Finger im weichen Fleisch

Dorothy Iannone und Lee Lozano haben sich mit intimen und zugleich exhibitionistischen Bildern, mit pornografischem Symbolismus und aggressivem Wortwitz an der Darstellung von Sexualität versucht. In der Kunsthalle Wien kann man die beiden um 1930 geborenen Künstlerinnen wiederentdecken

von JACQUELINE RUGO

Zwei hierzulande kaum bekannten Künstlerinnen, Dorothy Iannone und Lee Lozano, hat die Wiener Kunsthalle in den Sommermonaten eine umfangreiche Ausstellung gewidmet. Beide sind Amerikanerinnen, deren Geburtsdaten nur unwesentlich auseinanderliegen. Lee Lozano wurde 1930 in Newark, New Jersey, geboren, Dorothy Iannone drei Jahre später in Boston. Unter dem Titel „Seek the extremes …“, der sich eines Zitats von Lee Lozano bedient, werden ausgewählte Werkblöcke der beiden Frauen vorgestellt. Völlig unterschiedlich in ihrer künstlerischen Auffassung, behaupten beide einen radikalen Stil. Die Gemeinsamkeiten ihrer Oeuvres liegen in den expliziten sexuellen Darstellungen und der Kombination von zeichnerischem Gestus mit Text und Wortwitz. Im Wissen um die grundsätzliche Divergenz der beiden Positionen werden ihre Werke in der Ausstellung jedoch getrennt voneinander gezeigt.

Der erste Teil der Schau führt in den bildnerischen Kosmos von Dorothy Iannone. Die frühen Gemälde und Zeichnungen sind mit ihrer Neigung zu orientaler Pracht, zum Horror Vacui der Figurenfülle, zum preziös Ornamentalen und zu labyrinthischen Verschlingungen charakteristisch für Iannones Werk, das seit der zweiten Hälfte der sechziger Jahre entstand. Zeitgleich begann im Juni 1967 die ungewöhnliche Liebes- und Künstlerbeziehung zwischen Dieter Roth und der damals 34-jährigen Iannone, die nach ihrer Trennung 1974 in eine lebenslange Freundschaft mündete.

Für Iannone wird Roth zur zentralen Bezugsperson ihres autobiografisch geprägten Schaffens. Fast ausnahmslos findet sich dessen markante Gestalt in den farbigen, minutiös ausgearbeiteten Zeichnungen. Mit dem 48 Blätter umfassenden Zyklus „An Icelandic Saga“ (1978, 1983, 1986) hält Iannone die Ereignisse des Kennenlernens, ihre dabei erlebten Gefühle und Empfindungen minutiös, fast wie in einem Tagebuch fest. Es ist eine dialogische Bildergeschichte, die sich von Blatt von Blatt fortschreibt.

Häufig kommentiert Iannone ihre gezeichneten und gemalten Motive mit kurzen Texten, die von Intimität wie Exhibitionismus gleichermaßen geprägt sind und den Betrachter Anteil nehmen lassen an ihrer ungewöhnlichen Beziehung, die geprägt war von Vertrautheit und Misstrauen wie von Abhängigkeit und Ablehnung, Versprechungen und Verletzungen.

Die Bedingungen der Liebe und sexuelle Praktiken – das sind Dorothy Iannones künstlerische Themen, deren objektive Wahrnehmung in der Rezeption oft vom Vorwurf der Pornografie verdeckt wurde. Mit ihrer Offenheit in der Darstellung stößt Iannone nicht nur an die Toleranzgrenzen von Behörden, wie in Stuttgart 1967, wo ihre gesamte Ausstellung beschlagnahmt wurde, sondern auch an die Grenzen von Künstlerkollegen. Ironischerweise kam es gerade bei der „Ausstellung der Freunde“ zum Eklat. Als Leiter der Kunsthalle Bern hatte Harald Szeemann die Freunde Karl Gerstner, André Thomkins, Dieter Roth und Daniel Spoerri aufgefordert, weitere KünstlerInnen einzuladen, mit ihnen auszustellen. Die Künstlerfreunde und der Vorstand meinten allerdings, die Geschlechtsteile in Iannones Bildern vor der Eröffnung durch Klebebänder verbergen zu müssen, nahmen sie aber nach langem Hin und Her wieder ab. Am folgenden Tag mussten alle Bilder von Szeemann abgehängt werden. In Reaktion auf die Ereignisse legte dieser bald danach sein Amt als Direktor nieder. Die Chronologie der Ausstellung resümiert die Künstlerin in ihrer Bildergeschichte „The Story of Bern (or) showing colors“ (1970).

Der zweite Teil der Ausstellung widmet sich der frühen Werkphase von Lee Lozano. Präsentiert werden Gemälde und Zeichnungen, die zwischen 1960 und 1965 entstanden sind. In den 80er- und 90er-Jahren nahezu unbeachtet vom Kunstbetrieb, hatte sich Lee Lozano von 1960 bis 1970 bereits eine bemerkenswerte Karriere als Malerin aufgebaut, die erst in jüngster Zeit wiederentdeckt wird. Derzeit und noch bis Ende August wird das Werk der Malerin auch in der Kunsthalle Basel mit einer umfangreichen retrospektiv angelegten Einzelausstellung gewürdigt.

Die Wiener Ausstellung konzentriert sich dagegen ganz bewusst auf eine kurze Periode innerhalb der künstlerischen Entwicklung von Lozano. Gezeigt werden die wenig bekannten figurativen Bilder und Zeichnungen, in denen die Künstlerin eine Art pornografischen Symbolismus entwickelte. Mehrere Werkblöcke zeugen von der intensiven Beschäftigung mit der facettenreichen Thematik: Wiederholt gehen männlich kodierte Werkzeuge und Maschinen einen explizit erotischen Dialog mit fragmentierten, menschlichen Körper- beziehungsweise Geschlechtsteilen ein.

In ihren so genannten „Tool Paintings“ verband Lozano die funktionalen Aspekte von Werkzeugen mit Anspielungen auf sexuelle Ausbeutung, Voyeurismus, polymorphe Sexualität, Religion und Gewalt. „Wenn ich meine Emotionen nicht auslösche“, schrieb die Künstlerin im Jahre 1968 mit offenkundiger Melancholie, „löschen sie mich aus.“ Gegenstand ihrer Werke sind meist hybride Körper und Objekte, Kreuzungen, die halb Mensch und halb Schraubstock und Gewinde sind. Häufig finden sich Motive der körperlichen Bedrängnis oder Verletzung: Finger, die sich in weiches Fleisch bohren, Münder mit spitzen Zähnen, scharfe Klingen und monströse Schwellungen.

Lozanos bildnerische Erfindungen sind provokativ, aggressiv und wirken – wie beispielsweise ein Blatt mit abgeschnittenen Penissen – zutiefst verstörend. Gleichzeitig verzichtet die Künstlerin nicht auf humorvoll- bissige Ausbrüche und begleitet ihre bildnerischen Erfindungen zuweilen mit unflätigem Wortwitz, der als redundante Bilderklärung oder Titel fungiert.

Zu zeigen, wie Künstlerinnen lange vor Kippenberger und anderen böse, sexistisch, selbstzentriert libidinös, ausufernd ornamental und dazu noch institutionenkritisch sein konnten, ist das Verdienst dieser Ausstellung der Kunsthalle Wien.

„Seek the extremes …“, bis 15. Oktober 2006. Katalog (Verlag für moderne Kunst Nürnberg) 32 €