berliner ökonomie
: Back to the USSR

Blick zurück nach vorne oder: Wie eine Russin in Deutschland den Aufschwung der russischen Wirtschaft erlebt

Erst hier hat man mir klar gemacht, wer ich bin. 16 Jahre lang musste ich täglich die Frage beantworten: „Wo kommst du her?“ „Aus Russland.“ „Wo aus Russland?“ „Aus Moskau.“ „Direkt aus Moskau?“ „Ja.“ „Und was machst du hier?“ „Ich lebe hier.“ Und die ganze Zeit musste ich in Berlin für Russland geradestehen: „Was macht ihr da schon wieder in Tschetschenien?“ Oder „mit diesem armen Chodorkowski?“ An jedem Putschversuch in Moskau, an jedem Absturz eines russischen Flugzeugs, an jeder Beutekunstdebatte und an allen Umweltkatastrophen in Sibirien war ich mitschuldig. Irgendwann habe ich mich gefragt: Was will ich eigentlich hier, wenn ich doch von da herkomme? Deswegen habe ich jetzt beschlossen, zurückzuziehen. Kam noch hinzu, dass ich bei meinen jährlichen Besuchen in Moskau feststellen musste, dass meine ehemaligen Kommilitonen und Kumpel jedes Mal noch ein Stück erfolgreicher geworden waren und mich in immer teurere Lokale einluden, während ich ihnen die Wahrheit über mein Leben in Berlin eher verschwieg. Die Dinge, auf die ich hier stolz war – eine Dachwohnung in Mitte, mein Fahrrad, die Zugehörigkeit zur russischen Künstlerszene –, verloren gleich hinter der Grenze ihren Wert: Ich hatte keine Eigentumswohnung, keinen Führerschein, kein Auto, kein Sparkonto und keine „feste Stelle“. Ich war weder da noch dort „integriert“. Immerhin war es mir in diesem Land vergönnt, an jede Menge „Kulturgut“ ranzukommen: deutsche, russische, indische, chinesische, türkische Bücher, Filme, Essen, Menschen. Dadurch bin ich so etwas wie ein Weltbürger geworden.

In Moskau war ich hochnäsig und guckte auf alle Nichtmoskauer herab, in Berlin traf ich dann aber jede Menge Leute aus den ehemaligen Sowjetrepubliken, die das Schicksal ebenfalls hierher verschlagen hatte, wo wir alle zusammen „die Russen“ waren. Einige sind bereits „über die Oder“ zurückgekehrt, weitere werden folgen. Wir nehmen uns vor, so bald wie möglich einander zu besuchen – am Baikal, in Kiew – und tauschen dazu die Adressen unserer Eltern aus.

Ich kam 1990 nach Deutschland, weil ich mich auch der immer chaotischer werdenden Situation in Russland nicht mehr gewachsen fühlte. Hier habe ich mich beim Umgang mit Behörden, beim Sprachelernen und in Vorstellungsgesprächen langsam immer mehr „gefestigt“, nicht zuletzt dank der deutschen Qualitäten Pünktlichkeit, Gründlichkeit etc. Jetzt hat sich das alles umgedreht: Hier stagniert meine Entwicklung, während ich in Russland viele Möglichkeiten in Aussicht habe. Dort wird mein Lebenslauf nun außerdem durch den „Aufenthalt im westlichen Ausland“ aufgewertet.

Hier musste ich ständig gegen das herrschende, oft negative Russlandbild angehen: mich nicht schminken, keine Stöckelschuhe tragen, keine roten Fingernägel, nicht Natascha heißen, mich nicht sinnlos mit Wodka besaufen und keinen Menschen- bzw. Uranhandel betreiben. Dort muss ich nun das meist positive Deutschlandbild korrigieren: dass die Menschen hier alle sauber und von edler Gesinnung sind, tolerant und ausländerfreundlich. Ich freu mich schon auf die ersten lauten deutschen Touristen, die mir am Roten Platz begegnen …

Vorstellen könnte ich mir allerdings auch, dass wir „Rückkehrer“ nicht von allen Russen freundlich empfangen werden: „Während wir hier in den ganzen Krisen Geld und Gesundheit verloren haben, habt ihr da drüben auf der faulen Haut gelegen“, werden sie vielleicht sagen. Vor zwei Jahren unternahm der Gouverneur von Westsibirien bereits einen Vorstoß, um den „großen Kadermangel“ in seiner Region zu beheben, indem er alle Russlanddeutschen in Berlin aufforderte, wenn sie hier nicht Fuß fassen können, doch bitte wieder heimzukehren. Dort seien sie hochwillkommen. 2007 will Putin sogar ein weltweites Repatriierungsprogramm für Russen in die Wege leiten – mit Begrüßungsgeld, Jobvermittlung und allem Drum und Dran. Der Präsident denkt dabei natürlich an qualifizierte Kräfte bzw. an all die Russen, die im Ausland arbeiten gelernt haben. In den seltensten Fälle haben wir dort nämlich gutbezahlte Arbeitplätze besetzt, wo man eine ruhige Kugel schieben oder Däumchen drehen konnte. Auch waren wir uns für keine Dreckarbeit im Westen zu schade. So habe ich immer wieder in Krankenhäusern, Hotels, Theatern, Kneipen und Privatwohnungen geputzt, habe in Parkanlagen Laub gefegt.

In gewisser Weise hat sich diese Situation ebenfalls umgedreht. Während es in Deutschland immer weniger Arbeitsplätze gibt und die Leute massenhaft auswandern, braucht Russland in Zukunft immer mehr Arbeitskräfte, man denkt sogar über die Anwerbung von „Gastarbeitern“ nach, auch über die Legalisierung der dort bereits schwarz arbeitenden. In Wladiwostok läuft ohne Koreaner nichts mehr, auch nicht ohne Chinesen. Die Migrationsforscherinnen Janna Sajontschkowskaja und Galina Witkowskaja gehen davon aus, dass bis 2050 über zehn Millionen Chinesen in Russland leben werden, sie sehen dies als unabwendbar an: „Wenn die sibirische Erde nicht von Chinesen kultiviert wird, wird sie überhaupt nicht kultiviert.“

EKATERINA BELIAEVA