Grüne kriegen rote Augen

Die Grünen glotzen in einer Galerie in Mitte 24 Stunden lang öffentlich Fernsehen. Da sie dabei gefilmt werden, können sie sich am Ende sogar selbst im TV bestaunen. Dennoch fällt ihre Bilanz negativ aus: „Zu wenig Programmvielfalt“

Erstaunlicherweise sind auch zur 19. Stunde des Feldversuchs am eigene Leibe alle noch guter Dinge: Ermattet hängen gestern Morgen um 1.30 Uhr die grünen Bundestagsabgeordneten und „TV-Dauerglotzer“ Grietje Bettin, Fritz Kuhn, Anna Lührmann und Wolfgang Wieland in den Sofakissen. Renate Künast, die auf ein paar Runden solidarisches Channel-Hopping hereinschaut, hat Biobier aus dem Urgetreide Emmer mitgebracht, dazu wird ganz zielgruppenaffine Bionade gepichelt, und irgendwo stehen neben Kaffee und Tee auch verschämt ein paar Dosen Red Bull rum.

Mit dem öffentlichen Rund-um-die-Uhr-Fernsehmarathon in der Galerie Wohnmaschine in Mitte wollten die Bundestagsabgeordneten eine ganz persönliche Bestandsaufnahme der deutschen Fernsehlandschaft wagen. Ihr Fazit fiel nicht nur wegen der fortgeschrittenen Uhrzeit ernüchtert aus: Trotz üppiger Senderzahl gebe es „zu wenig Programmvielfalt“ im deutschen TV-Angebot.

Sowohl im öffentlich-rechtlichen Rundfunk als auch bei den Privatsendern wünschen sich die Grünen mehr Sendeformate und tiefer gehende Berichterstattung, sagte der Fraktionschef der Bundestagsfraktion, Fritz Kuhn – er hielt dabei die Fernbedienung fest in der Hand. Schon beim ersten taz-Besuch um die Mittagszeit hatte er sich gewundert, wie „Medien in den Medien zelebriert werden“. Berlins Abgeordneter Wolfgang Wieland zappte derweil durchs Pay-TV-Angebot von Discovery Channel („Das krieg ich bei mir zu Hause gar nicht“). Er hätte die historische Doku über Schulungsfilme, die GIs 1945 vor ihrem Einsatz im besetzten Deutschland zu sehen bekamen, gern weitergeguckt: „So was hätten sie in den USA mal vor der Besetzung des Irak zeigen sollen.“ Allerdings: Auf Sat.1 wartete „Britt deckt auf“, eines der letzten lebenden Exemplare der einstmals so zahlreichen Gattung Trash-Talkshow. Es war erst die 999. Ausgabe der Sendung.

Eins zeigte sich schnell beim Glotzmarathon: PolitikerInnen sind keine DurchschnittszuschauerInnen. „Ich gucke vielleicht noch Sport, aber ansonsten fast nur Nachrichten und politische Sendungen“, bilanzierte die medienpolitische Fraktionssprecherin, Grietje Bettin. Der statistische Normalglotzer hängt dagegen pro Tag 211 Minuten vor der Mattscheibe. Und das auch nicht im reflektierenden Viererkreis mit reichlich Medienpräsenz drum herum, sondern meisten ganz allein.

Doch für die Abgeordneten war nicht nur viel Neues im „normalen“ Programm dabei. Auch die eigene Medienpräsenz bekam plötzlich eine andere Dimension: „Wenn man mal zehn Minuten im ZDF ist, kommt einem das unglaublich viel vor“, sagte Fritz Kuhn: „Aber wenn man das gesamte Umfeld sieht und weiß, dass die Leute davon durchschnittlich über drei Stunden am Tag gucken, wird man schon demütig.“

Und weil mitten in der Nacht ein Team des ARD-„Morgenmagazins“ vorbeikam, war den ProbandInnen eine ganz besondere Medieninszenierung vergönnt: sich selbst um kurz vor sechs in der früh auf dem Bildschirm zu erleben. Fast live, beim Fernsehgucken. STEFFEN GRIMBERG