Tropischer Realismus

Die ersten freien Wahlen im Kongo haben ihre ersten Verlierer: Wieso das einzige Künstlerzentrum des Landes einem Privatinvestor weichen muss

Mitten im Wahlkampf für Kongos erste freie Wahlen packte seine einzige überlebende Künstlerkolonie leise die Koffer.Kongo zum Abschluss des Friedensprozesses ist wie die DDR kurz vor der Wiedervereinigung: Der Ausverkauf läuft

AUS KINSHASA DOMINIC JOHNSON

Wenn Papy malt, ist es wie ein intimer Tanz mit sich selbst. Versonnen setzt der junge kongolesische Künstler tiefgelbe Kurven an den Rand der Leinwand, auf der in kräftigen Ölfarben eines seiner Lieblingsmotive entsteht: Ein Lastenträger in Kinshasa, konzentriert und schreckhaft zugleich, mit einem Kasten auf dem Kopf und einem Blick in das Auge des Betrachters hinein, den er zielbewusst ansteuert und ihm im gleichen Moment ausweicht.

In leuchtenden warmen Farben, viel Gelb und Rot, dick aufgetragen, als sei das Bild die Vorstufe einer Skulptur, präsentiert sich hier ein tropischer Realismus, der die Knochenarbeit der acht Millionen Bewohner Kinshasas im Kampf um das tägliche Überleben zelebriert. „Ecce Homo II“ lautet die Bilderserie, die Papy Malambu Dibandi hier vorbereitet. „Das sind wir alle, auf der Suche“, erklärt der Künstler und zeigt andere Bilder: „Wachsamkeit“, mit einer Gruppe weiblicher Schattenfiguren, die alle in eine Richtung starren, außer einer; „Wiederaufbau“, mit einer Frau, die aus Tüchern den Kongo wieder zusammennäht, die aber nicht ihre türkisblaue Reflektion in einem Spiegel hinter ihr sieht. Es sind Allegorien des Kongo heute, zerstört, aber voller Tatendrang.

Diese prachtvolle Bilderserie gestaltet Papy unter freiem Himmel, zwischen schmutziggrauen Lehmmauern. Wäscheleinen mit Kleidungsstücken baumeln über den Leinwänden. Töpfe klappern und Babys schreien. Zwischendrin fließen Abwässer offen in die ungeteerte Straße vor dem Haus tief in Kinshasas Künstlerviertel Matonge, ein Ort der nächtlichen Feste und der zwielichtigen Gassen. Papy Malambu malt in seinem eigenen Hinterhof. Die Familie guckt zu. Was soll sie auch sonst machen: In den Zimmern stapeln sich Dutzende fertiger Bilder hoch zwischen Koffern und Kleidern, das bescheidene Hüttenensemble ist eine Reihe von Schatzkammern unter löchrigen Wellblechdächern. „Im September fängt der Regen an“, sagt der 41-jährige Künstler. „Hoffentlich habe ich bis dahin einen anderen Platz gefunden.“

Bis vor wenigen Wochen war all das an einem sicheren Ort. Papy Malambu hatte ein Studio im einzigen Künstleratelier des Kongo. Die 1992 entstandenen „Ateliers Botembe“, benannt nach ihrem Gründer Roger Botembe, boten Dutzenden Malern Raum und brachten eine international anerkannte Schule der Malerei hervor. Hier entstanden Gemälde, die heute Festsäle in Kinshasa zieren. Hier konnten die Studenten der darniederliegenden Kunstakademie des Kongo ihren Stil entwickeln und Nachwuchs ausbilden. Maler aus Ostkongos Kriegsgebieten landeten hier, sogar aus dem biederen Kamerun, auf der Suche nach einem einmaligen Freiraum, nach dem, was der Kameruner Samuel Dallé nostalgisch als „Wärme“ bezeichnet. Oder, wie es der letzte Ausstellungskatalog der Ateliers vom April ausdrückt: „Kultur als das geistige Leben eines starken und verantwortungsbewussten Volkes, seines Handelns bewusst im Herzen eines wiedererwachenden Afrika.“

Das war einmal. Seit Anfang Juli sitzen die Ateliers Botembe auf der Straße. Das verlassene Industriegelände, in dem die Künstler 2000 nach ihrem Umzug aus zu klein gewordenen Räumen im Stadtzentrum Unterschlupf gefunden hatten, ist an einen Privatinvestor gegangen. Ein Libanese hat es vom Staat gekauft, um dort Kinshasas erste Backfabrik zu errichten. Jetzt wird dort, wo einst die Busgesellschaft Transcom ihr Depot hatte, plattgemacht.

Jetzt sieht es in den Atelierräumen von Kongos Kunstavantgarde aus wie nach dem Durchzug von Plünderern. Die Studios sind wüst und leer. Schülerskizzen treiben im Staub, Farbreste, Müll. „Malerei ist eine Rakete“, steht auf einem hinterlassenen Zettel an der Wand, die erste Zeile eines Gedichts, „die uns zusammenschweißt.“

Roger Botembe, der Gründer, sitzt in seinem Arbeitsraum, den er als einziger der 25 Künstler noch nicht komplett geräumt hat. „Das Atelier ist mein Leben seit vierzehn Jahren“, seufzt hinter seinem Tisch der 47-Jährige mit Bart und freundlichem runden Gesicht und guckt hinter seiner Brille hervor. „Wir sind in Kinshasa geboren. Wir sind hier aufgewachsen. Unsere Schulbusse kamen von hier, aus diesem Depot. Im Jahr 2000 sahen wir, dass das Gelände leer war, und wir zogen her. Alle möglichen Leute kamen uns besuchen, und wir redeten über unsere Kindheit. Diese historische Dimension des Raumes hat etwas Einmaliges geschaffen. Erst waren hier nur die Ateliers, aber dann kamen Studenten, es entstand eine kleine Bibliothek, wir hatten Ausstellungsräume, alles. Wir haben hier eine richtige Kulturfabrik aufgebaut. Wir haben alles selbst investiert.“

Aber im Januar erschien der neue Eigentümer und sagte, nun sei Schluss. „Wir haben das nicht ernst genommen. Wir erhielten einen Brief, wonach unser Mietverhältnis beendet sei, aber wir haben sechs Monate Kündigungsfrist, also machten wir uns keine Gedanken. Aber der Neue kam immer wieder.“ Die Maler bekamen Angst. Eines Samstags Anfang Juli, mitten im Wahlkampf für Kongos erste freie Wahlen, die dem geschundenen Land erstmals Demokratie bringen sollen, packte Kongos einzige überlebende Künstlerkolonie still und leise die Koffer.

Nun arbeitet jeder für sich, irgendwie, irgendwo, man trifft sich abends und an Wochenenden und hofft auf das Glück. Zu Hunderten sind die Bilder der „Ateliers Botembe“ durch Kinshasa verstreut, von den Hinterhöfen Matonges bis zur Abstellkammer der deutsch gegründeten Procredit-Bank mitten in der Stadt, wo die letzte große Ausstellung des Ateliers stattfand.

Der Abriss in der Avenue Kabinda 2 im Stadtbezirk Lingwala gehört zum großen Ausverkauf, der Kongo pünktlich zu den Wahlen ergriffen hat. Kurz bevor die Allparteienregierung der Warlords die Macht verliert, verscherbelt jeder darin alles, worauf er die Hände legen kann. Kongo zum Abschluss des Friedensprozesses ist wie die DDR kurz vor der Wiedervereinigung. Riesige Bergwerke mit pharaonischen Schätzen gehen für Spottpreise an windige Investoren, unter Ausschluss der Öffentlichkeit. Ganze Ortschaften wechseln den Besitzer, der Kaufpreis verschwindet spurlos. Die Busgesellschaft Transcom, wo Botembe malte, wurde vom Schatzministerium für 900.000 Dollar verscherbelt. Wo das Geld ist, weiß niemand.

Der neue Eigentümer hat Wachleute der privaten Sicherheitsfirma „Delta“ ans Tor gesetzt, die sogar die Polizei herumkommandieren. Während Botembe durch seine verlassenen Räume führt, sammelt eine Polizistin Balkenteile aus niedergerissenen Gebäudeteilen als Brennholz für die Kollegen, die in den Ruinen wohnen: Kongo als Bettler in den eigenen vier Wänden.

Botembe nennt seine eigene Kunst „Transsymbolismus“. Aus Motiven afrikanischer Masken, kombiniert mit der europäischen Moderne, schafft er einen abstrakten, im Kongo sehr beliebten Stil. Mobutu Sese Seko, jahrzehntelang Diktator des Kongo, das damals noch Zaire hieß, war einer seiner besten Kunden, nach landestypischer Manier: Je größer die Bilder, desto begehrter, und die Maler wurden zum Präsidenten bestellt wie Knechte zum Fürsten. Trotzdem erinnert sich Botembe gerne an den Gewaltherrscher. „Mobutu hatte Kunstsinn“, sagt er. „Er ging immer in Ausstellungen und hielt seine Leute an, das auch zu tun. Er war ein großer Mäzen.“

Die beiden Präsidenten Kabila hingegen, die seit Mobutus Sturz 1997 den Kongo regieren, hält der Maler für Banausen. „Kabila hat nie in Europa gelebt. Er hat kein Niveau. Er war nur in Tansania. Er hat keine Ahnung von Ästhetik.“

Hier zeigt sich einer der Gründe für die tiefe Ablehnung, die Kongos Präsident Joseph Kabila aus der kulturellen und intellektuellen Szene der Hauptstadt entgegenschlägt und die dazu führt, dass diese sich bei den Wahlen Ex-Rebellenführer Jean-Pierre Bemba zugewandt hat.

Bemba, Sohn eines reichen Geschäftsmannes der Mobutu-Ära, erinnert durch seine Herkunft an die alten Zeiten und hat zugleich durch seine Kriegsführung in den letzten Jahren seine Meisterschaft der neuen Gewaltära unter Beweis gestellt. In Kinshasas Oppositionsvierteln wie Matonge zeigt sich, wie das alte Protestmilieu neue Helden sucht.

Botembe versteht das, und zugleich sträubt sich etwas bei ihm. „Unsere Jugend ist eine Zeitbombe, denn sie hat keine Perspektive“, sagt der alternde Maler. „Jetzt sagt sie: Unsere Hoffnung ist Bemba. Was für eine Hoffnung? Das wird schrecklich. Andererseits sprach ich neulich mit einem Politologen, der schimpfte: Bemba ist ein Verbrecher. Ich sagte: Es ist der Staat, der ein Verbrecher ist! Bemba hat immerhin Kultur. Er hat einen schlechten Charakter, aber er hat Niveau. Wenn eine Jugend keine positiven Modelle hat, zu denen sie aufblicken kann, was soll sie machen? Wir leben in einem Land, das seine Bevölkerung nicht schützt. Der Staat verkauft sogar Fußballfelder in den Armenvierteln, und dann wundert man sich, dass die Leute Bemba wählen in der Hoffnung, dass er sie zurückgibt. Mobutu hat immerhin nicht Wälder und Flüsse verkauft! Es gibt im Kongo keinen Platz für Künstler heute. Aber es gibt in der Gesellschaft eine Sehnsucht nach Kunst.“ Er kann stundenlang so weiterreden, eine Trauerrede für ein verflossenes Land.

Papy Mulumbas Straßenverkäufer ist ein Symbol für Präsident Joseph Kabila. Er trägt ein weißes Hemd, das sich mit viel Blau und Schwarz unten im Bild gegen die leuchtenden Tropenfarben absetzt, und er hat unter der Kiste auf seinem Kopf einen offenen, etwas dümmlichen Blick. „Das ist der Eierverkäufer!“, ruft Papy.

„Eierverkäufer“ war der Spitzname, den Kabila sich in einer seiner wenigen Wahlkampfreden – seltene Ereignisse, die regelmäßig katastrophal missglückten – selbst gab, als er seine Zurückhaltung gegenüber seinen Gegnern so verteidigte: „Ein Eierverkäufer sucht keinen Streit.“ Denn wenn er zu streiten anfängt, fallen ihm die Eier herunter.

Es war nicht wirklich ein staatsmännischer Vergleich. Ganz Kinshasa lacht seitdem über den Staatschef. „Er ist so lieb, dass er sich nicht traut, mit den Leuten zu reden“, lästert Papy. „Aber wehe, ihn kitzelt eine Ameise! Dann wirft er alles hin!“

Gäbe es Raum dafür in Kinshasa, die Metropole wäre eine der lebendigsten Debattierzentren Afrikas, mit einer Lust zu Disput und Widerspruch, die auf dem Kontinent seinesgleichen sucht. Botembe und seine Freunde träumen von einem Kulturhaus in Kinshasa, einer „Cité des Arts“, mit Studios, Veranstaltungsräumen, Kino. Botembe hat von einem befreundeten Architekten Pläne erarbeiten lassen und meint, für eine halbe Million Dollar wäre das realisierbar – wenn es Sponsoren gäbe.

„Meine letzte Lösung wäre, die Koffer zu packen und zu gehen, denn ich bin ein Fremder in meinem eigenen Land,“ resümiert der Maler. Wie sieht er denn sein Land? Botembe lacht und zeigt auf ein auf rostiges Metall gemaltes Bild, in dem sich schemenhafte Figuren und Werbeslogans ineinanderfügen, wie in Bildern von George Grosz aus der Zeit kurz nach dem Zusammenbruch des deutschen Kaiserreiches. „Man sagt: Wo es kein Leben mehr gibt, gedeiht die Kunst.“ Jetzt rostet auch sie.