Das ist Agit-Pop

Trotz der Verrisse giert das Publikum nach Brandauers „Dreigroschenoper“ in Berlin. Kein Wunder – oder könnte es eine schönere linke Seelenmassage geben in der miesen Angela-Merkel-Republik?

VON JAN FEDDERSEN

Was schert die Leute schon Despektierliches, wenn es gegen ihre Sehnsucht geht? So ist das oft bei Hollywoodfilmen, die mit kritischem Gestus versenkt werden – wie Anfang 1998 James Camerons Blockbuster „Titanic“ beispielsweise. Alles ästhetischer Sondermüll, aber Leute wollen goutieren, was sentimental ist.

Ähnliches ist nun aus Berlin zu melden, wenn auch aus dem eher bildungsbürgerlichen Segment des Theaters, genauer: von der „Dreigroschenoper“, die jetzt in der Inszenierung Klaus Maria Brandauer im notdürftig sanierten Admiralspalast gegeben wird. Nicht mit Ben Becker, immerhin, aber mit Campino von den Toten Hosen.

Niemand der Kritiker fand warme Worte für das Unterfangen. Der Tagesspiegel kommentierte ungnädig, die Welt nicht minder, Christian Semler in der taz entdeckte „keine Idee, nirgends“. Und der Spiegel konnte sich die kalauernde Überschrift „Tote Hose im Admiralspalast“ nicht verkneifen. Aber was soll man sagen, als öffentlicher Beobachter, der den schmutzigen Knotenpunkt Friedrichstraße besucht, nicht ahnend, dass dort wirklich ku’dammartiges Gewusele zur Abendvorstellung ein leichtes Verkehrschaos verursacht? Kurz: Die Aufführung findet Anklang, Brecht und Weill und deren „Dreigroschenoper“ sind bildungsbürgerliches Stadtgespräch. Karten werden mittlerweile bei Ebay versteigert, da die Vorstellungen bis weit in den September weitgehend ausverkauft sind.

Kulturelle Sehnsucht

Abend für Abend wird das vom Bauschutt vielleicht mutwillig ungetilgte Foyergelände also überrannt von Menschen, meist übrigens in schlecht sitzenden Anzügen, Kostümen, leicht verstaubten Halbschuhen und Pumps – aber so ist Berlin, diese Stadt der „Dreigroschenoper“ ist nicht München oder Hamburg, wo man selbst linksradikalen Stoff in feinsten Textilien genießt.

Doch dass es die „Dreigroschenoper“ ist, die Agit-Pop stiftet, die so genannte Querdenker bedient wie ideologische Oldtimer, überrascht allerdings beim dritten Blick nicht. Erstens ist dieses Sing- und Wortspiel ja auch kaum mehr als ein Teil von der Deutschen Liebe zur Operette beziehungsweise zum Musical. „Phantom der Oper“, „Im weißen Rössl“ oder eben die Brecht-Geschichte: alles Entertainment mit mehr oder weniger krassen Angeboten zur Identifikation.

Zweitens sind ja Campino und Brandauer (und Gott sei Dank nicht Ben Becker) keine Schlechten, jedenfalls verkörpern sie die Neue Mitte der Angelamerkelrepublik auf das Hübscheste: ein bisschen grobschlächtige Unterhaltung der Siebziger bis Neunziger, dazu Burgtheatergewölk mit Bildungsanspruch – das stiftet Interesse aus sich selbst heraus. Außerdem liegt der Admiralspalast so passend vor dem Tränenpalast, wie ein jüngst zum Abbruch bestimmtes Hindernis in der Blickachse zum Berliner Ensemble, jenem Theater, an das westlinke Intellektuelle andocken konnten, um zum Glauben zu finden, dass in der DDR doch der Sozialismus seine Heimstatt haben werde.

Drittens aber, und darauf kommt es an, bedient die „Dreigroschenoper“, allen Einwänden der Kritik zum Dementi, das Lebensgefühl vieler Menschen (und Leserbriefschreiber), die irgendwie SPD, Grüne, PDS oder die WASG wählen: Endlich mal ein Singspiel, in dem gesagt wird, was auch heute Sache ist. Kapitalisten sind Gauner, Aktienbesitz ist Diebstahl – und alles ein einziger Strich, auf den man zu gehen gezwungen sei.

Eine Stimmung, wie sie auch gern in den Siebzigern konsumiert wurde, über die Romane Günter Wallraffs hauptsächlich: „Ihr da oben, wir da unten“. Und Brechts Weimarer-Republik-Empfinden scheint da das rechte Vademecum für das neue Jahrtausend, jedenfalls, den Besuchern des Stücks nach zu urteilen, für das Gros der Altgewordenen. Dabei gab es dieses Revival, diese Sentimentalität in Sachen „Ach wie war es schön damals“, schon in den Sechzigern. Jede Diseuse bediente sich der Ballade der Seeräuberjenny, um das eigene Repertoire zu veredeln – sei es Hildegard Knef, Esther Ofarim, später, viel später, Gott ja, auch Ute Lemper oder Maddy Prior.

Content als Pop

Von Bertolt Brecht, seines Lehrstücks „Die Maßnahme“ wegen der Stalinist unter den Wichtigen der deutschen Literatur, stammt der Seufzer vom „Einfachen“, das „so schwer zu machen“ sei. Er wollte damit sagen, dass es ein hartes Brot für einen Theaterautor ist, Anspruch mit Schmackes, also Content als Pop zu schaffen. Mit Klaus Maria Brandauer kann man lernen: Die schlichtesten Musicals sind die schönsten. Der recycelte Erfolg der „Dreigroschenoper“ lag in der Luft: Der linksliberale Mainstream giert nach unkomplizierter Kulturware. Er findet statt nach dem Gesetz des Pop(ulären): Das richtige Stück zur rechten Zeit am besten Ort.