Reiseziel Kabul

Hamburg spielt wieder einmal Vorreiter: Als erstes Bundesland will es afghanische Familien abschieben. Und das, obwohl das Auswärtige Amt vor Reisen warnt. Die Familie Azizi mit zwei schulpflichtigen Kindern soll Ende Oktober nach Kabul fliegen

von Elke Spanner

Mit der Abschiebung von Afghanen ging es Hamburg nie schnell genug. Senator Udo Nagel (parteilos) hatte schon im Mai 2005 die ersten Rückreisetickets nach Kabul bestellt, ehe die Länder sich auf der Innenministerkonferenz im Juni 2005 auf ein einheitliches Vorgehen verständigten.

Nun prescht Hamburg erneut voraus: Als erstes Bundesland schiebt die Hansestadt Familien mit schulpflichtigen Kindern ab. Rund 1.300 Personen haben eine Vorladung in die Ausländerbehörde bekommen, „um ihren Status zu klären“, wie Innenbehördensprecher Marco Haase sagt. Unmissverständlich wird den Familien dabei aber auch deutlich gemacht, dass bei Verweigerung der „freiwilligen“ Ausreise die gewaltsame Rückkehr mittels Abschiebung droht.

Bei der Familie Azizi aus Hamburg-Altona ist das Amt sogar schon einen Schritt weiter. Bei ihrem Gespräch am 18. Juli, bei dem offiziell nur die Bereitschaft zur freiwilligen Ausreise geklärt werden sollte, hat man den fünf Familienmitliedern bereits die Pässe abgenommen. Die braucht die Behörde, um die Abschiebepapiere zu organisieren. Die Azizis haben statt ihrer Ausweise nur Passersatzpapiere mit einer Duldung bekommen, die am 26. Oktober ausläuft – und nach Auskunft des Sachbearbeiters nicht mehr verlängert werde, erzählt der 21-jährige Sohn Ramin.

Die Azizis leben seit fast sechs Jahren in Hamburg. Drei Jahre lang konnte Vater Abrahim Azizi arbeiten, dann wurde die Arbeitserlaubnis nicht mehr verlängert. Die achtjährige Tochter Mariam geht zur Grundschule, der 16-jährige Roman macht gerade seinen Realschulabschluss. Laut Behördensprecher Haase könnte es ein Ausreisehindernis sein, wenn ein Kind kurz vor seinem Schulabschluss steht. Das Ausländeramt hat den Azizis trotzdem bereits schriftlich die Abschiebung angekündigt.

Im Juni 2005 hatte die Innenministerkonferenz einen Stufenplan erarbeitet, nachdem zunächst nur alleinstehende Männer, in der Folge dann Ehepaare und schließlich ganze Familien nach Afghanistan zurückkehren müssen. An diesem Zeitplan hält Nagel stur fest, ohne die Gegebenheiten vor Ort in Kabul noch einmal überprüft zu haben. Und ohne zu berücksichtigen, was das Auswärtige Amt über Afghanistan zu berichten hat.

Das Bundesaußenministerium warnt nachdrücklich vor Reisen nach Afghanistan. Schon aus humanitären Gründen: In weiten Teilen des Landes bestehe keine medizinische Versorgung. Im Süden sei Malaria stark verbreitet, in Kabul grassiere die Cholera. Zudem sei nach wie vor mit einer „Gefährdung durch terroristische Anschläge“ zu rechnen: „In der Hauptstadt Kabul kann es trotz Präsenz der internationalen Schutztruppe zu Attentaten kommen“, so das Auswärtige Amt mit Datum von gestern.

Nachts komme es in Kabul häufig zu Schießereien und Gewaltverbrechen. In Vororten und Seitenstraßen bestehe „auch tagsüber die Gefahr von Überfällen“. Außerhalb der Hauptstadt sei die Gefahr noch sehr viel größer. „Die Sicherheitskräfte der Regierung sind nicht in der Lage, landesweit Ruhe und Ordnung zu gewährleisten.“

Die Hamburger Innenbehörde ficht das nicht an. Relevant seien diese Informationen nur für westliche Touristen, nicht für afghanische Flüchtlinge, sagt Sprecher Haase. „Das Auswärtige Amt differenziert da durchaus.“ Zudem seien nach dem offiziellen Ende des Bürgerkrieges vor viereinhalb Jahren rund 4,5 Millionen Flüchtlinge zurückgekehrt, vor allem aus Pakistan und dem Iran. „Das würden die nicht tun, wenn die Lage nicht sicher wäre.“

Die Azizis haben da ganz andere Informationen. Sie fürchten nicht nur um ihre Sicherheit. Die Eltern haben keine Ahnung, wie sie in Kabul eine Existenz für die Familie aufbauen sollen. Verwandte oder Bekannte haben sie in Afghanistan keine mehr. Auf der Ausländerbehörde habe man ihnen gesagt, so Sohn Ramin, dass sie „für ein paar Tage“ in Notunterkünften leben könnten.