Immer schön sachlich bleiben

taz-Serie „Bezirkssache“ (Teil 4): Im Bezirk Mitte regieren eigentlich der Senat und der Bund. Sie kümmern sich um die vielen Großprojekte. Die Bezirksregierung muss sich mit wenig spektakulären Themen beschäftigen. Das befördert den undogmatischen Umgang der Parteien miteinander

In keinem der 2001 fusionierten Bezirke sind die Gegensätze größer geblieben

von FELIX LEE

Wenn kümmert schon das Parteibuch? Im Bezirk Mitte geht’s allein um die Sache. Nur so ist zu erklären, dass die Bezirksgrünen vor einem Jahr zusammen mit der FDP und der Linkspartei den Neubau der grünennahen Heinrich-Böll-Stiftung am Krausnickplatz verhinderten, während SPD und CDU in der Bezirksverordnetenversammlung (BVV) dafür stimmten. „Wir setzen uns doch nicht jahrelang für eine Grünfläche ein und werfen alles über Bord, nur weil unsere eigene Stiftung das will“, begründet der Grünen-Bezirkspolitiker Frank Bertermann die damalige Entscheidung seiner Fraktion.

Mit der Konzentration auf Sachpolitik ist auch zu erklären, warum sich Joachim Zeller von der CDU fünf Jahre mit Hilfe von Linkspartei und Grünen als unumstrittener Bezirksbürgermeister halten konnte. Unterstützt wurde er bei seiner Wahl von den Grünen zwar nur, weil die SPD der langjährigen Grünen-Baustadträtin Dorothee Dubrau ihr Amt beschneiden wollte. Dennoch ist es nicht unwahrscheinlich, dass der ehemalige CDU-Landeschef Zeller auch in der nächsten Legislaturperiode auf die Unterstützung der beiden kleinen linken Parteien zählen kann. „In Mitte zählt Sachpolitik“, sagt Bertermann. Und Zeller habe „gute Arbeit“ geleistet.

Doch Sachpolitik im Großbezirk Mitte bedeutet auch, dass es kaum wirkliche Aufregerthemen für die Bezirkspolitiker gibt. Der riesige Neubau des Bundesnachrichtendienstes (BND) auf dem Gelände des einstigen Stadions der Weltjugend in der Chausséestraße wäre so eines. Die Grünen wollten ihn verhindern und dort ein Wohngebiet ohne Autos entstehen lassen. Doch der Widerstand gegen die Schnüffelbehörde wurde bald verworfen, weil sich ohnehin kein Investor für das Wohnprojekt fand.

Das im Bau befindliche Erlebniseinkaufszentrum „Alexa“ zwischen Alexanderplatz und Jannowitzbrücke – im Volksmund „Banane“ genannt – wäre ein weiterer Streitpunkt: Das Zentrum könnte das umliegende Kiezgewerbe noch weiter zerstören, fanden die Grünen und die Linkspartei. Doch obwohl Stadtentwicklung eines der wenigen Felder ist, bei der eine Bezirksregierung mitzureden hat, riss der Senat das Projekt an sich – wie so viele Bauten und Projekte in Mitte, über die der Senat bestimmt, und wenn nicht er, dann der Bund. Da bleibt den Bezirkspolitikern kaum etwas anders übrig als „Sachpolitik“, auch ein Synonym für die Beschäftigung mit unbedeutenden Themen.

Doch selbst wenn es anders wäre, wenn es nicht um die prestigeträchtige Mitte der Bundeshauptstadt mit ihren vielen repräsentativen Bauten und Projekten gehen würde – auf einen gemeinsamen Nenner ist Politik in Mitte nur schwer zu bringen. In keinem der 2001 fusionierten Bezirke sind die Gegensätze größer geblieben. Während sich in den wenigen Wohngebieten zwischen Potsdamer Platz, Friedrichstraße und Regierungsviertel hinter den modernen Glitzerpalästen und den sanierten Sandsteinbauten die „Neue Mitte“ eine überteuerte Yuppie-Idylle geschaffen hat, herrscht in den verwahrlosten Altbaugebieten entlang der Soldiner Straße im Wedding oder im Beusselkiez in Moabit eine der höchsten Armutsraten der Stadt. Die Bezirksregierung hat die Gegend rechts und links des Gesundbrunnencenters zum inzwischen sechsten und siebten Problemviertel erklärt. Hier dürfen sich Quartiersmanager ausprobieren – „präventiv“, betont Sozialstadtrat Christian Hanke (SPD).

Besonders prekär bleibt die Situation der nichtdeutschen Bevölkerung. Sie stellten noch im Jahr 2004 gut ein Viertel der Gesamtbevölkerung von Mitte, aber über 40 Prozent jener Personen, die von Sozialhilfe lebten. In keiner Kommune bundesweit ist die Kluft zwischen Arm und Reich größer als im Großbezirk Mitte.

Entsprechend heterogen ist die Wählerschaft: Mitte erstreckt sich von Gegenden wie Berlins höchsten Plattenbauten entlang der Leipziger- und Heinrich-Heine-Straße, wo die Linkspartei.PDS selbst dann ihre Hochburg halten würde, „wenn sie einen Besenstil zur Wahl stellen würde“ – das behauptet zumindest Grünen-Kandidat Bertermann. In den Altbezirken Wedding und Tiergarten bestimmt hingegen die SPD seit vielen Jahrzehnten die politische Linie. „Kein Weg führt an ihr vorbei“, sagt Bertermann. Da kann es sich der SPD-Fraktionsvorsitzende und Sozialstadtrat von Mitte, Christian Hanke, sogar leisten, drei Parkbänke vor seiner Stammkneipe zu beseitigen, nur weil ihn und den Kneipier die dort oft sitzenden Alkis störten. Die Folge: Die nahe gelegene Erika-Mann-Schule wurde zum neuen Dauertreffpunkt der Besoffenen. Fast ein halbes Jahr lang ging es deswegen im Bezirksparlament hoch her. Die Wähler empörte dies kaum. Entsprechend wiegelt Hanke ab, sobald er auf seine Initiative angesprochen wird. „Eine der drei Parkbanken steht doch wieder.“

Die Grünen wiederum sehen sich in der aufstrebenden Mitte von Mitte im Aufwind. Die einstige Alternativpartei muss lediglich die Konkurrenz der FDP fürchten – auch sie buhlt in den fast durchgehend luxussanierten Kiezen Rosenthaler- und Spandauer Vorstadt um eine ähnliche Wählerklientel.

Große Verluste droht allein Bürgermeister Zeller und seiner CDU. Die konservativen WählerInnen sind in den traditionell eher roten Hochburgen ohnehin rar gesät. Der aktuelle Landestrend spricht jedenfalls gegen Zellers Partei. Und der gescheiterte CDU-Landesvorsitzender, der 2005 nach nur zwei Jahren seinen Posten wegen „Führungsschwäche“ und „zu blassen Auftretens in der Öffentlichkeit“ räumen musste, zeichnet sich in der Bezirkspolitik eher als „unideologischer Pragmatiker“ aus – er ist damit jedoch aus Sicht von CDU-Wahlkämpfern auch weitgehend „profillos“. Eine Ausnahme – auf die Zeller im Nachhinein wohl lieber verzichtet hätte: In der Diskussion um den 60. Jahrestag der Befreiung am 8. Mai bezeichnet er die rot-rote Regierung als „Linksblock“, dessen Abwahl ein „Tag der Befreiung für Berlin“ sei. Später nannte er seine Worte einen „Fehler“. Der Schaden blieb an seiner Person haften.

Verlieren wird Zeller sein Amt nach dem 17. September nur, wenn die SPD einen Stimmenzuwachs bekommt, der ihr drei statt der bisher zwei Bezirksamtsposten bescheren würde. Dann hätten die Sozialdemokraten um Christian Hanke die Mehrheit – und das ist eher unwahrscheinlich. Bertermann von den Grünen versichert zwar, dass „schwarz-grün keineswegs ausgemacht ist“. Auf einen SPD-Filz wie im Wedding und Tiergarten vor der Bezirksfusion habe er jedoch auch keine Lust. Überhaupt, so Bertermann, der die Nachfolge von Baustadträting Dubrau anstrebt, „zählt ja allein die Sachpolitik“.