Auf leisen Sohlen in die Zukunft

taz-Serie „Bezirkssache“ (Teil 3): Treptow und Köpenick waren bis zum Mauerfall die wichtigsten Industriestandorte Berlins. Heute wird im Stadtteil Adlershof der Sprung in die Zukunft erforscht. Doch diese Erfolgsgeschichte ist im Bewusstsein der Berliner bislang noch nicht angekommen

VON UWE RADA

In die Dörpfeldstraße verliert sich normalerweise kein Tourist. Haufenweise Eckkneipen, Ramschläden und Hausruinen künden vielmehr davon, dass man in dieser Ecke von Adlershof unter sich ist – und auch bleiben möchte. Unterstrichen wird das noch von den Wahlplakaten der NPD. Die internationalen Adressen einer Metropole sehen anders aus.

Umso größer ist der Kontrast, wenn man von der Dörpfeldstraße unter dem S-Bahnhof Adlershof hindurch in die Rudower Chausee findet. Gleich hinterm Bahnhof steht rechter Hand ein Wegweiser. www.adlershof.de steht in großen Lettern an der Säule, drunter hängt der Lageplan der „Stadt für Wissenschaft, Wirtschaft und Medien“.

Vollmundig klingt das, doch das Versprechen wird gehalten. Rechts und links der Rudower Chaussee zeigt sich Berlin ganz von seiner Zukunftsseite. Die Humboldt-Universität ist hier mit ihren Instituten für Physik, Chemie, Geographie, Mathematik, Informatik und Psychologie vertreten.

Rund um den naturwissenschaftlichen Campus der HU haben sich außeruniversitäre Forschungsinstitute angesiedelt wie das Deutsche Zentrum für Luft- und Raumfahrt, das Institut für Angewandte Chemie oder das Max-Born-Institut für Nichtlineare Optik und Kurzzeitspektroskopie.

Komplettiert wird das Ganze durch sieben Technologie- und Gründerzentren. „Über 700 Firmen haben sich in Adlershof niedergelassen“, freut sich Peter Strunk, der Kommunikationschef der Wista-Management GmbH, die den Standort Adlershof entwickelt. Die Zahl der Beschäftigten ist auf 12.000 gestiegen. Dazu kommen noch einmal 6.300 Studierende.

„Adlershof ist zwar noch keine Marke wie Stanford oder Harvard“, sagt Günther Tränkle, der Direktor des Ferdinand-Braun-Instituts für Höchstfrequenztechnik, „aber es ist auf dem besten Weg dorthin.“ Das finden auch zwei japanische Touristen, die an diesem Sonntag das Infozentrum an der Rudower Chaussee, Ecke Gottfried-Leibniz-Straße gefunden haben. Willkommen im Berliner Südosten, willkommen in Treptow-Köpenick.

Eigentlich war das ja nicht so einfach, zwei so gegensätzliche Altbezirke wie Treptow und Köpenick zusammenzubringen. Das weiß auch Hans-Rainer Hader, der Pressesprecher im Rathaus Köpenick. „Zur Zeit der Wende war der Treptower Norden Grenzgebiet, Köpenick war das Industriezentrum in Ostberlin und zwischendrin waren die feinen Adressen.“ Dass diese Adressen den Bezirk längst zum „Zehlendorf des Ostens gemacht haben“, freut Hader natürlich. „Doch die eigentliche Aufgabe“, sagt er, „ist die Umwandlung der Industrielandschaft in einen innovativen Forschungs- und Wirtschaftsstandort.“ Auch im Rathaus in der Köpenicker Altstadt schaut man deshalb gespannt auf das, was sich in Adlershof entwickelt.

Im Zentrum des Geschehens stand Adlershof schon, kurze Zeit nachdem Köpenick durch den Schuhmacher Friedrich Wilhelm Voigt 1906 um 3.557,45 Goldmark erleichtert wurde. Drei Jahre nach dem Schelmenstreich des „Hauptmanns von Köpenick“ wurde im nördlich von Adlershof gelegenen Ortsteil Johannisthal der erste Motorflugplatz Deutschlands eröffnet. Zwei Jahre später entstand die erste Fliegerschule, kurz darauf die Deutsche Versuchsanstalt für Luftfahrt.

Forschungsstandort war Adlershof aber auch in der DDR. Auf dem Gelände der Akademie der Wissenschaften waren zeitweise bis zu 6.000 Menschen beschäftigt, fast die Hälfte aller Naturwissenschaftler in der DDR hat in Adlershof geforscht. Hinzu kam das DDR-Fernsehen, das in die ehemaligen Hallen des 1946 stillgelegten Flugplatzes Johannisthal zog.

Diese Mischung aus Wissenschaft und Medien war es, die den Senat nach der Wende bewog, in Adlershof die „Stadt für Wirtschaft, Wissenschaft und Medien“ zu entwickeln. „Das waren Tüftler auf extrem hohen Niveau“, sagt Wista-Geschäftsführer Hardy Schmitz, „die konnte man doch nicht auseinanderlaufen lassen.“ Zu den ersten Firmengründungen in Adlershof gehörten folgerichtig auch viele Unternehmungen ehemaliger DDR-Wissenschaftler. So wurde aus Adlershof mit der Zeit nicht nur Deutschlands größter Technologiepark, sondern auch ein gelungenes Stück Wiedervereinigung, ein Ort, an dem westliches und östliches Know-how ineinander aufgingen.

Nur mitbekommen hat das in Berlin und über die Stadtgrenzen hinaus niemand so richtig. Als die Betreibergesellschaft Wista vor drei Jahren auf der Hannover-Messe die Aussteller fragten: „Kennen Sie Adlershof?“, waren die Antworten ernüchternd, erinnert sich der ehemalige Center-Manager Jörg Israel. „Es zeigte sich zum wiederholten Mal: In der Scientific Community erfreut sich Deutschlands größter Wissenschafts- und Technologiepark internationaler Bekanntheit, in der Wirtschaft lässt das Wissen noch zu wünschen übrig.“

Doch das könnte sich bald ändern. Wenn im Jahr 2011 der Flughafen Berlin Brandenburg International BBI an den Start geht, dann liegt die Zukunftsstadt auf halber Höhe zwischen Berlin-Mitte und dem neuen Airport. „Schon die Verlängerung der A 113 bis zur Anschlussstelle Adlershof hat einen großen Entwicklungsschub gebracht“, sagt Bezirksamtssprecher Hader. Mit der Fertigstellung der Autobahn und der Eröffnung von BBI wird es einen weiteren Schritt nach vorne geben.

Den hat vor allem der Wohnstandort Adlershof auch dringend nötig. So prächtig sich inzwischen Wissenschaft, Wirtschaft und Medien entwickelt haben – eine richtige „Stadt“ ist aus dem neuen Adlershof noch nicht geworden. Zwar ist der Landschaftspark auf dem ehemaligen Flughafengelände in Johannishof im Werden, doch an der Wohnbebauung am Parkrand mussten inzwischen Abstriche gemacht werden. Nur noch etwa 6.000 Menschen sollen künftig hier leben, nach der Wende war ein Vielfaches geplant gewesen.

Auch ob das geplante Thermalbad am Wohnpark gebaut wird, steht in den Sternen. Vor zwei Jahren hatte der Senat einen entsprechenden Förderantrag abgelehnt. So bleibt die Stadt vorerst nur Stückwerk und Adlershof mehr Stand- als Wohnort.

Eines aber scheint auf jeden Fall ausgeschlossen: dass die Beschäftigten in den universitären und nichtuniversitären Forschungseinrichtungen auf die andere Seite des S-Bahnhofs ziehen. Selbst die grüne Laserinstallation des Künstlers Nils-R. Schultze, die seit der Eröffnung der Langen Nacht der Wissenschaften am 20. Oktober 2003 über der Rudower Chaussee schwebt, hat mit dem angestrebten Brückenschlag in die Dörpfeldstraße ihre Probleme.

Grün, wie die Farbe der Hoffnung, leuchtet es nur auf der Zukunftsseite des Stadtteils. Dort, wo die Vergangenheit herrscht, bleibt es dunkel.