Auf eigene Faust ins Abgeordnetenhaus

Neben den etablierten Parteien kandidieren bei den Senatswahlen auch wieder unabhängige Kandidaten. Ihre Anliegen sind vielfältig und ihr Wahlkampf ist bürgernah. Vier von ihnen haben sich gestern offiziell vorgestellt

„Komm, Ali, du kennst doch alle, dann kannst du auch kandidieren“

Seit 20 Jahren betreibt Ali Kamburoglu ein Lebensmittelgeschäft direkt neben dem U-Bahnhof Birkenstraße in Moabit. Was er in letzter Zeit beobachtet, lässt ihm keine Ruhe: Täglich müssten die Kinder aus den benachbarten Schulen die Drogenszene rund um den U-Bahn-Halt Birkenstraße passieren. Darüber hinaus verschlechtere sich die Situation für kleine Gewerbetreibende wie ihn immer mehr. Probleme, die von den großen Parteien einfach nicht angepackt würden, sagt Kamburoglu, der 1979 aus der Türkei zum Studieren nach Deutschland kam.

„Komm, Ali, du kennst doch alle, dann kannst du auch kandidieren“, haben ihn seine Bekannten ermutigt. Kamburoglu ließ sich nicht lange bitten und kandidiert nun als Parteiloser im Wahlkreis Mitte. Er ist optimistisch, nach dem 17. September ins Abgeordnetenhaus einzuziehen und unter den großen Parteien ein bisschen „für Unruhe“ sorgen zu können.

Misstrauen gegenüber den großen Parteien und eine gehörige Portion Optimismus, alleine etwas bewegen zu können – das haben alle neun unabhängigen Kandidaten, die für das Abgeordnetenhaus kandidieren wollen. Vier von ihnen präsentierten sich und ihre vielfältigen Anliegen gestern in der Kanzlei von Georg Zenker in Wilmersdorf.

Natürlich sei es schwer, gegen die anderen Parteien anzutreten, sagt der 56-jährige Anwalt. „Die haben schließlich enorme Mittel aus der Parteienfinanzierung zur Verfügung.“ Rund 8.000 Stimmen bräuchte er, um mit einer einfachen Mehrheit ins Abgeordnetenhaus einziehen zu können, hat er sich ausgerechnet. Um genügend Wähler auf seine Seite zu bekommen, hat er sich für die nächsten Wochen noch viel vorgenommen: Möglichst große Teile seines Wahlkreises wolle er ablaufen und das Gespräch mit den Bürgern suchen. Sollte er dann tatsächlich den Sprung ins Berliner Parlament schaffen, will sich Zenker vor allem für Volksabstimmungen nach dem Vorbild der Schweiz und öffentliche Petitionen stark machen.

Neben Zenker sitzt in kurzen Hosen und T-Shirt Kurt Schettlinger. Besser bekannt sei er unter dem Spitznamen „Kutte“ aus seiner Zeit als ehrenamtlicher Schwimmlehrer Anfang der 90er. Schettlinger bezeichnet sich selbst als „gelernter Ostler“ und engagiert sich deshalb für einen „Lastenausgleich für alle Ostberliner“, sowie einen kostenlosen öffentlichen Nahverkehr.

Früher habe er bereits für die Grauen Panther und die Stadtpartei kandidiert. „Gebracht hat das aber alles nichts. Die Parteien haben abgewirtschaftet. Wir brauchen ein neues System, in dem alles auf den Prüfstand muss“, ist er sich sicher. Heute kandidiert er als Parteiloser. Die 45 notwendigen Unterschriften von Unterstützern habe er in der Lichtenberger Kaufhalle in gerade einmal zwei Stunden zusammengehabt. Sollte er tatsächlich ins Berliner Abgeordnetenhaus einziehen, wolle er die Bürger seines Wahlkreises darüber informieren, was dort hinter verschlossenen Türen beschlossen werde.

Wiederholungskandidat ist Frank Ditsche, ein 40 Jahre alter gelernter Großhandelskaufmann aus Reinickendorf. Die Bankenaffäre habe ihn damals auf Distanz zu den Parteien gebracht und ihn ermutigt, selbst in die Politik einzusteigen. Gleich 2001 hat er für das Abgeordnetenhaus kandidiert und immerhin 1,3 Prozent der Stimmen erhalten. „Ein kleiner Erfolg“, auf den Ditsche stolz ist. Genauso wie auf sein erfolgreiches Engagement für eine sichere Tempo-30-Zone neben einer Kita in Reinickendorf oder die Versiegelung von Backenzähnen bei unter Sechsjährigen, die aufgrund seines persönlichen Engagements nun die Krankenkasse bezahlen müsse. Tatenlos würde auch er nicht im Abgeordnetenhaus sitzen, sagt Ditsche. Gerade ein Parteiloser könne bei knappen Mehrheitsverhältnissen oft das berühmte Zünglein an der Waage sein. Jonas Moosmüller