Die Uni als Ruheraum

Weil die Kofferbomber aus dem akademischen Milieu stammen, taucht eine unbequeme Frage auf: Ist die Uni nur der ideale Parkplatz für „Ready to kill“-Studenten – oder ist sie gar deren Brutstätte?

VON CHRISTIAN FÜLLER

Als vor über einer Woche Youssef Mohamads Studentenbude in einem Kieler Wohnheim durchsucht wurde, begann auch für die deutschen Hochschulen eine Uhr zu ticken. „Wir hoffen nicht, dass noch mehr mutmaßliche Täter aus dem universitären Umfeld kommen.“ Mit diesen Worten gestanden Vertreter akademischer Einrichtungen der taz, dass auch sie alarmiert sind. „Denn dann beginnt wieder eine unerfreuliche Debatte über die Universitäten.“ Wenige Tage und zwei festgenommene Studenten später ist es so weit: Ist die deutsche Universität eigentlich der ideale Ruheraum für islamistische Attentäter? Das fragen sich nicht wenige.

Ende Juli hatten zwei junge Männer große Koffer mit angeblich sprengfähigem Inhalt in Zügen deponiert. Nach dem Kieler Verdächtigen, einem Studienbewerber, stellte sich heraus, dass auch der zweite mutmaßliche Kofferbomber formell zum Studieren nach Deutschland gekommen war. Und in Konstanz kreuzten Spezialkommandos der Polizei in einer Studentenunterkunft auf – um auf Uni-Gelände nach Zündern, Gebrauchsanleitungen zum Bombenbau und ideologischen Beweisen für die Bildung einer terroristischen Vereinigung zu suchen.

Die Fälle verbreiten mehr Angst als der des Hamburger Studenten und 11.-September-Piloten Mohammed Atta. Atta schrieb zwar in Deutschland seine Diplomarbeit über die Probleme der arabischen Stadtentwicklung, er bombte aber außer Landes. Die jungen Islamisten aus Hochschulen in Kiel, Köln und Konstanz wollten, wenn man dem Bundeskriminalamt glauben darf, mit ihren an den Unis entworfenen Bomben hierzulande Menschen töten. Kein Wunder also, wenn das Misstrauen steigt, ob sich freie Mitarbeiter und Praktikanten von al-Qaida wohl am liebsten die Universität als Parkplatz aussuchen.

Dass die Unis Terroristen züchteten, würde niemand behaupten wollen. Aber eines ist für Beobachter klar: Als Ruheraum kann man sich fast keinen besseren Ort aussuchen als die Hochschulen. Sie verleihen einen Status, bieten Wohnraum, und dort ist die verführbare Intelligenz zu Hause. Ein Schläfer, wie die ruhenden Attentäter im Geheimdienstjargon heißen, kann auf das Grundaxiom der Massen-Uni stets vertrauen: „Die wissen nicht einmal, dass ich da bin.“ Die hierzulande üblichen akademischen Gepflogenheiten beinhalten zudem, dass es ein systematisches Gesprächsangebot an der Uni nicht gibt. Kein Schläfer muss sich davor fürchten, etwa in einen anstrengenden Diskurs mit Kommilitonen zu geraten. Die sind nicht selten selbst Schläfer – wenn auch ganz profane Karteileichen oder unauffällige Pseudo-Studis, denen die Immatrikulationsbescheinigung eher als Rabattmarke denn als Studierberechtigung dient.

Das kundige Personal der Hochschulen wiegelt ab. Nein, die Uni habe mit Islamismus nichts zu tun. Der Studienberater und Uni-Psychologe Hans-Werner Rückert etwa führt an, dass es mehr Fragen als Indizien gibt. Die Uni wandle sich gerade grundlegend, sagt er, durch die Einführung von Studiengebühren und neuer, straffer Kurzstudiengänge. „Bachelor können es sich nicht leisten zu schlafen.“ Rückert, der an der FU Berlin arbeitet und Bücher über den seelischen Zustand der deutschen Uni schreibt, interessiert sich mehr für die psychologische Dimension. Das heißt: Wie entstehen die Täter aus dem akademischen Milieu? Wurden sie bereits vorher rekrutiert und als „Ready to kill“-Studenten eingeschleust? Oder sind es ganz normale Gaststudenten, die erst hier, in der Konfrontation mit der westlichen Kultur, zu Tätern mutieren? „Wenn sie Ekel vor unseren Lebensformen empfinden“, argumentiert Rückert, „dann ist dagegen kein Kraut gewachsen.“

Für Uni-Präsidenten und Wissenschaftsminister machen solche psychologischen Fragestellungen den Job nicht gerade leichter. Ihnen kann es egal sein, wie die Täter entstehen. Fakt ist, dass sie die Universität irgendwann als Basislager für ihre Operationen nutzen (könnten). Und wenn der Ruf der deutschen Hochschule weltweit inzwischen der ist, dass man dort am bequemsten seine menschlichen Zeitzünder zwischenparkt, dann ist das ja kein kleines Problem.

Die Verfassungsschützer jedenfalls sind längst auf die Hochschulen aufmerksam geworden. Vor dem 11. September 2001, sagte der Islamexperte des württembergischen Verfassungsschutzes Herbert Müller der Frankfurter Allgemeinen Sonntagszeitung, „war das für uns sozusagen verbotenes Gebiet“. Nach Mohammed Atta durchkämmten die Dienste per Rasterfahndung die Hochschulen ein erstes Mal. Das gab zwar, wie Studentenvertreter triumphieren, mehr Ärger als Fahndungserfolge. Aber nach den jetzigen Anschlagsversuchen wird die Frage neu gestellt. Was ist wichtiger – eine bis ins „Scheißegal“ reichende akademische Freiheit oder zumindest die Einsicht, dass die Universität auch für islamistisch Verführbare ein sehr sensibler Ort ist.