„Bewerbungen jetzt bitte ohne Bild“

Heute tritt das Allgemeine Gleichbehandlungsgesetz in Kraft. Viele Firmen haben sich auf die Änderungen noch nicht eingestellt, so Fachanwalt Volker Schneider. Vor allem beim Bewerbungsverfahren gilt es in Zukunft aufzupassen

taz: Herr Schneider, über das Allgemeine Gleichbehandlungsgesetz sind erschreckende Geschichten im Umlauf. Etwa diese: Ein Behinderter, ein Muslim, eine Frau und ein deutscher Mann bewerben sich auf eine Stelle. Wenn der deutsche Mann sie bekommt, werden die drei anderen Bewerber wegen Diskriminierung klagen. Stimmt das?

Volker Schneider: Ganz so einfach ist es nicht. Man kann nur klagen, wenn man irgendetwas in der Hand hat, das die Vermutung zulässt, dass man diskriminiert wurde. Wenn aber die Stellenausschreibung diskriminierungsfrei ist und auch das Bewerbungsgespräch in dieser Hinsicht in Ordnung war, dann wird der Kläger nicht weit kommen.

Wie sieht eine diskriminierungsfreie Stellenanzeige aus?

Sie sollten beispielsweise nicht solche Anforderungen hineinschreiben wie: jung, dynamisch und akzentfrei deutsch sprechend, wenn das nicht unabdingbar für die Stelle ist. Das ist ein Zeichen dafür, dass Ältere, körperlich Behinderte und Nichtdeutsche diskriminiert werden könnten. Man muss sich also sehr viel genauer überlegen, welche Eigenschaften der Arbeitsplatz wirklich erfordert. Alles, was in Bezug auf die gesetzlichen Diskriminierungsmerkmale missverständlich sein könnte, sollte man in Zukunft vermeiden.

Ist es diskriminierend, wenn es in der Ausschreibung heißt: Bewerbung bitte mit Bild? Denn das Bild kann ja zeigen, wie alt man etwa ist oder ob man einen Migrationshintergrund hat.

Das wird viel diskutiert. Weil wir noch nicht wissen, was deutsche Gerichte aus dem Gesetz machen werden, orientiert man sich im Moment an den USA. Und dort ist es mittlerweile verpönt, ein Bild zu verlangen. Ich würde also nicht eine „Bewerbung mit Bild“ fordern, sondern eine „vollständige Bewerbung“ – und dann hoffen, dass ein Bild dabei ist.

Gibt es denn keine Rechtfertigungen dafür, dass man etwa doch einen jungen Mitarbeiter suchen darf?

Doch. Wenn ich etwa einen bestimmten Altersaufbau im Unternehmen haben will, dann kann das ein Grund sein, nach einer bestimmten Altersgruppe zu suchen. Solche Beschränkungen müssen aber sehr gut begründet sein.

Worauf müssen Arbeitgeber im Bewerbungsgespräch achten?

Man darf etwa nicht nach der Familienplanung fragen. Oder sich überrascht zeigen, wie alt der Bewerber schon ist. Oder ein Vorgesetzter kommt dazu und macht eine spontane Bemerkung, die zeigt, dass bestimmte Personengruppen nicht erwünscht sind.

Wenn ein Supermarktbesitzer keine Frau mit Kopftuch an der Kasse haben will, was tut er dann?

Er sortiert die Bewerbung gleich aus und schickt sie ohne Angabe von Gründen zurück. Diese Diskriminierung kann man nämlich kaum mit irgendwelchen Begründungen rechtfertigen. Er müsste nachweisen, dass die Kunden erheblich weniger kaufen, wenn eine Frau mit Kopftuch an der Kasse sitzt. Das kann er in der Regel nicht.

Und wenn es in so einem Fall dann doch mal zum Prozess kommt? Mit welcher Strafe muss er dann rechnen?

Wenn es noch weitere Ablehnungsgründe gibt, die Frau die Stelle also auch ohne Kopftuch nicht bekommen hätte, zahlt er höchstens drei Monatsgehälter an sie. Das ist eine Entschädigung für die Verletzung der persönlichen Würde. Wenn sie den Anforderungen aber ansonsten entspricht, dann gibt es diese Begrenzung nicht. Die Entschädigung muss dann auch „abschreckend“ sein. Das ist ein Novum im deutschen Recht. Wie viel die Gerichte konkret ansetzen werden, wissen wir deshalb noch nicht. Aber das ist ein Punkt, an dem die Leute in den Schulungen immer etwas schockiert sind. Denn die vergleichbaren amerikanischen Entschädigungszahlungen, die auch „abschreckend“ sein müssen, sind ja enorm. So weit wird es in Deutschland aber nicht kommen. Das Arbeitsgericht Berlin hat beispielsweise einem abgelehnten behinderten Bewerber im vergangenen Jahr sechs Monatsgehälter zugesprochen.

Diskriminierte Frauen können schon sehr lange klagen, sie tun es aber nicht oft. Wird das AGG zu mehr Klagen führen?

Das AGG ist stärker: Es setzt auf die Öffentlichkeitsarbeit, zum Beispiel durch die Antidiskriminierungsstelle, sodass ein anderes Problembewusstsein entstehen wird. Die Unternehmen sind im Gesetz angewiesen, Mitarbeiter zu schulen. Und es gibt nun in jedem Bereich Antidiskriminierungsverbände. Man wird bald wissen, für welches Problem man sich an welchen Verband zu wenden hat, um dort beraten zu werden. Das AGG hat das Potenzial, das deutsche Arbeitsrecht spürbar zu verändern. Wie stark die Veränderungen sein werden, liegt in der Hand der Gerichte. Komplizierter wird es auf jeden Fall. INTERVIEW: HEIDE OESTREICH