Unter Überspannung

STOCKHOLM taz ■ Die Schwachstelle, welche die Reaktorsicherheitskommission nun beim AKW Brunsbüttel konstatiert, hatte eine zentrale Rolle beim Störfall im schwedischen AKW Forsmark. Und sie hatte die schwedische Strahlenschutzbehörde SKI veranlasst, auch gegen drei weitere baugleiche Reaktoren ein Betriebsverbot zu verhängen.

Ein Kurzschluss hatte in Forsmark die äußere Stromversorgung zusammenbrechen lassen. Zwei der vier Notstromgeneratoren – die daraufhin hätten automatisch anspringen müssen – versagten den Dienst. In Gang gesetzt werden sollten diese Notaggregate eigentlich durch die von AEG gelieferte „Anlage zur ununterbrochenen Stromversorgung“ (USV). Diese Geräte enthalten Batterien, die bei einem Wegfall der Reaktorstromversorgung automatisch einen Impuls geben sollen, welcher die Notstromversorgung in Gang setzt.

Nach SKI-Darstellung war es bei der ersten Generation dieser USVs nur möglich, diese mit Wechselstrom anzusteuern. Um auf die Gleichstrombatterien zuzugreifen, muss bei solchen Geräten über einen Wechselrichter Wechselstrom zu Gleichstrom „umgewandelt“ werden. Fällt diese Regeleinrichtung aus, erhalten die Notstromgeneratoren nicht den Startimpuls.

Genau das passierte am 25. Juli in Forsmark. Durch den Wegfall des äußeren Netzes kam es zu einer Überspannung im inneren Wechselstromnetz auf 120 Prozent der nominellen Stromstärke. Diese Überspannung konnten die Wechselrichter der USV nicht verkraften. Die Sicherungen wurden ausgelöst mit der Folge, dass die Notstromgeneratoren keinen Startimpuls erhielten. Die fraglichen USV-Komponenten waren auf eine Überspannung von 120 Prozent nicht eingestellt, sondern auf ein Spannungsintervall zwischen 85 und 110 Prozent. AEG behauptet, es habe insoweit durchaus kein technischer Fehler vorgelegen: Die entsprechenden konkreten Einstellungen seien von Forsmark so bestellt gewesen.

Glück im Unglück in Forsmark war, dass bei zwei der vier USV trotz der oberhalb der Spannungsgrenze liegenden Überspannung die Sicherungen nicht ausgelöst wurden, sondern deren Batterien an „ihre“ Notstromgeneratoren einen Startimpuls gaben. Mit Hilfe dieser beiden Generatoren konnte dann die Kühlung des Reaktorkerns notdürftig aufrechterhalten werden. Hätten auch für diese beiden Generatoren die USV „planmäßig“ funktioniert, wären sie ebenso wie die beiden anderen nicht in Gang gekommen. „Wenn keiner der vier Notstromgeneratoren funktioniert, bedeutet dies eine Kernschmelze binnen eineinhalb bis zwei Stunden“, schätzt Juhani Hyvärinen, Abteilungsleiter für Kernkrafttechnik beim der staatlichen finnischen Strahlenschutzamt Säteilyturvakeskus (STUK) die potenzielle Gefahr des Forsmark-Störfalls ein. Doch auch, dass lediglich zwei Generatoren in Gang kamen, hatte in Forsmark schwere Folgen: Die Stromversorgung der Kontrolleinrichtungen fiel vollständig, die der Steuerungseinrichtungen teilweise aus. Die Bedienungsmannschaft konnte den Reaktor 22 Minuten entweder gar nicht und nur „blind“ steuern.

Mittlerweile weithin üblich sind USVs, die statt ausschließlich über Wechselstrom auch mit Gleichstrom angesteuert werden können. Bei ihnen entfällt eine mögliche, die vermutlich zentrale Forsmark-Fehlerquelle. In Schweden sind die fünf noch in Betrieb befindlichen Reaktoren mit solchen anders konstruierten USVs ausgerüstet. Weshalb bei ihnen SKI auch keinen Betriebsstopp veranlasste. REINHARD WOLFF