Kapitalismus-Streit erreicht die NRW-SPD

Nach der CDU streitet nun die NRW-SPD über Sozialpolitik und den richtigen Kurs: Generalsekretär Michael Groschek widerspricht Ex-NRW-Ministerpräsident Clement, der von seiner Partei mehr Wirtschaftskompetenz gefordert hatte

DÜSSELDORF taz ■ CDU und SPD streiten um den wahren Sozialismus. Nachdem NRW-Ministerpräsident Jürgen Rüttgers seiner Partei eine Diskussion über „Lebenslügen“ und Kapitalismus aufgezwungen hatte, debattieren nun die Sozialdemokraten den richtigen Kurs. NRW-SPD-Landeschef Jochen Dieckmann fordert ein „schärferes Profil“ seiner Partei, während etwa der Duisburger SPD-Vorsitzende Ralf Jäger vor einem „Linksrutsch“ der Genossen warnt.

Ausgelöst wurde der SPD-Strang der Kapitalismusdiskussion von Ex-Ministerpräsident Wolfgang Clement. Der frühere Bundeswirtschaftsminister hatte im taz nrw-Interview mit seiner Partei abgerechnet. Viele SPD-Funktionsträger seien „inhaltlich vielfach noch immer auf dem Niveau aus der Zeit vor der Globalisierung“, sagte Clement und kritisierte eine „enorme Staatsgläubigkeit“. Nötig sei die Mobilisierung der persönlichen, der privaten Kräfte, so der Ex-Politiker. Von seiner Partei forderte Clement mehr wirtschaftspolitische Kompetenz: „Zu meinen, allein die soziale Kompetenz – was immer das ist – reiche aus, ist ein großer Irrtum.“

„Das ist eine sehr einseitige Sichtweise, die ich so nicht teilen kann“, sagt NRW-SPD-Generalsekretär Michael Groschek zur Kritik von Clement. Die SPD wolle einen „handlungsfähigen Staat“, der „Innovation und Gerechtigkeit“ und ein „qualitatives Wachstum“ anstrebe. „Wir werden nicht in den Club der Staatsdiffamierer eintreten“, so Groschek zur taz. Dass der Staat an allem Schuld sein soll, sei eine „neoliberale Fata Morgana“. In der laufenden Programmdebatte der Sozialdemokraten wolle sich die NRW-SPD dafür einsetzen, „dass wir konkrete Probleme lösen“. Konkret wolle man etwa in der Arbeitsmarktpolitik neue Lösungsvorschläge machen, so Groschek. „Beschäftigungschancen für alle“ müsse die Politik eröffnen – auch für Menschen, die auf dem ersten Arbeitsmarkt keinen Job bekämen.

Über Lösungen auf dem „2. Arbeitsmarkt“ denkt seit neuestem auch NRW-SPD-Fraktionschefin Hannelore Kraft nach. Angesichts struktureller Massenarbeitslosigkeit müsse die SPD intensiver über Ideen wie ein „Grundeinkommen“ diskutieren, so die Oppositionsführerin im Landtag. Der Duisburger SPD-Vorsitzende Ralf Jäger warnte seine Genossen in der WAZ vor alten Politikkonzepten: „Das Wegducken mit bequemen linken Wohlfühl-Positionen funktioniert nicht in NRW. Wir sind die Regierung im Wartestand.“

Tatsächlich ist die NRW-SPD nicht nur „Regierung im Wartestand“. In Berlin regieren die Sozialdemokraten mit. Gegen die Realpolitik der großen Koalition will sich der größte SPD-Landesverband stärker profilieren. „Wir brauchen ein NRW-Profil in der Bundespartei“, sagt Alexander Bercht, Landesvorsitzender der Jungsozialisten. Die Partei an Rhein und Ruhr stehe für „soziale Gerechtigkeit“ – das müsse sie künftig in Berlin deutlicher machen. „Angesichts der Belastungen bei der Gesundheitsreform ist eine Unternehmenssteuersenkung nicht vermittelbar und nicht finanzierbar“, sagt Bercht.

In der CDU-Grundsatzdebatte ging die NRW-Landespartei gestern in die Offensive. Die CDU-NRW präsentierte eine von ihr in Auftrag gegebene Emnid-Umfrage. Demnach unterstützen 93 Prozent der Befragten Ministerpräsident Rüttgers bei seiner Forderung, die Union solle künftig stärker die Interessen der Arbeitnehmer vertreten. Anderen Umfragen zufolge kommt Rüttgers‘ Debattensommer nicht so gut an: Laut Infratest-Dimap ist die CDU-NRW um vier Prozentpunkte abgerutscht und kommt nur noch auf 39 Prozent.

MARTIN TEIGELER