„Ich war zur falschen Zeit am falschen Ort“

Nach zwei Monaten Haft in Warschau ist der 24-jährige Aktivist René K. aus dem Untersuchungsgefängnis freigelassen worden. Ihm wird vorgeworfen, bei der Parade für sexuelle Gleichberechtigung einen Polizisten angegriffen zu haben. K. bestreitet dies. Nun erwartet ihn der Prozess

taz: Herr K., bereuen Sie Ihre Teilnahme an der Parade in Warschau?

René K.: Ein klares Nein. Ich habe zwar nicht erwartet, dass es so weit kommen würde. Aber hinter der Parade stehe ich weiterhin.

Die repressiven Verhältnisse in Polen waren bekannt. Hätten Sie nicht mit einer Festnahme rechnen müssen?

Nein. Denn ich habe mich nicht anders benommen als alle anderen Teilnehmer. Ich war einfach zur falschen Zeit am falschen Ort. Die Bilder der Parade aus dem vergangenen Jahr und auch aus Moskau zeigten, dass es nur durch massenhaften Protest möglich ist, das krasse Missverhältnis zwischen uns friedlichen Demonstranten und der brutalen Staatsgewalt zu kippen. Ich finde, dass wir dies geschafft haben – schließlich bin ich der Einzige, der bestraft wurde.

Wie geht es Ihnen heute?

Ich bin sehr glücklich, wieder in Berlin zu sein. Die Perspektivlosigkeit im Knast, nicht zu wissen, wie es weitergeht, hat mich fertiggemacht. Ich glaube nicht, dass ich es noch länger dort ausgehalten hätte.

Wie wurden Sie behandelt?

Zunächst argwöhnisch, bis ich mir eine Geschichte zurechtgelegt habe. Im Knast hat niemand erfahren, dass ich auf der Parade war. Ich behielt das schriftliche Urteil vom Haftrichter immer bei mir und zeigte es niemandem. Die Mithäftlinge glaubten, ich sei in Warschau, um Party zu machen, und nur zufällig in eine Schlägerei mit der Polizei geraten. Ansonsten wurde ich behandelt wie alle anderen Gefangenen auch: schlechtes Essen, schlechte Hygiene, schlechte Laune. Manche Zellengenossen waren mir am Anfang behilflich, aber die Sprachbarriere verhinderte Kommunikation weitestgehend – was ich aber nicht schlecht fand.

Wie haben Sie die Zeit im Gefängnis totgeschlagen?

Mit Karten- und Schachspielen, puzzeln. Ich habe viel geschlafen, Tagebuch geschrieben. Ansonsten habe ich vor allem gewartet. Im Knast suchst du dir Beschäftigung, auch wenn es nur das Putzen der Zelle ist.

Mit welcher Strafe rechnen Sie nun?

Eigentlich müsste ich freigesprochen werden. Meine Anwälte glauben, dass es maximal auf eine Bewährungsstrafe hinausläuft, da ich nicht vorbestraft bin.

Werden Sie nächstes Jahr wieder an der Warschauer Parade teilnehmen?

Aus meiner jetzigen Sicht schon. Was nach dem Prozess ist, weiß ich nicht. Das Thema der Parade, die sexuelle Orientierung selbst entscheiden zu dürfen, ist mir wichtig. Wahrscheinlich werde ich mich in Zukunft sogar noch mehr damit beschäftigen. Schließlich habe ich nun am eigenen Leib erfahren, wie es ist, sämtliche bürgerlichen Rechte aufgrund der Teilnahme an so einer Parade aberkannt zu bekommen. INTERVIEW: FELIX LEE