Viele Bilder sind schon da

Das Wiener Museum für moderne Kunst (Mumok) stellt sich mit der Ausstellung „Why Pictures Now – Fotografie, Film, Video heute“ seinen Ankäufen aus jüngster Zeit der internationalen Konkurrenz

VON BERT REBHANDL

Mit Jürgen Klinsmann und Joachim Löw hat die Institution des Trainer-Duos in diesem Sommer neues Prestige bekommen. Sie steht immer unter genauer Beobachtung und häufig unter Slapstick-Druck. Deswegen achten der Chef und der Assistent im entscheidenden Moment genau auf Distanz. Der Chef darf im Jubelfall aus sich heraus- und auch auf den Ko zugehen, umgekehrt darf der Ko den Chef nicht überjubeln. Läuft ein Spiel schlecht, muss der Ko das Offensichtliche noch einmal in Worte fassen und die entsprechende, Zustimmung heischende Handbewegung machen. Der Chef wirft die Wasserflasche weg.

Unwillkürlich werden sich viele Besucher des Wiener Museums für moderne Kunst (Mumok) in diesem Sommer an die Fußballweltmeisterschaft erinnern, wenn sie in der Ausstellung „Why Pictures Now“ gleich zu Beginn auf „Wisła“ von Josef Dabernig stoßen. In diesem acht Minuten langen Schwarzweißfilm sind zwei Männer zu sehen, die das menschenleere Stadion des Vereins Wisła Krakau betreten und sich dort wie Fußballtrainer benehmen. Auf der Tonspur sind italienische Fangesänge zu hören (sie wurde im Stadio Friuli in Udine bei zwei Livespielen der italienischen Liga aufgenommen). Was in der Berichterstattung über Fußball inzwischen einen wichtigen Stellenwert einnimmt – das Verhalten, die Reaktionen, der Habitus der Verantwortlichen –, wird hier zum Gegenstand eines absurden Theaters. Immer wieder deuten der Chef und der Ko bei Dabernig an, wie sich die Mannschaft verschieben sollte. Aber der Gegenschuss bleibt aus. Es gibt kein Team, nur die komische Redundanz der Gesten.

In das Konzept der Ausstellung „Why Pictures Now“ passt der so prominent platzierte „Wisła“ ganz hervorragend. Er gibt eine plausible Antwort auf die Frage, die den Titel der Ausstellung ausmacht: warum Bilder jetzt? Weil sie schon da sind. Dabernig arbeitet ganz offensichtlich mit jenem kollektiven visuellen Gedächtnis, das ohne individuelle Erinnerungsleistung funktioniert. Viele Bilder sind vorbewusst präsent, das Kunstwerk macht aus ihnen erst „pictures“ in dem Sinn, in dem Museen und die Öffentlichkeit sie verarbeiten können.

Das Mumok hat im vergangenen Jahr sein eigenes Sammeln thematisiert. In „Why Pictures Now“, benannt nach einer Arbeit von Louise Lawler, werden nun Ankäufe der jüngeren Zeit aus dem Komplex Fotografie, Film, Video präsentiert. Das Wiener Haus stellt sich damit der internationalen Konkurrenz um relevante Narrationen der jüngeren Moderne, in einer geschickten, vor allem auf den Mittleren Osten hin offenen Synthese aus dem, was im westlichen Betrieb der letzten Jahre schon kanonisiert wurde (von James Coleman bis Sharon Lockhardt, von der Atlas Group bis Andreas Gursky), mit einer österreichischen Spezialgeschichte, die hinter das weltweite Niveau nicht zurückfällt (von den konzeptuellen Arbeiten eines Martin Beck oder Florian Pumhösl über die Fotoinszenierungen eines Lois Renner oder Gregor Zivic bis zu den postkolonialen Sinnbildern von Lisl Ponger).

Es gibt überraschende Funde aus den Beständen, zum Beispiel die schon 1984 erworbene Fotoserie „Staatsgrenze 1“ von Seiichi Furuya. Der japanische Künstler dokumentierte damals den hintersten Winkel von Österreich, die Grenze zum so genannten Ostblock. Die schwarzweißen Fotografien, versehen mit überraschenden Bildunterschriften im Nachrichtenton, gaben dieser Systemgrenze, die auch durch ihre Überwindung 1989 ein ganzes Jahrhundert geprägt hat, eine hintersinnige Durchlässigkeit.

Hans Schabus, der Österreich im vergangenen Jahr bei der Biennale in Venedig vertrat, hat in Wien nun den hintersten Winkel des Mumok besiedelt. Am Ende von „Why Pictures Now“ steht dieser Raum, in den Schabus einen Tisch mit automatischer Schnapsausgabe und integriertem Schallplattenspieler gebaut hat. Auf einem Videoschirm an der Wand läuft der Film „Zentrale“, in dem Schabus eine kleine Doppelgängerfantasie aus seinem Atelier inszeniert. Der Künstler schaut (und prostet) sich bei der Arbeit gewissermaßen selbst zu – auch hier, wie bei Dabernig, gewinnt die Selbstreflexivität eine komische Dimension. Es spricht für die Dramaturgie von „Why Pictures Now“, dass sie einer klassischen Narration entspricht, sie zugleich aber reversibel macht: Es gibt Anfang und Ende, aber eben nicht im Sinne einer linearen Entwicklung der Kunst selbst, sondern als mögliche Pole des spielerischen Umgangs mit ihrer Selbstaufhebung.

Wer danach suchen will, findet aber auch ein Zentrum. Die Doppelprojektion „Spielberg's List“ von Omer Fast geht von der Tatsache aus, dass der Spielfilm „Schindlers Liste“ sich für eine breite Öffentlichkeit wie eine Deckerinnerung über das Gedenken der Schoah gelegt hat. Fast hat in Krakau gefilmt, wo die Drehorte ihrerseits zu einem Reiseziel geworden sind. Die Interviews mit Statisten aus „Schindlers Liste“ montiert und untertitelt Fast so, dass es zwischen den beiden Bildspuren, die er legt, immer wieder zu Überlagerungen kommt – die Entstehung des Films und die Vernichtung der Juden verhalten sich nun nicht mehr einfach so wie Repräsentation und Ereignis zueinander, sondern das historische Geschehen sucht die filmische Darstellung heim und bricht deren klaglosen Zusammenhang auf.

Ein Museum moderner Kunst in Wien kommt darum nicht herum, dass Österreich auch mit der Erfolgsgeschichte seiner Zweiten Republik immer noch auf die Schoah bezogen bleibt. Mit der Arbeit von Omer Fast und dem Parcours der Ausstellung „Why Pictures Now“ deutet das Mumok gleichwohl neue geopolitische und ästhetische Dimensionen an, an denen Österreich seine Identitätsarbeit künftig zu messen hat.

Bis 1. Oktober