Der Störfall ist möglich

AKW-Betreiber Vattenfall hat stets erklärt, für Wechselstromstörungen nicht anfällig zu sein. Doch das ist falsch

VON NICK REIMER
UND JÜRGEN VOGES

Das Ultimatum läuft zum Dienstschluss ab: Der schwedische Energiekonzern Vattenfall muss bis heute Abend vor Bundesumweltminister Sigmar Gabriel (SPD) erklären, wie es um die Sicherheit des AKWs Brunsbüttel bestellt ist. Es geht um das Notstromsystem und einen möglichen Ausfall der Anlage – zumindest vordergründig. Im Hintergrund steht die Glaubwürdigkeit des Betreibers auf dem Spiel. Gabriel: „Es hat sich auch aufgrund der neuen Details als richtig herausgestellt, dass wir eine umfassende Sicherheitsüberprüfung der Stromversorgung der deutschen Atomkraftwerke angeordnet haben.“

Am Freitag hatte zu dieser Sicherheitsüberprüfung der Fachausschuss „Elektrische Einrichtungen“ der Reaktorsicherheitskommission (RSK) getagt. Entgegen früheren Einlassungen hatte Vattenfall dem Ausschuss überraschend erklärt, dass Teile des Notstromsystems von Brunsbüttel doch wie in Forsmark auf Wechselstrom angewiesen seien. In Forsmark hatte am 25. Juli ein technisches Steuerbauteil versagt – der sogenannte Wechselrichter (siehe rechts). Daraufhin hatte die schwedische Reaktorsicherheitskommission alle baugleichen Reaktoren vom Netz genommen.

Anders in Deutschland: „Das Kernkraftwerk Brunsbüttel weist keine sicherheitstechnischen Mängel auf“, erklärte am 16. August Bruno Thomauske, Geschäftsführer des Brunsbüttel-Betreibers Vattenfall Europe Nuclear Energy GmbH (VENE). Damit wolle er Behauptungen „des Vereins Deutsche Umwelthilfe zurückweisen“. Die hatte nämlich erklärt, dass die Notstromversorgung im Siedewasserreaktor Brunsbüttel dieselben sicherheitstechnischen Mängel wie Forsmark aufweist.

Punktsieg für den Verein: Das Bundesumweltministerium und das für die Aufsicht über Brunsbüttel zuständige Land Schleswig-Holstein gehen jetzt davon aus, dass im AKW an der Elbe zumindest ein ähnlicher Störfall wie in Schweden stattfinden könnte. Bei den Untersuchungen der RSK habe sich herausgestellt, dass auch im AKW Brunsbüttel technische Regeleinrichtungen auf Wechselstrom angewiesen sind und damit im Störfall nur über Wechselrichter mit dem nötigen Notstrom versorgt werden können.

Nach Angaben des für Reaktorsicherheit zuständigen Abteilungsleiters im Sozialministerium in Kiel, Wolfgang Cloosters, ist das AKW Brunsbüttel aber immer noch besser gegen solche Störfälle gewappnet als das schwedische AKW Forsmark. „In Brunsbüttel könnten die Notstromdiesel anders als in Schweden in jedem Fall gestartet werden“, sagte Cloosters der taz. Für die Pumpen und zur Abführung der Nachzerfallswärme nach einer Abschaltung des Reaktors stehe damit genügend Strom zur Verfügung. Allerdings müsse der Strom zur Versorgung der Warte Wechselrichter durchlaufen. Und daher seien eben „auf der Warte Abläufe wie in Schweden nicht auszuschließen“. Anders als in Forsmark stehe in Brunsbüttel aber zusätzlich ein unabhängiges Notstandssystem zur Verfügung. Es gebe neben der normalen Steuerzentrale des Kraftwerks noch eine Notstandswarte mit eigener Notstromversorgung. Die Atomaufsicht in Schleswig-Holstein will sich allerdings auf die Existenz der Notstandswarte nicht verlassen. Auch sie verlangt bis heute Abend den Nachweis von Vattenfall, dass die Stromversorgung der Kraftwerkszentrale in Brunsbüttel auch bei einem Störfall noch funktioniert.

Die Deutsche Umwelthilfe fordert dagegen, Brunsbüttel sofort stillzulegen. „Vattenfall hat objektive Falschaussagen“ über die Unabhängigkeit der Brunsbüttel-Sicherheitssysteme von Wechselrichtern verbreitet, erklärte DUH-Geschäftsführer Jürgen Resch. Zum wiederholten Male stelle sich die Frage, „ob die im Atomgesetz von den Betreibern vorgeschriebene zwingend geforderten Zuverlässigkeit bei Vattenfalls noch da ist“. Resch erinnerte an eine Wasserstoffexplosion, die im Dezember 2001 nur knapp neben dem Reaktordruckbehälter passierte. Obwohl Brunsbüttel nur ganz knapp an einer Katastrophe vorbeischrammte, ließ der Reaktorbetreiber das AKW zwei Monate weiterlaufen. Man hatte nichts gemerkt.