Nicht mit dem Senat gerechnet

Freie Schulen mit alternativen Bildungsmethoden werden in Berlin immer beliebter. Doch nicht jede pädagogische Initiative bekommt auch den Segen vom Senat. Zwei Beispiele aus der Praxis

Schräg fällt das Licht in den großen, hellen Raum in der Zeughofstraße 20. Noch vor einer Woche war der Boden staubig, die Wände waren kahl, es herrschte Baustellenatmosphäre. Jetzt ist hier Leben eingekehrt. Im Bewegungsraum der Freien Schule Kreuzberg (FSK) springen Zweit- bis Sechstklässler Seil, spielen Fangen oder Sackhüpfen. Worauf sie Lust haben, Vorschriften macht ihnen hier niemand.

Eine Besonderheit der neuen alternativen Grundschule mitten im einstigen Kreuzberg SO 36 ist das interkulturelle Konzept. Kinder mit Migrationshintergrund sollen zusammen mit Deutschen gleichberechtigt und ohne Leistungsdruck lernen. „Die Schule ist eine Initiative für den Kiez“, sagt Mitgründerin Martina Hoffmann.

Die Muttersprachen der Kinder werden gefördert, sodass alle ein Bewusstsein für fremde Sprachen und andere kulturelle Umgangsformen entwickeln. Auch das Team der BegleiterInnen ist mehrsprachig. Die Freie Schule Prenzlauer Berg hat die Trägerschaft für die FSK übernommen. So bekommt die neue Schule staatliche Zuschüsse und kann das einkommensabhängige Schulgeld möglichst niedrig halten.

Für das neue Schuljahr haben sich türkische, spanische, afro-deutsche sowie ein holländisches und ein polnisch-walisisches Kind angemeldet. Bei den Erstklässlern war die Nachfrage so groß, dass nicht alle aufgenommen werden konnten. Kinder der vierten, fünften und sechsten Jahrgangsstufe können auch jetzt noch einsteigen.

Die FSK setzt bewusst nicht auf Laissez faire: „Mitten im Kapitalismus so zu tun, als ob wir eine freie Insel sind, das geht nicht“, sagt Martina Hoffmann. Also machen die BegleiterInnen den Kindern Vorschläge: zum Beispiel, die Schule neu zu gestalten. Oder Selbstverteidigung zu lernen. Handwerk, Sport, Kunst und Musik haben den selben Stellenwert wie Lesen, Schreiben und Rechnen. So werde das Selbstbewusstsein der Kinder gestärkt, betont Hoffmann. „Wenn ein Kind nicht so gut lesen kann, dafür aber super Trompete spielt, ist das mit dem Lesen nicht so schlimm.“

Noten gibt es an der FSK nicht. Anstelle von Zeugnissen bekommen die SchülerInnen am Ende des Schuljahres einen Jahresbrief, der ihren Lern- und Entwicklungsprozess beschreibt. „Wenn die Kinder aber zwischendurch mal Noten wollen, kriegen sie die natürlich“, sagt Begleiterin Martina Hoffmann.

Vor drei Jahren gründete in Prenzlauer Berg eine Gruppe von Eltern, Lehrern und Studenten den Verein Sudbury-Schule Berlin-Brandenburg. Sie schrieben ein Konzept für eine demokratische Schule nach dem Vorbild der Sudbury Valley School, die 1968 in Massachusetts gegründet wurde. Die Schüler haben dort volles Mitspracherecht, auch bei der Einstellung der Mitarbeiter.

Weltweit gibt es über 30 solcher Schulen. In Deutschland erhielten Sudbury-Initiativen bislang keine Genehmigung. In Berlin scheiterte die Schulgründung am Widerstand des Senats. Der möchte, dass gemäß der Rahmenlehrpläne in jedem Jahrgang bestimmte Fächer und Themen behandelt werden. Doch das ist mit dem Sudbury-Konzept unvereinbar: Hier entscheidet jeder Schüler frei, womit er sich wann beschäftigt. „Die Schüler wissen, wo ihre Interessen liegen und wie sie ihre Ziele erreichen“, berichtet Regina Leeb, die nach dem Abitur ein Jahr lang die Booroobin Sudbury School in Australien kennenlernte.

Die Sudbury-Anhänger versuchen bislang vergeblich, die Politik für ihre Pädagogik zu begeistern: „Wie soll eine demokratische Schule funktionieren, wenn beispielsweise eins der Kinder kein Deutsch sprechen und sich nicht artikulieren kann?“, fragt sich Özcan Mutlu, bildungspolitischer Sprecher der Grünen. Regina Leeb ist sich sicher, dass es auch diese Kinder schaffen können. „Man muss einfach nur Vertrauen haben. Kinder können alles, wenn sie wollen.“

Siglinde Schaub, die Sprecherin der Linkspartei für den Bereich Schule, findet zwar, dass es Zeit für einen Umbruch sei: „Schule muss weg von dieser hierarchischen Struktur, man muss von- und miteinander lernen.“ Trotzdem hält die ehemalige Gymnasiallehrerin vergleichbare Richtlinien an allen Schulen für notwendig.

Die Eltern aus dem Sudbury-Verein planen nun mit einem neuen Modell: Die Ting-Schule ist ebenso organisiert wie die Sudbury-Schule, geht jedoch Kompromisse ein: Der Berliner Rahmenlehrplan wird akzeptiert, was eine völlige Altersmischung ausschließt. „Das ist eigentlich schwer vereinbar mit dem Prinzip der freien demokratischen Schule“, sagt Anne Viezens vom Verein Freie Demokratische Schule Berlin. Ihr ist aber wichtig, möglichst bald eine demokratische Schule zu eröffnen, auf die ihre Kinder gehen können. Zum nächsten Schuljahr schon soll die Schule bis zur Klasse 10 öffnen. Kathi Preppner