Gaarder, Israel etc.
: Von der Kritik zum Tabu

Nur drei Tage alt wurde Jostein Gaarders Entschluss, sich nicht mehr an der von ihm ausgelösten Israel-Debatte zu beteiligen. In der Wochenend-Ausgabe der Osloer Zeitung Aftenposten sah er die Notwendigkeit zu einer „Klarstellung“: Er habe niemals das Existenzrecht Israels in Frage stellen wollen. Er hoffe auf die Macht der Diplomatie, die den Nahostkonflikt lösen solle. Und Gaarder glaubt aus der bisherigen Debatte vor allem eines herausgelesen zu haben: dass sein „literarischer Ansatz“ offenbar missverstanden worden sei.

Nun ging es aber den meisten seiner KritikerInnen nicht um die fehlende rhetorische Feinjustierung bei dem Autor, der mit seinem philosophischen Buch „Sophies Welt“ international zu einiger Popularität gelangt ist. Sondern darum, wie er seine Israel-Kritik mit einer Attacke auf die jüdische Volksgruppe und den jüdischen Glauben vermengt hatte. Wodurch ein Text entstanden sei, der laut Hans Magnus Enzensberger in Deutschland allenfalls in einem „kleinen rechtsradikalen Blättchen“ hätte erscheinen können. Der Norwegen-Kenner, der auch zehn Jahre lang dort gelebt hat, rechnet es in einem Interview mit Aftenposten „norwegischer Naivität und einem durch den Friedensnobelpreis und dem Einsatz als humanitäre ‚Großmacht‘ geprägten nationalen Selbstbild“ zu, dass in Norwegen – so wie jetzt geschehen – eine nicht nur in Deutschland tabuisierte Debatte habe ausgelöst werden können.

Es sei nicht möglich, die Frage der Einwirkung der Religion auf die Politik Israels zum Thema zu machen, ohne prompt des Antisemitismus beschuldigt zu werden, bejaht dieses Tabu die Nahostforscherin Hilde Henriksen Waage grundsätzlich auch für Norwegen. Obwohl die Behauptung, der Staat Israel habe nichts mit dem jüdischen Glauben zu tun, dabei ebenso verfehlt sei wie die, der Staat Pakistan habe nichts mit Islam zu tun.

Der Antisemitismusvorwurf sei eine bewusste Taktik vor allem pro-israelischer Lobbyorganisationen, um jegliche Israel-Kritik zu stoppen, meint wiederum Morten Levin, norwegischer Naturwissenschaftsprofessor jüdischer Herkunft. Und er wehrt sich gegen ein Verbot, religiöse Aspekte der israelischen Politik zu diskutieren.

Vor allem, weil einige politische Gruppen ihre Politik mit religiösen Argumenten begründen, ähnlich wie sich einst etwa Südafrikas Apartheidsystem auf das Christentum berufen habe, stimmt die Religionshistorikerin Kari Voigt zu. Doch sei Gaarder in eine Falle gegangen, weil er ein zu einfaches Bild von Religion als Erklärung der Politik Israels gezeichnet habe.

Dass Gaarder-Chronik wie Mohammed-Karikaturen zu einem mehr an Selbstzensur führen, hält Enzensberger im Übrigen für durchaus wahrscheinlich. Und für nicht allzu problematisch. Auch die Toleranz habe bekanntlich Grenzen: „Und manche Tabus sind ja durchaus gesund.“ REINHARD WOLFF