„Wie war es möglich?“

Katja Herrlich beispielsweise leistet Widerstand

von GABRIELE GOETTLE

Katja Herrlich, Rechtsanwältin, engagierte Antifaschistin in Frankfurt/Oder. Einschulung 1980 i. d. Polytechnischen Oberschule „Hermann Matern“ Vetschau, ab 1990 EOS/Gymnasium Calau. Abitur 1992. Jurastudium a. d. Europa-Universität Viadrina, Frankfurt/Oder, von 1992–2001. 1993–2001 studentische Mitarbeiterin a. Lehrstuhl von Prof. Dr. Dr. Uwe Scheffler für Strafrecht, Strafprozessrecht u. Kriminologie a. d. EVU. 1. Staatsexamen Jan. 2001; 2. Staatsexamen Nov. 2003. Frau Herrlich ist in einer Frankfurter Anwaltskanzlei tätig, ihr Arbeitsschwerpunkt ist Strafrecht, Strafprozessrecht und Verwaltungsrecht. Sie ist Mitglied im Republikanischen Anwältinnen- und Anwälte-Verein (RAV). Katja Herrlich wurde am 23. 10. 1973 in Altdöbern/DDR geboren, sie ist ledig und hat keine Kinder. Ihr Vater war Kabelmonteur, ihre Mutter Lehrerin (beide sind heute Rentner).

Noch ist sie verhältnismäßig klein, die Zahl der organisierten Rechtsextremen. Besorgniserregend ist die größer werdende Menge der aktiven und gewalttätigen Mitläufer. Mehr als besorgniserregend ist die Verwandlung von faschistoidem Gedankengut und Nazisymbolik, gemixt mit Emblemen und Outfit der autonomen Linken, zum Faszinosum einer angesagten Jugendkultur. Katastrophal ist, dass sich fremdenfeindliche, rassistische, antisemitische und antisoziale Einstellungen vom ultrarechten Rand der Gesellschaft – einer Gesellschaft, die gestern noch gefragt hat, „Wie war das möglich?“ – bis hinein in ihre Mitte, sozusagen stillschweigend ausgebildet und etabliert haben. Mit diesem Spektrum bekommt zu tun, wer sich querstellt.

Nachdem anfängliche Bedenken ausgeräumt waren, empfängt uns Katja Herrlich in ihrer WG mit Tee und überraschender Offenheit. So fest wie ihr Händedruck scheint ihre gesamte Persönlichkeit zu sein. Sie wirkt auf eine angenehme Weise selbstsicher, energisch und verlässlich. Sie möchte nicht fotografiert werden.

„Ich muss ja nicht mit Bild erscheinen, die sollen sich ihre Fotos selber suchen… Sie hatten mich ja schon auf ihrer Liste, die Neonazis, ‚Frankfurter Frontberichter‘ nannte sich das, ich wurde da geführt als Hauptverantwortliche für den ‚roten Terror‘ hier in der Stadt. Das Theater mit den Deppen geht ja schon mehr als 13 Jahre, ich erzähl einfach mal, damit ihr euch ein Bild machen könnt. 1992 bin ich hierher an die Uni gekommen zum Jurastudium. Ich bin im Spreewald aufgewachsen, als DDR-Kind sozusagen, ganz normal. Das erste, was ich nach der Wende von Frankfurt/Oder gesehen habe im Fernsehen, war der Beschluss, die Uni neu zu gründen, und das waren die Bilder von den Flaschen- und Steinwürfen zum Empfang der polnischen Bürger, als sie hier rüberkamen 1991, als die Visaregelung geändert worden war. Zu diesem Zeitpunkt war ich noch zu Hause. Das hat mich schon gestört. Als ich dann aber hier war, im Studentenheim gewohnt habe, hatte ich bald viele Kontakte, auch hier in der Stadt. So kam ich in meinen heutigen Freundeskreis.

Anfang der 90er war das relativ krass hier, politisch. Es gab diese erste Hausbesetzerszene bei uns, und die hatte ständig Stress mit den Nazis, die richtig in Horden ankamen und das Haus angegriffen haben, sodass es die Leute oben vom Dach aus verteidigen mussten. Es war dann so, dass die Staatsanwaltschaft relativ rigoros vorgegangen ist gegen die Nazis. 93, glaub ich, gab es einen Angriff auf einen Nigerianer am Bahnhof, der Täter bekam sieben Jahre. Und auch gegen Nazidemos ist massiv vorgegangen worden – auch vom Staat. Wahrscheinlich hat sich das deshalb alles hier etwas beruhigt. Bei der Hausbesetzung, bei der ich dann dabei war, 1994, da ging’s nicht mehr so krass zu. Ja, es gab schon Vorfälle, auch in der Stadt, dass ausländische Studenten nachts angemacht worden sind, besonders in der Straßenbahn. Uns haben sie eher in Ruhe gelassen die eineinhalb Jahre, die wir unser Haus hatten.

Das war aber zugleich der Zeitraum, in dem die sich unheimlich entwickelt hat, die Naziszene, organisatorisch. Da gab’s dann ein so genanntes Nationales Pressearchiv, den Nationalen Beobachter, aus dem dann der Frankfurter Frontbeobachter wurde, den gab’s übrigens bis Mitte 2005. Also, das waren bundesweit vernetzte Hetzpostillen, in denen im Rahmen der so genannten Anti-Antifa-Aktivitäten der Nazis die ausgespähten politischen Gegner – Leute wie wir und auch Politiker, Richter, Staatsanwälte, Polizisten, Journalisten – mit Namen, Adresse und Autokennzeichen veröffentlicht wurden, drunter dann die Aufforderung: ‚Kameraden, lasst euch was einfallen.‘

Später bei einer Hausdurchsuchung, in einem anderen Zusammenhang, wurden deutlichere Aufforderungen gefunden, zum Beispiel ‚Klagt nicht an – richtet!‘ Dann gab’s hier den Jörg Hähnel, der ist heute Bundesvorstandsmitglied der NPD. Seit 2001 ist er in Berlin und leitet den Kreisverband Pankow, ihr kennt ihn sicher, weil er sich dort massiv gegen den Bau einer Moschee einsetzt. Hähnel war hier zuerst im Ordnungsdienst der JN.“ [Junge Nationaldemokraten, Jugendorganisation der NPD, G.G.] „Da gab’s in FFO so ab 96 eine feste Gruppe von 15 Neonazis, und zu denen gehörten auch so etwa 60 Glatzen. Der Hähnel hat sozusagen dafür gesorgt, dass hier wieder eine organisierte Nazistruktur zu sehen war. Und er hat sich immer weiter hochgearbeitet zu einem NPD-Kader. Er hat uns ja leider sehr mit seinem Singen belästigt. Er singt alte Volkslieder mit eigenen rechten Texten, damals seine CD, die hieß, glaube ich, ‚Lieder in klangloser Zeit‘. Er gibt sich gern ,bürgernah‘, hat mit Kameraden im Altersheim gesungen, Heimat und Soldatenlieder, 1998 war er auf Platz 1 der NPD-Landesliste und Mitglied der Stadtverordnetenversammlung in FFO, da hat er dann auch Bäumchen gepflanzt in Neu-Beresinchen, Eichen. Also, der fuhr so eine Doppelstrategie, Liedchen und Aufmärsche. Ein enger Freund von ihm, der jetzt mit ihm in Berlin ist, der hat hier Leuten eine Gasknarre direkt aufgesetzt mit dem Spruch: ‚Schöne Grüße von der Anti-Antifa!‘, und dann wurden die Leute unter Zwang fotografiert. Dafür ist dieser Freund dann auch abgegangen ins Gefängnis. Hähnel hatte ja mal eine Gewaltverzichtserklärung abgegeben, vor den Kommunalwahlen 98. Aber das hat die anderen Nazis natürlich nicht daran gehindert, in Gruppen zu 40 Leuten hier durch die Straßen zu ziehen, zum ‚Zecken aufklatschen‘ und Ausländer zusammenprügeln. Zecken sind im Sprachgebrauch der Nazis Leute wie wir, Linke, und Punks.

Solche Vorfälle gab’s Anfang 1999 oft, deshalb kam es dann ja auch zur ‚Einladung‘, zu diesem ‚Friedensgespräch‘ durch Staatsschutz und Staatsanwaltschaft. Ich war dort mit einem Freund. Mich hatte es getroffen, weil sie mich irgendwie für wichtig hielten, nur weil ich verschiedene Demonstrationen, die liefen, angemeldet hatte. Die Nazis kamen zu dritt, darunter ein stadtbekannter Schläger. Ziel dieses Gespräches war eine ‚gemeinsame Gewaltverzichtserklärung‘. Dieses Ziel scheiterte natürlich. Die Nazis wollten sich auf so eine Erklärung nicht einlassen und forderten stattdessen einen ‚nationalen Jugendklub‘.

Wir als Linke sahen gar keinen Anlass, eine solche Erklärung abzugeben. Wir ziehen ja nicht los, um andere Leute zusammenzuschlagen. Wir wehren uns lediglich gegen die Nazis. Hier sollte rassistische Gewalt und antifaschistische Gegenwehr gleichgesetzt werden, das ganze Gespräch konnten wir nur als Farce betrachten. Den Vertretern der Stadt, die auch dabei waren, ging es eigentlich gar nicht um die Gewalt und die Opfer, sondern nur um den ‚Standort‘, um den Imageschaden für die Stadt. Dass hinter dieser störenden Gewalt eine Ideologie steht von Rassismus und Intoleranz, die man nicht tatenlos hinnehmen kann, das interessierte die Stadt wenig. Dieses Gespräch ging sehr schnell zu Ende, und alles lief weiter wie bisher. Der Hähnel übrigens war zu diesem Gespräch nicht erschienen.

Damals lief übrigens grade die ‚Aktion Noteingang‘, das war eine von Jugendlichen initiierte Aktion, Geschäftsleute sollten einen Aufkleber außen anbringen mit Fluchtpiktogramm und der Aufschrift ‚Wir bieten Schutz und Information bei rassistischen Übergriffen‘. Gegenaktion der Nazis: Sie klebten an die Geschäfte Zettel, die das Tor von Auschwitz zeigten und die Überschrift: Aktion Noteingang. 2001 kam ja dann diese ‚Aktion Analyse‘, wo Jugendliche aus zwölf Städten ihr Leben mit den Nazis darstellten. 2001 ging Hähnel nach Berlin, da versuchte dann dieser Nico Schiemann hier den Vorsänger zu machen, im wahrsten Sinne des Wortes. Das ist so ein Typ aus ‚No Exit‘, dem Film von Franziska Tenner, die hat die so genannte ‚Freie Kameradschaft Frankfurt/Oder‘ ein Jahr lang gefilmt. Der Film lief neulich im ZDF, habt ihr ihn nicht gesehen? Da ist ganz schön zu sehen, wie die Szene sich so ein bisschen gespalten hat bei der NPD. Die Gewaltbereiten waren zum Teil schon von Hähnel abgerückt und haben ‚Freie Kameradschaften‘ gegründet – nach dem Konzept ‚führerloser Widerstand‘, das von den Neonazis aus den USA stammt und in Deutschland von Nazis wie Worch umgesetzt worden ist. Also, die Schlägernazis bei uns hier, die hatten einfach keinen Bock mehr auf das politische Gequatsche der NPD. Dadurch war dann die Gruppe um Nico Schiemann ziemlich klein geworden. Auch das Umfeld hat sich verkleinert, Leute sind abgewandert usw.

Jedenfalls zeigte sich das auch bei den Demonstrationen von 2002 bis 2005. Das ist ein loser Zusammenhang von relativ jungen Leuten, bis so Ende 20, einige Ältere sind auch dabei, die gehen also durch die Stadt, wenn irgendwelche NPD-Aktionen von außen hier herein getragen werden oder wenn vom ‚Märkischen Heimatschutz‘ die Leute kommen.“ [„Märkischer Heimatschutzbund“ MHS, rechtsextreme „Kameradschaft‘ im Nordosten Brandenburgs, gegründet 2001, macht vor allem Jugendarbeit, gibt sich gern bürgernah, reiht sich in Hartz-IV-Demos ein. Anm. GG.] „Zu solchen Anlässen bilden die hiesigen Nazis dann Masse, ziehen pöbelnd durch die Straßen und machen Leute an. Aber das ist eben eher ein unorganisierter Haufen, viele halten sich auch im Umfeld vom hiesigen Fußballklub auf, oder sie gehen eben in die Diskotheken der Stadt, in denen sie keinerlei Ausländer sehen möchten. Es gibt momentan keine organisierte, politisch agierende Naziszene hier. Das heißt aber nicht, dass von den Leuten keine Gefahr ausgeht. 2003 wurde ein Punk von Nazis hier in seiner Wohnung ermordet, afrikanische Asylbewerber wurden nach dem Diskobesuch krankenhausreif geschlagen, und 2004 wurde ein Mann verschleppt und stundenlang mit unglaublicher Brutalität gefoltert und verletzt.

Anfang April gab’s hier einen NPD-Stand von außerhalb, die NPD will nämlich jetzt wieder mehr hier aktiv werden. Da haben sich unsere diffusen Nazis versammelt und wir waren auch da, um zu sehen, wer sich da versammelt. Die sind dann irgendwann auf unsere Leute losgegangen, einer von uns wurde verfolgt, mitten im Zentrum wurde ihm Reizgas ins Gesicht gesprüht, und 20 Meter entfernt standen Polizisten, die haben sich aber gescheut einzugreifen. So was sieht ja heute vielleicht auch aus wie eine normale Auseinandersetzung zwischen Jugendlichen. In den 90er war’s noch so, dass man am Haarschnitt und an der Kleidung sofort gesehen hat, wer Nazi ist. Die Jungschen heute, denen sieht man es oft nicht mehr an, die tragen keine Bomberjacken oder Stiefel, die tragen entweder ganz normale Sachen oder, wie man das am NPD-Stand auch sehen konnte, tragen viele jetzt den ‚Autonomen-Style‘. Das geht schon seit einigen Jahren so, dass viele aussehen wie … ‚schwarze Antifa‘, würd ich mal sagen.

Hier in Frankfurt hat sich das noch nicht so durchgesetzt. Aber in Wunsiedel 2004.“ [Dort findet der jährliche „Rudolf-Heß-Gedenkmarsch“ der Alt- und Neonazis aus Deutschland und dem Ausland statt. 2005 erstmals verboten. Anm. GG] „Die Stadt war ja komplett voll mit Nazis, die konnten sich relativ frei bewegen. Wir standen so an einer Ecke, da kam uns eine Gruppe entgegen, die sah total aus nach Antifa, aber wir haben dann einen erkannt, der hier aus Straußberg ist. Der hat uns auch erkannt, und schon ging’s los. Also, die Polizei checkt das manchmal gar nicht, wer nun wer ist. Aber hier in Frankfurt, da kennt eigentlich jeder jeden.

Es ist übrigens nicht so, dass wir uns reduzieren auf die Beschäftigung mit den Rechten. Die Leute, die hier antifa-mäßig aktiv sind, die haben sich auch viel mit Flüchtlingsarbeit beschäftigt, das ist ja klar, hier direkt an der Grenze. Es gab diese Grenzcamps, organisiert von verschiedenen Brandenburger Gruppen zusammen mit der Initiative ‚Kein Mensch ist illegal‘. Da waren wir auch mit eingebunden. Wir haben Demos gemacht vor dem Abschiebeknast, und Aktionen auch zusammen mit Flüchtlingen. Oder wir haben demonstriert gegen die Bundeswehrausstellungen. Es gab auch den Castortransport von Bremen nach Ahaus, glaube ich, voriges Jahr Ende Mai, Anfang Juni – es gab auch davor mal einen, der ist hier durch Frankfurt gefahren auf dem Zug, da haben wir auch was gemacht. Es gibt hier eine Umweltgruppe, mit denen zusammen hab ich dann zur Strahlengefahr was geschrieben. Als die Nazis dann nicht mehr so aktiv waren, blieb natürlich mehr Zeit für anderes“, sie lacht.

„Man muss abwarten, wie sich die Dinge entwickeln, wenn die NPD jetzt hier wieder Fuß fasst. Im Moment haben wir aber ein ganz anderes Problem, seit etwa zwei Jahren gibt es einen verschärften Ermittlungseifer der staatlichen Behörden gegen die Frankfurter Linke. Wir werden mit Repressionen beschäftigt, Leute werden mit zahlreichen Verfahren überzogen. Es herrscht ein kompletter Verfolgungsdrang, man meint irgendwie, unbedingt Täter beibringen zu müssen. Und obwohl die linke Szene ja schon seit so vielen Jahren observiert wird, haben sie nichts verstanden. Auch was mich betrifft. Ich war 2001 mit dem Studium fertig, habe dann noch bis 2003 die praktische Ausbildung gemacht und arbeite seit 2004 als Anwältin hier in einer Kanzlei. In meiner Studienzeit bin ich bei der Polizei in so eine Schublade getan worden, in der ich jetzt immer noch stecke. Eben weil ich mal ein paar Demos angemeldet habe, wird bis heute davon ausgegangen, dass ich diejenige bin, die antifa-mäßig hier was zu sagen hat, Einfluss auf die Szene ausübt. Was ja nicht so ist, weil’s eben hier nicht irgendwelche Führer gibt, die die Richtung vorgeben. Sie haben nicht verstanden, dass Antifa an sich schon immer ein Zusammenhang von Leute war, wo jeder alles zu sagen hatte. Tatsächlich sind sie natürlich sauer, dass ich ihnen 30 Verfahren ‚kaputt‘ gemacht habe, wo sie Mist gemacht haben, meine Mandanten dann rauskamen und das Verfahren eingestellt werden musste.

Es gab letztes Jahr im April eine Hausbesetzung in Frankfurt/Oder, da war ich beruflich tätig. Jugendliche hatten ein schon lange leer stehendes Haus in der Innenstadt besetzt. Sie wollten ihrer seit Jahren ergebnislos vorgetragenen Forderung nach einem selbst verwalteten Jugendzentrum mehr Nachdruck verleihen. Das waren Jugendliche, von 16 bis 20, die so sechs Tage etwa in dem Haus waren, es gab Vereinbarungen mit der Stadt – obwohl das Haus eigentlich dem Land gehörte –, dass die Jugendlichen erst mal drin bleiben können. Es gab Verhandlungen und Gespräche, es gab keine Probleme. Irgendwann kam plötzlich die Räumung, und neben den Hundertschaften der Landeseinsatzeinheit rückte auch das SEK an. Das war völlig unangemessen, es zeigt die Polizeisicht auf die Dinge. Als ich dort auf den Hof kam, da war der zweite Satz, den ich hörte: ‚Frau Herrlich, Sie gehen in Gewahrsam!‘, und das, obwohl sehr genau bekannt war, dass ich als Anwältin da tätig und anwesend war. Ich bin dann natürlich nicht in Gewahrsam gegangen, aber erst nachdem der Chef des Sicherungstrupps die Anweisung gegeben hat.

Dazu muss man sagen, dass es im Herbst 2004 hier in Frankfurt/Oder einen Vorfall gegeben hat, es wurde ein Brandanschlag verübt auf das Wahlkampffahrzeug des brandenburgischen Wirtschaftsministers Junghans von der CDU, das LKA hat dann die Ermittlungen aufgenommen, und die richteten sich massiv auf die linke Szene hier, die war natürlich, wie immer, unter Generalverdacht. Und solche Ermittlungen arten dann in so einen Verfolgungswahn aus, der über jedes Maß hinausschießt. Interessant daran ist, dass das ja schon vorher der Fall war.

Zum Beispiel gab es im April 2004 hier diese Feierlichkeiten zum EU-Beitritt Polens und noch vieler anderer Länder, das ‚Fest der Regionen‘, vom Land Brandenburg organisiert. Ein großes Volksfest. Am Nachmittag hatte das Fest schon angefangen, und ich war mit einer Gruppe von Freunden dort, einfach weil’s ein schöner Freitagnachmittag war und wir mal gucken wollten, ganz normal. Das war anscheinend besonders verdächtig. Zuerst wurden wir von einem Polizisten fotografiert, da wussten wir schon … Danach hatten wir Zivilbeamte an uns hängen. Unsere Gruppe ging dann getrennt weiter, damit das aufhört, aber da wurde es nur noch schlimmer. Wir gingen zu zweit, und es folgten uns – in einem Schritt Abstand – sechs bis sieben Zivilcops. Auf dem Weg zum Klo vom Oderspeicher sind mir, glaube ich, zwölf Leute gefolgt. Unglaublich! Ich bin dann kreuz und quer über das Fest gegangen, stundenlang und immer dieselben hinter mir her. Um zwei Uhr nachts haben sie mich hier zu Hause ‚abgeliefert‘. Zu dem Zeitpunkt war ich keine Studentin mehr, habe bereits in meinem Job gearbeitet, das hatte aber keine Auswirkung auf die Observationspraxis. Also, sie hatten wohl befürchtet, dass es zu Kundgebungen kommt, und man will natürlich verhindern, dass im Fernsehen Protestaktionen zu sehen sind. Dass wir einfach nur so auf dieses Fest gingen, das wollte ihnen nicht in den Kopf.

Mir kann überhaupt nichts vorgeworfen werden, es gab drei Ermittlungsverfahren gegen mich, die aber natürlich alle eingestellt wurden, weil nichts dran war. Ich hatte ja Akteneinsicht beantragt bei unserem Verfassungsschutz, weil ich natürlich wissen möchte, was da in meiner Akte steht. Man hatte mir einen Ordner zusammengestellt, genau sortiert, was ich zu sehen bekomme und was nicht. Also, es stand da nichts weiter drin. Das, was ich schon erwähnt habe.

Ich habe dann auch Auskunft beim Bundesverfassungsschutz beantragt. Das dauert nun schon drei Monate. Für die ist Fakt, ich bin Bestandteil einer unliebsamen Szene, und die soll eingeschüchtert werden. Ich habe ja quasi meine Lebensumstände so ziemlich beibehalten, wohnungsmäßig und was den Freundeskreis betrifft usw. Ansonsten hat sich nur geändert, dass ich jetzt Freunde von mir verteidige. Das ist natürlich auch so was, was die Polizei nervt, dass hier die Antifa oder junge Linke, in Frankfurt jetzt einen Rechtsbeistand hat, wo sie hingehen können. Was ja vorher so ein bisschen ein Problem war, weil es eigentlich keinen gab, der da jetzt speziell … Also die kommen alle zu mir, und ich verteidigte sie. Wie sehr das stört, konnte ich den Akten entnehmen, wo stand: ‚Die bekannte Rechtsanwältin … hat schon wieder Akteneinsicht gefordert!‘ Das ist ja eigentlich selbstverständlich, dass ein Anwalt, wenn er einen Fall bearbeitet, Akteneinsicht nimmt. Was die eben so nervt ist, dass ich das jetzt mache, und aus meinem Job heraus praktisch sehen kann, wie ihre Arbeit läuft, was sie machen, wie sie ermitteln.

Also, die Stimmung ist hier in der Stadt natürlich in keiner Weise entspannt, und die linke Szene bekommt das eben immer wieder zu spüren.“ Ihr Handy klingelt, nach einem kurzen Blick auf das Display legt sie es wieder zur Seite. „Ich hatte einen Mandanten, gegen den wurden auf Grund einer beschlagnahmten Foto-CD – auf der meinetwegen jetzt an Hauswänden aufgesprühten Parolen usw. zu sehen waren – 13 Verfahren eingeleitet. Weil’s 13 Bilder waren. Die Verfahren sind alle eingestellt worden, klar. Es kam gar nicht bis zum Richter. Es ging von der Polizei zum Staatsanwalt, und der hat sie dann eingestellt.

Also, das passiert jetzt häufig, dass Leute mit Verfahren überzogen werden, ohne dass sie eigentlich irgendwie einen richtigen Anhaltspunkt haben. Das Problem, das entsteht, ist folgendes: Wenn das Verfahren nicht vor Gericht kommt, weil die Staatsanwaltschaft einstellt, dann gibt es keine Kostenerstattung. Normalerweise muss dann der Mandant die Kosten bezahlen, aber der Mandant hat ja – das wissen wir alle – in der Regel gar kein Geld. Deshalb hat sich jetzt eine Soligruppe gebildet, die macht auch Veranstaltungen, Partys, sammelt Spenden und lädt zu Solipatenschaften ein. Darüber wird das dann bezahlt. Es klappt gut. Auch mein Chef ist ja zum Glück verständnisvoll.

Inzwischen gibt es relativ viele Anwälte in der Kanzlei. Jeder hat so etwa zwei Spezialgebiete, sodass eine ganze Bandbreite da ist. Ich mache Strafrecht und Verwaltungsrecht, innerhalb des Verwaltungsrechts vor allem Asyl- und Ausländerrecht. Und, das ist ja klar, im Zusammenhang mit dem Strafrecht – Polizeirecht. Oder ich mache auch mal ein bisschen Straßenbau- oder Wasser- und Abwassersachen, was so anfällt eben. Nur, damit ihr mal seht“, sie lacht, „dass ich hier nicht die ‚Antifa-Anwältin‘ bin, sondern ganz normal arbeite.“

Auf die Frage, wie es bei ihr dazu kam, warum „Antifa“, sagt sie: „Oh, schwierige Frage. Ich bin ja, wie gesagt, DDR-Kind. Das war ja richtig Thema im Unterricht, die Geschichte der NSDAP usw. und natürlich die Geschichte des antifaschistischen Widerstandskampfes, es gab auch Spielfilme, Bücher, aber es war halt Unterricht und eher langweilig. Über die eigentlichen Fragen: Wohin sind die verschwunden nach dem Krieg, die ganzen Nazis, und gibt es bei uns in der DDR wirklich keine Nazis mehr, darüber wurden eigentlich nicht viele Worte verloren. Hier bei uns ist der Sozialismus, hier hat man sich gegen die Nazis gewehrt. Das war einfach eine Grundüberzeugung. Man hat uns auch von den NKWD-Lagern nichts gesagt.

Ich bin ja aus der letzten Generation, die diesen Unterricht gehabt hat, sozusagen. 1989 bin ich grade in die 10. Klasse gekommen, und danach wurde alles umgeschmissen. Aber prägend war für mich erst, wie ich zum ersten Mal so richtig was mitbekommen habe von diesem Nazischeiß, das war 1991 Hoyerswerda und dann diese Pogromnacht in Rostock, wo eine Horde von Nazis unter dem Jubel der gaffenden Menge mitten im Wohngebiet ein Ausländerwohnheim angezündet hat und jeder wusste, da waren Familien und Kinder drin! Ich habe einfach nicht verstanden, wie man so sein kann. Diese Lynchstimmung war unbeschreiblich, hat sich und mir richtiggehend eingeprägt.

Damals war ich grade zu Hause, als das im Fernsehen kam. Ich bin aus einem relativ kleinen Ort, Vetschau. Wir haben ein Kraftwerk, und immer schon gab es Kontakte mit anderen Nationalitäten. Da wohnten Angolaner, Mosambikaner und Kubaner. Mit denen haben wir Fußball gespielt. Mein Vater hat im Werk gearbeitet und hatte praktisch für zwei Kubaner die Patenschaft übernommen, die waren am Wochenende bei uns, und wir haben eben mit Händen und Füßen geredet. Es wäre mir nie in den Sinn gekommen, dass ich irgendwie ,besser‘ sein könnte als die. Also, in Vetschau hatte man Kontakt mit Ausländern zu DDR-Zeiten oder war zumindest an ihren Anblick gewöhnt.

Nachdem dann diese Bilder und Berichte tagelang im Fernsehen waren von Rostock, da habe ich mich wirklich gewundert, wie ruhig das in unserem Ort blieb. Man hat nicht bemerkt, dass das irgendwas hervorgerufen hätte. Jeder hat wie immer seine Arbeit gemacht, abends ging’s in den Garten und dann ins Bett. Da war Schweigen. Und wir hatten auch ein Wohnheim mit Asylbewerbern, die sie kurzfristig einquartiert hatten. Und da sind dann nächtens auch vereinzelte Trupps grölend vorbeigezogen, es gab Nächte, wo die Polizei schützend davorstand. Es war mir vollkommen klar, das ist keine harmlose, vorübergehende Angelegenheit mit den Nazis, das wird sich ausbreiten, und das ist ja nicht hinnehmbar!“

Und nun möchten wir noch ein paar biografische Details erzählt bekommen: „Ja, also, das war alles ganz normal, Krippe, Kindergarten, Einschulung. Mein Vater war Starkstromelektriker im Kraftwerk, meine Mutter ist Lehrerin gewesen, erste bis vierte Klasse Grundschule. Ich habe noch einen Bruder, der ist sechs Jahre älter und arbeitet heute als Kfz-Mechaniker. Das Geld war natürlich immer knapp bei uns, aber irgendwie haben es die Eltern jedes Jahr hingekriegt, dass wir in Urlaub gefahren sind, privat, wir als Familie, an die Ostsee oder in den Harz.

Aber dann musste ich allmählich darüber nachdenken, was ich werden wollte. Lehrerin wollte ich auf keinen Fall werden. Kfz-Mechaniker wäre für eine Frau ein Unding gewesen in der DDR, am Fließband wollte ich auch nicht stehen, und das Praktikum im Kraftwerk hat zwar Spaß gemacht, aber auf Dauer wollte ich da auch nicht arbeiten. Also war klar, dass ich die EOS mache. Und dann kam die Wende, und ich wusste überhaupt nicht mehr, wo ich da hineingeraten bin. Insofern war das Jurastudium auch sehr gut für meine Orientierung, denn man lernt da ja ‚System‘, man bekommt ja das Konstrukt genau erklärt in einer präzisen Sprache, Staatsrecht usw. Aber vorher war’s komisch, ich hing einen Moment lang wirklich in der Luft!

Das hat sich dann ja bald gegeben, auch mit Hilfe des Freundeskreises natürlich. Und deshalb ist es mir nach wie vor wichtig, dass das Politische und das Private nicht getrennt ist. Bei uns hier verknüpft sich das alles miteinander, auch in der WG. Anders könnte ich, glaub ich, gar nicht leben. Und dieser Zusammenhalt ist auch deshalb notwendig, weil wir uns hier wieder auf einen verstärkten Auftritt der NPD einstellen müssen, denn das bedeutet ja eine Mobilisierung der gesamten Naziszene. In letzter Zeit gibt’s eine Reorganisation der ‚Kameradschaften‘ und freien Strukturen. Und es sind ja jetzt bereits die nächsten nachgewachsen, die 15-, 16-, 17-Jährigen, die halt meinen, sie müssen Nazipöbel spielen. Und es ist eben so, dass die auf Leute von uns richtig losgehen. Die waren es auch, die uns am 1. April angegriffen haben am NPD-Stand, die müssen sich ja bei ihren Leuten erst mal Anerkennung verschaffen durch ‚Heldentaten‘. Es sind nicht mehr nur die Leute, mit denen wir es damals zu tun hatten. Es hört einfach nicht auf!“

Einige Zeit nach diesem Gespräch, am Tage des WM-Spieles zwischen Deutschland und Portugal, wurden in der Frankfurter Innenstadt mehrere Linke von einer Gruppe von Rechtsextremen – aus dem Umfeld eines einschlägig bekannten Fußballklubs – mit Ausrufen wie „Zecke verrecke!“ attackiert. Die Polizei registrierte fünf Körperverletzungen. In der Nacht überfielen sie dann in betrunkenem Zustand erneut die Linken, diesmal im Hof ihres Hauses, wo ein nachbarschaftliches Grillfest stattfand. Die Bewohner und Freunde mussten unter Flaschenwürfen ins Haus flüchten und mit vereinten Kräften die Tür zuhalten, während die am Eindringen gehinderten Rechten im Hof das Mobiliar zertrümmerten. Es war das Haus von Katja Herrlich.