen Jahr schon einmal zusammen