Kreuzberg wird unpolitisch

Aus Angst vor der NPD verbietet Friedrichshain-Kreuzberg allen Parteien die Nutzung öffentlicher Räume. Stadtrat nennt die Entscheidung „mutig“, grüner Kandidat spricht von „Ungeheuerlichkeit“

Von Elisabeth Rank

Im Kampf gegen Rechtsextremismus greift der Bezirk Friedrichshain-Kreuzberg zu radikalen Mitteln. Aus Angst vor der NPD hat das Bezirksamt einstimmig beschlossen, für die Zeit des Wahlkampfs Parteien keine öffentlichen Räume zur Verfügung zu stellen. Diese Taktik stößt auf scharfe Kritik: „Es ist eine Ungeheuerlichkeit, dass wir Demokraten beim Willensbildungsprozess behindert werden, weil die Nichtdemokraten Räumlichkeiten des Bezirks anmieten könnten“, sagt Özcan Mutlu, grüner Direktkandidat im Bezirk. Diese Art der Auseinandersetzung mit der NPD sei nicht nur fragwürdig, sondern beschämend für alle Demokraten, so Mutlu.

Die Bezirke müssen bei der Vergabe eigener Räumlichkeiten darauf achten, allen Parteien die Möglichkeit zu geben, dort Veranstaltungen durchzuführen. Dem habe man sich nicht gewachsen gefühlt, sagte Bezirksbürgermeisterin Cornelia Reinauer (PDS) der taz. Es gebe schlichtweg zu wenig „passende Räume“. Deswegen könne man den Gleichbehandlungsgrundsatz für alle Parteien nicht gewährleisten.

Das ist aber nicht der einzige Grund: Erst in der vergangenen Woche hatte die NPD in den Rathäusern Tempelhof und Schöneberg zwei Wahlkampfveranstaltungen organisiert. Der Bezirk konnte dies rechtlich nicht verhindern; SPD, Grüne, FDP und PDS demonstrierten dennoch dagegen (taz berichtete).

Auf Anfrage räumte Lorenz Postler (SPD), Wirtschaftsstadtrat von Friedrichshain-Kreuzberg, ein, dass „mehrere Anfragen der NPD“ zu der Entscheidung geführt hätten. Man wolle die rechtsextreme Partei in den öffentlichen Räumen Friedrichshain-Kreuzbergs nicht haben. Darum müsse man allen Parteien die Nutzung dieser Räume verwehren, so Postler. „Wir hatten den Mut, als Partei auf die Räume zu verzichten, um der NPD keine Chance zu geben“, rechtfertigt auch Reinauer die Entscheidung. Genauso verfährt der Bezirk Pankow: Auch dort hat das Bezirksamt Parteien generell verboten, öffentliche Räume zu nutzen.

Özcan Mutlu hingegen kritisiert den Beschluss: „Sich wegducken und der politischen Auseinandersetzung mit der NPD aus dem Weg gehen funktioniert nicht.“ Sein Parteikollege, der Baustadtrat Franz Schulz, sieht das anders: „Wir möchten aktiv verhindern, dass die NPD in unseren Räumen Propaganda betreibt.“ NPD-Veranstaltungen zuzulassen und dann hilflos mit Pappschildern davorzustehen, das sei nicht im Interesse des Bezirksamts, so Schulz. Dem Vorwurf Mutlus, das Bezirksamt wolle sich einer Auseinandersetzung mit den Rechten entziehen, entgegnet er: „Diesem Thema widmen wir uns lieber aktiv mit Hilfe von Initiativen und nicht durch Demonstration vor dem eigenen Haus.“

Nicht nur Räume des Bezirks sind in Friedrichshain-Kreuzberg nun nicht mehr für Parteien zugänglich. Auch beim Oberbaumbrückenfest am vergangenen Wochenende wurden keine Parteistände zugelassen. Es hätten hier ebenfalls Anfragen der NPD vorgelegen, sagt Reinauer. „Wir wollten das Fest nicht durch Auseinandersetzungen mit den Rechten gefährden.“

In einer Stadtbibliothek im Bezirk wurde dem Verein Lesewelt selbst eine Lesung mit Özcan Mutlu untersagt. Mutlu könne seine Lesungen nach der Wahlkampfzeit aber wie gewohnt fortsetzen, so Reinauer. Die NPD wird schon früher aktiv: Am 12. September findet eine Wahlkampfveranstaltung im Rathaus Charlottenburg statt.