Die Barbarei des Luftkriegs

Die Rede vom „asymmetrischen Krieg“ dient der Propaganda und der Selbstberuhigung. Sie soll über das eigentliche Dilemma im „Krieg gegen den Terror“ hinwegtäuschen

Jeder Krieg ist auch ein Krieg um Bilder. Nur völlig Vernagelte verlieren dabei die Opfer aus dem BlickDie Einwohner des Libanon waren so wenig „Schutzschilde“ wie die Vietnams oder im Zweiten Weltkrieg

Seit dem 11. September 2001 geistert die Parole vom „asymmetrischen Krieg“ durch die Medien und hatte im Libanonkrieg wieder Konjunktur. So diagnostizierte die NZZ: „Israel führt diesen Krieg gegen die Hizbollah bewusst mit asymmetrischer Härte.“ Für die FAZ hingegen gehörte „zum gegenwärtigen asymmetrischen Krieg, dass die Hizbollah Zivilisten als Schutzschilde nimmt“. In der taz verdächtigte man eine andere Zeitung einer „asymmetrischen Bildersprache“ durch die Art, in der diese die Kollateralschäden des völkerrechtswidrigen Krieges bebilderte. Und für den Zürcher Tages-Anzeiger bestand „die Asymmetrie“ darin, dass „in Israel die Mehrheit der Todesopfer Soldaten sind“, im Libanon dagegen „vorwiegend Zivilisten“. Alles also – irgendwie – asymmetrisch?

Vom Kriegstheoretiker Carl von Clausewitz (1780–1831) stammt die Floskel vom „asymmetrischen Krieg“ nicht. Denn der wusste, dass jede Kriegsstrategie und -taktik darin besteht, Asymmetrien auszunutzen, also Schwächen des Gegners mit eigenen Stärken zu begegnen. Insofern gehört Asymmetrie zu jedem Krieg. Das heißt nun nicht, dass es keine Unterschiede gäbe zwischen Kriegen, die Armeen gegeneinander führen, und Kriegen von Armeen gegen Guerillaverbände. Doch die Phrase vom „asymmetrischen Krieg“ bezieht sich nicht allein auf diese Unterschiede. Der Politologe Herfried Münkler etwa wollte den Lesern der FAZ (am 19. 8. 2006) mit winkeladvokatischer Rabulistik einflüstern, im Libanonkrieg bestehe die Asymmetrie nicht in der militärischen Überlegenheit der israelischen Armee und dem Monopol auf Kampfflugzeuge, sondern darin, dass die Medien die Bilder von „unschuldigen Zivilisten“ in aller Welt verbreiteten und so den Goliath gegenüber David ins Unrecht setzten.

Dahinter steht die schlichte These, wonach aus dem Krieg auf dem Schlachtfeld ein Krieg um Bilder, also ein „Medienkrieg“ geworden sei: „Der Kampf auf dem Gefechtsfeld wird vom Kampf um die Sichtbarkeitsverhältnisse im Krieg überlagert“, so Münkler. „Im Kern lief die Bebilderung des Konflikts auf die Gegenüberstellung martialischer Soldaten und ‚unschuldiger Zivilisten‘ hinaus.“ Will Münkler mit seinen perfiden Anführungszeichen die über 1.000 toten Zivilisten im Libanon zu Scheintoten oder gar Schuldigen erklären?

Bilder und Medien spielten nicht erst in diesem Krieg eine Rolle. Was jedoch mit der Floskel „asymmetrisch“ als Novität feilgeboten wird, ist nur ein alter Hut. Schon vor über 300 Jahren meinte der französische Philosoph Pierre Bayle (1647–1706), früher hätte man nach Kriegen noch Sieger und Besiegte gekannt, und fuhr dann fort: „Aber diese alten Lehren sind nicht mehr im Schwange, unser Jahrhundert verhält sich ganz anders. Auf Kosten des gesunden Menschenverstandes sieht man nur noch Siege und Sieger, ohne dass es Besiegte gäbe.“ Bayle kannte den Schuldigen: „Das Ganze ist das Werk der Zeitungen.“ Das war schon damals weniger als die Halbwahrheit.

Die Parole vom „Bilderkrieg“ (Gerhard Paul) führt in die Irre. Natürlich ist jeder Krieg – heute stärker als früher – immer auch ein Propagandakrieg um Bilder und mit Bildern von beiden Seiten. Aber nur Selbstvernagelung verliert deshalb den Krieg – mit den Opfern an Menschen und den materiellen Schäden – aus dem Blick. Die Behauptung, „der postmoderne Krieg“ sei im Unterschied zum herkömmlichen „vor allem ein Anschlag auf die Wahrnehmung“, wie Gerhard Paul schrieb, oder „der Kampf mit Waffen“ werde durch „den Kampf mit Bildern konterkariert“, wie Herfried Münkler behauptet, entspringt der bornierten Perspektive von Fernsehzuschauern und Freizeit-Clausewitzen. Zivilen und militärischen Kriegsbeteiligten auf beiden Seiten, aber auch Beobachtern ohne verklebte Brillen ist der Unterschied zwischen dem, was Bilder und was Waffen bewirken, so klar wie der Unterschied zwischen Leben und Tod. Gegenüber dem Geschwätz vom „virtuellen Krieg“ (Paul Virilio, Jean Baudrillard) muss man an Max Horkheimer erinnern: „Die Erschlagenen sind wirklich erschlagen.“

Das Gerede vom „asymmetrischen Krieg“ entspringt der Propaganda für den „Krieg gegen den Terrorismus“. Das ist erstens eine Phrase, mit der verschleiert wird, welche politischen Ziele und wirtschaftlichen Interessen im Spiel sind. Und zweitens wird damit die jedem Leutnant geläufige Einsicht überspielt, dass militärische Mittel gegen einen terroristischen – also verdeckt agierenden – Gegner die ungeeignetsten sind, zu denen die Staatsgewalt greifen kann, wenn sie von Terroristen angegriffen wird. Die Floskel vom „asymmetrischen Krieg“ dient also vor allem der Rechtfertigung des „Krieges gegen den Terrorismus“ und der Selbstberuhigung über die militärischen, politischen und moralischen Ungereimtheiten dieser Kreuzzugsweisheit. Die quantitativ neue Dimension von terroristischen Gewaltakten mit dem 11. September machen diese Verbrechen noch nicht zum Krieg. Mit Aussicht auf Erfolg können sie polizeilich und politisch, aber nicht militärisch bekämpft werden.

Das Kidnapping von israelischen Soldaten und der nicht zu rechtfertigende Beschuss israelischer Siedlungen und Städte war kein Krieg, sondern eine Provokation in erpresserischer Absicht. Wie schon 1982 nahm aber die israelische Militärdemokratie auch jetzt den Anlass zum Vorwand – damals die Ermordung eines Diplomaten – für einen Krieg gegen Zivilisten, medial drapiert als „Selbstverteidigung“. Dabei bediente sie sich hauptsächlich der Zombie-Strategie des Luftkriegs.

In diesem geht es nach seinem Erfinder Giulio Douhet (1869–1930) nicht um die Vernichtung der gegnerischen Armee, sondern getroffen werden sollten alle „Lebenszentren“, wobei Douhet „jede Unterscheidung zwischen Kriegführenden und Nichtkriegführenden“ ablehnte. Nie ist die „barbarische Freiheit der schon gestifteten Staaten“ (Kant) größer als im Krieg – das zeigt ein Blick auf die Geschichte der Luftkriegsführung, die am Schluss des Zweiten Weltkriegs wie zuvor in Guernica und danach in Vietnam und im Irakkrieg nur funktionierte, weil eine Seite aus der Luft faktisch allein operierte, also Asymmetrie herrschte. Das kaschiert die Propaganda damit, der israelische Luftkrieg sei die einzig mögliche Antwort darauf gewesen, dass die Hisbollah-Kämpfer die libanesische Zivilbevölkerung als „Schutzschild“ instrumentalisiert hätten. Die Einwohner libanesischer Städte waren so wenig „Schutzschilde“ wie die deutscher und japanischer Städte am Ende des Zweiten Weltkriegs.

Die wirkliche Asymmetrie im Libanonkrieg zeigt nicht die „Verbildlichung“ (Münkler) aus dem Lehnstuhl, sondern die Opferbilanz von 1:10 und die Schadensbilanz von wenigstens 1:100.000. Die waffentechnische Überlegenheit der USA in Afghanistan und im Irak sowie jene Israels in Palästina und im Libanon befördern die Barbarisierung des Krieges stärker als die ebenso primitive wie aussichtslose und selbstdestruktive terroristische Gewalt.

RUDOLF WALTHER