Schwerer Schwindel

Daniel Richter wird Selbsterklärer: das Künstlerbuch „Huntergrund“ zu seiner Einzelausstellung in Basel

Die Antwort scheint zunächst banal: „Reinheit ist immer unterkomplex.“ Sie gilt der Frage des Kurators nach der Figuration als Subtext seiner abstrakten Gemälde, mit denen er Ende der 90er-Jahre erstmals in Erscheinung trat. Allerdings, argumentiert Daniel Richter im Katalogbuch zu seiner Ausstellung im Kunstmuseum Basel (bis 24. September) weiter, die Sehnsucht nach Reinheit besitze einen verlockend radikalen Gestus. Sein Votum für die Reinheit und Radikalität konträrer Welthaltigkeit der Malerei ist daher keineswegs trivial. Der radikale Gestus wird noch immer hoch gehandelt, schon weil er als unzweideutig männlich gilt. Und bekanntlich werden männlicher Unbedingtheit in der Gegenwartskunst die großen Altäre errichtet. Sie verkaufen sich gut. Als Altarkunst boomt auch die Malerei. Sie produziere eben tendenziell, wie Richter es ausdrückt, „einen schweren Sound“.

Sein Plädoyer gilt der Geistesgegenwärtigkeit: „Ich habe in erster Linie nach Motiven gesucht, die politisch und sozial lesbar und allgemein zugänglich waren. Es sollte kein Geheimnis hinter den Bildern sein.“ Einer simplen Lesart steht das leider nicht entgegen. Wie für die Politik des Zentrums und deren Öffentlichkeit gilt für die dissidente Peripherie: It’s a Man’s, Man’s, Man’s World. An dieser Reinheit ist nicht zu rütteln. Man muss daher Richters malerische Mittel und Motive nicht gleich verdächtigen, auch nur dem „Ach was sind wir doch für wilde Kerle“-Andachtsbild zuzuarbeiten: die Großformate, der anfänglich fette Farbauftrag, die jetzigen neonpinkfarbenen Sprayerfarben, die nächtlichen Szenen, die konfrontativen Figurenensembles jugendlicher Männerhorden, die Kämpfer hoch zu Ross, darunter geduckt die Kampfhunde. Das Herumreiten des Kunstbetriebs auf dem Biografischen, sein Kokettieren mit Richters radikaler Hafenstraße-Vergangenheit: geschenkt. So wird der Sammler geködert, der morgens aus dem Haus geht, „mit einem großen Ziel, nämlich rechtzeitig ins Büro zu kommen“ (Fernando Pessoa).

Da liegt es nahe, zu lästern, edel sei der Punk, ertragreich und immer ein bisschen böse. Vor allem jetzt, wo sich Richters giftiger Realismus plötzlich vor jenen Holzpaneelen abspielt, mit denen üblicherweise David Schnell die Leinwände malerisch zubrettert. Die Deko-Anleihe aus Leipzig macht stutzig. Was nämlich Welthaltigkeit betrifft, wird Malerei auch in Leipzig eindeutig unterschätzt – obwohl man dort die Kunst der bewegten (Video-)Bilder nicht derart überschätzt wie überall sonst.

Die Chancen des malerischen Stills in dieser Situation hat Daniel Richter früh erkannt. Sie liegen, dem Begriff gemäß, im Luxus der Pause, den es für sich reklamiert. Sofern das Gemälde uns Aufschub gibt, Zeit zum Überlegen, verbürgt es Entscheidungsfreiheit; John Locke jedenfalls sah Entscheidungsfreiheit allein in der Dimension der Zeit, der Denkpause, begründet. Den Aufschub aber bedingt der formale Aspekt. Anders könnte auch Daniel Richter in „Huntergrund“ nicht davon sprechen, wie ihm das unsichere Stehen der Modelle in Félix Vallottons Bilder den Eindruck vermittelte, hier scheine „bereits eine feministische Debatte auf“. Ihr Wackeln veranlasst seine Reflexion. So viel malerischer Schwindel muss sein. Wer wüsste es besser als Richter. BRIGITTE WERNEBURG

Daniel Richter, „Huntergrund“. Hatje Cantz Verlag, Stuttgart 2006, 240 Seiten, 200 farb. Abb., 35 €