Josef Ackermann im Admiralspalast

Das kann nur Klaus Maria Brandauer: die „Dreigroschenoper“ ohne Sex, Crime und Politik, ohne Brecht und Weill

Keine Idee, nirgends, im riesigen Oval des Admiralspalastes. Klaus Maria Brandauers Inszenierung der „Dreigroschenoper“ im wiedereröffneten Haus in der Friedrichstraße lief vergangenen Freitag ab wie eine der Nummernopern, die Brecht und Weill so virtuos karikiert hatten. Es wurde wunderbar gesungen, die Frauenrollen waren glänzend besetzt, Campino machte eine überraschend gute Figur. Aber nichts hielt den Laden zusammen. Zwischen den Songs, in den Spielszenen, war nicht ein Funken von Bewegung spürbar, kein Witz, kein unvermutetes, überraschendes Arrangement. Die Bühne, nach Brechts Vorstellungen aufklärerisch hell zu erleuchten, blieb bei Brandauer meist im Halbdunkel. Und von der Musik war in der hintersten Ecke des Oberrangs, quasi auf dem Heuboden, wo der Rezensent sich den Hals verrenken durfte, auch nicht besonders viel zu hören. Sie schien aus einer klaftertiefen Gruft zu kommen. Falls das ein V-Effekt gegen die allzu vertrauten Melodien war, ist der wenigstens geglückt.

Brandauer wollte Werktreue, eine konservative Inszenierung. Heraus kam konzentrierte Langeweile. Denn Brandauer opferte seiner komödiantisch leicht gedachten Version die ätzende Botschaft, dass die Verbrecher eigentlich seriöse Geschäftsleute, die Geschäftsleute aber ruchlose Verbrecher sind. Brechts Macheath setzt das romantische Flair des Straßenräubers ebenso für seine Geschäfte ein wie sein vielfältiges Sexualleben. Und Peachum, Chef des Bettlersyndikats, beschwört das Gute im Menschen, um dann in eisigen Zynismus überzuwechseln. Dieser jähe Wechsel von salbungsvollem Ton zur geschäftsmäßigen Rede, von Gentleman-liken Umgangsformen zu brachialer Gewalt macht den Dreh der brechtschen Dialoge aus. Brandauer hat etwas davon gewusst, als er die beiden Aussprüche von Macheath „Da könnt ihr was lernen“ und „Halt die Fresse“ zu seinen beiden Lieblingszitaten aus der „Dreigroschenoper“ erklärte. Was die Zitate zusammenhält, davon war in der Inszenierung nichts zu spüren.

Aber ist das nicht eine abgestandene Botschaft, und wird mit Brechts Sarkasmus nicht ein untergegangenes Bild des Kapitalismus künstlich heraufbeschworen? Vor den Absperrungen des Admiralspalastes verteilte am Premierenabend ein junger Aktivist eine Flugschrift zum Berliner Bankenskandal. Dort heißt es: „In der Holding Bankgesellschaft Berlin profitierten einige private Banken von den Vorteilen einer öffentlichen Landesbank. Mit allen Möglichkeiten einer privaten Bank wurde das große Rad gedreht. Das Risiko – keines. (…) Die Gründung der Bank war kein Unfall, sondern politisch gewollt.“

„Was ist ein Dietrich gegen eine Aktie, was ist der Einbruch in eine Bank gegen die Gründung einer Bank“ – das sind die Einsichten Brechts/Macheath’ angesichts des Galgens, von dem er durch den berühmten reitenden Boten gerettet wird. In der Rolle des Retters tritt bei der Berliner Bankgesellschaft der Steuerzahler auf. Brandauers Inszenierung ist nicht deswegen zu kritisieren, weil er sich weigerte, das Stück durch Aktualisierung aufzumotzen. Das wäre nur peinlich gewesen, und Campino hatte Recht, als er dankbar dafür war, nicht mit modischer Lederjacke auflaufen zu müssen. Die Kritik trifft Brandauer, weil er den eisig-sarkastischen Grundton des Originals und damit seine unerschütterliche Zeitnähe herausoperiert hat.

Was der Inszenierung fehlte, lieferte das Premierenpublikum nach. Man sah den Bankier Josef Ackermann, lachend mit einer Obdachlosenzeitung in der Hand. Auf der Premierenfeier, flogen die Herzen des Publikums Johannes Heesters zu, einst in großdeutschen Zeiten ein Star des Admiralspalastes. Nicht Brandauer, aber Brecht hätte an diesem Abschluss der Premiere seine diebische Freude gehabt.

CHRISTIAN SEMLER