Robbie, streng vertraulich

Es ist nicht leicht, Robbie Williams zu sein. Es ist aber auch ziemlich schwer, die streng geheimen Songs von seinem neuen Album zu hören. Das Protokoll einer quälenden „Listening Session“

VON MARTIN WEBER

Robbie Williams im Jahr 2006, das bedeutet zum Beispiel ein Management, das Fotografen während der Europatour vorschreiben wollte, wo und wie oft diese ihre Fotos drucken lassen durften. Es bedeutet auch eine Schwemme von Groupies, denen Williams’ Management für ihr Schweigen offenbar weniger geboten hat als der Boulevard für ihr peinliches Geplapper („Mir hadden zweemal Sex, und zwischendurch war’n mer duschännn“). Lästiger noch als all seine Nebenwirkungen sind nur die Dinge, die Robbie Williams selbst zu verantworten hat.

Seine mit lauwarmer Routine und solider Halbherzigkeit absolvierten Deutschland-Konzerte beispielsweise. Und das künstlerisch so desaströse wie immer noch aktuelle Album „Intensive Care“. Der erst im vergangenen Herbst veröffentlichte Tonträger muss dringend durch einen neuen, nach Möglichkeit besseren ersetzt werden; Williams’ Plattenfirma EMI ist schließlich ein börsennotiertes Unternehmen, und einer wie Williams darf sich da allerhand leisten, solange es keine sinkenden Umsätze sind.

Dennoch ist es für Musikjournalisten alles andere als einfach, die Songs des schlicht „1974“ betitelten neuen Williams-Album (erscheint Mitte September) vorab zu hören – auch dann nicht, wenn der Journalist die eingeforderte „Vertraulichkeitserklärung“ (inklusive, bei Zuwiderhandlung, der Androhung einer Vertragsstrafe von mindestens 5.001,– Euro) vorschriftsmäßig unterschrieben artig bei der Dienst habenden Promoterin abgeliefert hat. Im Kölner MediaPark entpuppt sich der vor dem EMI-Gebäude geparkte „Van“ leider nicht als geräumiger Nightliner, sondern als sechssitziger Mercedes Benz.

So gestylt, wie sich Werbe-Fuzzis ewige Jugend, Hip-, Coolness und Street Credibility vorstellen: Die Scheiben sind im Mitfahrer-Bereich verspiegelt, am Heck prangt Robbie Williams, der eines seiner fünf Robbie-Williams-Gesichter aufgelegt hat, seitwärts ist zackig und nach Art eines Graffiti-Tags der Titel der ersten Single des neuen Albums geschrieben: „Rudebox“. Dass der Schriftzug (wie auch der ganze Rest) nur aufgeklebt ist: geschenkt.

Viel wichtiger ist ohnehin, dass der Journalist den „Van“ nicht einfach so entern kann. Vor das Einsteigen haben die Vorsichtsmaßnahmen an diesem Tag eine blonde Frau gestellt, der die ganze Angelegenheit sichtlich peinlich ist. Wenn der groteske Strass-Gürtel um ihre Hüften die Wahrheit sagt, heißt die Frau Angela, und Angela hat im Grunde nichts mit der ganzen Veranstaltung zu tun: Sie ist als Fahrerin ebenso wie das Gefährt selbst für die Werbemaßnahmen angemietet. Was nichts daran ändert, dass sie zunächst das Handy des Journalisten einsammelt.

Und dann etwas macht, was der Journalist bei einer „Listening Session“ noch nie erlebt hat. Aus einer grünen Plastiktasche fischt Angela einen Detektor hervor, wie er auch auf jedem Flughafen zum Einsatz kommt, der Journalist wird von oben bis unten gescannt, und selbstverständlich piepst es im Akkord: beim Schlüsselbund, Brillenetui, beim Gürtel, bei Kaugummis. Eine Leibesvisitation inklusive pudelnackig machen fand wider Erwarten nicht statt, und nach diesem so beeindruckenden wie lästigen Vorspiel wird dann tatsächlich das neue Werk von Robbie Williams vorgespielt. Im „Rudebox Van“, der immer noch vor dem EMI-Gebäude im Kölner MediaPark steht. Das erste Stück, die komplett misslungene Vorab-Single „Rudebox“, in der Robbie Williams den Kirmes-Rapper gibt, ist gerade verklungen, als Getränke gereicht werden. Den Jux, nur eines annehmen zu wollen, wenn es das Sicherheitspersonal vor den Augen des Journalisten verkostet, nimmt Angela komplett humorlos; wann das Flughafenspiel zu Ende ist, bestimmt eben immer noch die EMI – und nicht der Berichterstatter.

Wie „1974“ ist? Viel zu lang, viel zu oft wummernd und allzu oft dröhnend langweilig. Stück Nummer fünf, es heißt „She’s Madonna“ und wurde für Robbie gegen Geld von den Pet Shop Boys hergestellt, ist eine seifige Achtzigerjahre-Produktion, die mit der klebrigen R&B-Soße der späten Neunzigerjahre garniert wurde und fürchten lässt, im Background-Chor könnte Audrey Landers mitsingen.

Nach der Trennung von Guy Chambers muss die große Stärke von Robbie Williams – der Faktor POP – in den 17 Songs von „1974“ leider weitgehend draußen bleiben; stattdessen wird, so dummdreist wie kalkuliert, gnadenlos in Richtung Bestsellerstapel komponiert und produziert: Soul, R&B, ein bisschen Hiphop und Dancebeats sollen möglichst in jedem Track drin sein, damit das auch weiterhin Menschen gut finden, die sich nicht für Musik interessieren – dafür aber gerne eine pseudohippe Klangtapete in den Ohren hängen haben möchten. Ein Lied, es ist eine Coverversion des Human-League-Stücks „Louise“, singt Robbie Williams richtig gut. Aber spätestens bei „Dickhead“ hat man dann endgültig die Faxen dicke: Im „hidden track“ des neuen Albums geht es wieder mal um die Luxusleiden, die einen Star in seinem privilegierten Leben so ereilen. Wie dröge, wie dämlich. Als Angela die Schiebetür des „Rudebox Van“ nach dem letzten Ton von „1974“ schließen darf, sieht sie nicht gerade glücklich aus. Aber doch irgendwie froh, dass sie eine weitere „Listening Session“ hinter sich gebracht hat.

Sie ist längst aus dem MediaPark gekurvt, als uns klar wird, dass zumindest der Titel des finalen Tracks das ganze Gewese um Robbie Williams ganz gut zusammenfasst. Den Job am Bestsellerstapel müssen andere machen; wir sind raus, Dickhead.