Das betongraue Ballett

Die selbsternannten Bewahrer des schönen Fußballs von Real Madrid haben 61 Millionen Euro in neue Spieler und einen Trainer investiert. Fußballkünstler sind nicht dabei, dafür aber ein schockfester Abwehrriegel italienischer Bauart

MADRID taz ■ Spötter schlugen am späten Sonntagabend vor, die Krone im Wappen Real Madrids durch einen Bauhelm zu ersetzen. Im ersten Ligaspiel hatten die Königlichen gerade ein 0:0 gegen Villarreal erarbeitet und dabei „den Einfallsreichtum eines Ziegelsteins“ entfaltet, wie die Zeitung El Pais anmerkte.

Als der Heimmannschaft in der 90. Spielminute der erste halbwegs gefährliche Schuss gelang, war gut die Hälfte der anfänglich 75.000 Zuschauer schon aus dem Bernabéu-Stadion in die laue Madrider Sommernacht entflohen. Viele grübelten über die Frage nach, ob es nicht edler wäre, wie zuletzt mit fliegenden Fahnen unterzugehen, als auf diese Art einen Punkt zu ermauern?

Gut, die Anarchie ist zu Ende, aber ist Langeweile die bessere Option? Wenn es dieser Verwalterfußball ist, der die gesamte Saison droht, dann dürften sich zahlreiche Anhänger bald den Präsidenten Florentino Pérez zurückwünschen, dessen Starsystem im Scheitern zumindest Interessantes bot. Dabei sage keiner, die Klubmitglieder hätten nicht gewusst, was nun auf sie zukommt. Schließlich gewann der Rechtsanwalt Ramón Calderón Anfang Juli ihre Stimmen bei der Präsidentenneuwahl mit dem erklärten und dann ausgeführten Plan, Fabio Capello als Trainer anzustellen. „Fußball ist Siegen“, hat der bärbeißige Italiener einmal gesagt und jegliche Ästhetikdebatte als überflüssig abgetan. Kurios, dass er mit dieser Einstellung bei Real Madrid gelandet ist, dem selbst ernannten Bewahrer der Schönheitsideale dieser Sportart.

Aber weil die Elf zuletzt in Schönheit starb und drei Jahre keinen Titel holte, ist nun Schluss mit lustig. Anstatt mit einem aufstrebenden Trainer (beispielsweise Bernd Schuster) eine frische Angriffsphilosophie zu entwickeln wie der FC Barcelona vor drei Jahren mit Frank Rijkaard, soll der erprobte Ordnungshüter umgehenden Erfolg garantieren. In der Saison 1996/97 turnte Don Fabio schon einmal neun Monate lang in Spaniens Hauptstadt vor, damals wurde die Meisterschaft gewonnen. Seinerzeit stürmte Predrag Mijatovic, nun Sportdirektor und mit Calderón treibende Kraft bei der Anstellung des früheren Juventus-Coaches. „Diese Mannschaft braucht einen harten Hund“, meinte der Montenegriner Mijatovic, „und Capello ist der härteste von allen.“ Er soll ausmisten bei Real und seine Siegermentalität der Magie des FC Barcelona entgegensetzen.

Der 55jährige Calderón gewann die Präsidentenwahl zwar auch mit dem Versprechen, die Kreativfußballer Kaka, Robben und Cesc Fàbregas anzuheuern, von denen dann keiner zu haben war. Aber der erhoffte Erfolg mit Capello soll verhindern, dass ihm die Fans das aufs Butterbrot schmieren. Dem Trainer sind die Angreifer nicht so wichtig, solange er hinten Zement anrühren und einen schockfesten Abwehrblock mit vier Verteidigern und zwei defensiven Mittelfeldspielern bilden kann. Der Ära von Zidane und Figo folgt nun die von Cannavaro und Diarra. Der Abwehrchef der italienischen Weltmeisterelf und der defensive Mittelfeldspieler aus Mali, so etwas wie ein Klon des einst geschassten Franzosen Makelele, wurden von Juventus Turin und Olympique Lyon ausgelöst. Vom Schlussverkauf beim gefallenen Riesen der Serie A brachte Capello auch den treuen Weggefährten und Ex-Leverkusener Emerson mit. Außerdem kam für den Sturm der holländische Abstauber Ruud van Nistelrooy von Manchester United. 61 Millionen Euro hat Real in das neue Personal investiert, das durch Nützlichkeit statt Fantasie besticht. Nach den Jahren in einer anderen Galaxie sucht der erfolgreichste Fußballverein der Geschichte so wieder die Bodenhaftung. Schon richtig: Um den Thron erneut zu erklimmen, muss man sich erstmal unten anstellen. Aber muss es statt der Krone gleich der Bauhelm sein?

RALF ITZEL