„Prüfen ist bei der Masse kaum möglich“

Michael Franz hat in der Koordinierungsstelle für NS-Raubkunst die Datenbank „Lost Art“ eingerichtet. Daten sind allen zugänglich. Zugleich fordert die Behörde die Museen auf, selbst mehr bei belasteten Provenienzen tätig zu werden

taz: Herr Franz, das Verfahren um die Rückgabe von Kirchners „Straßenszene“ an die Erben sorgt für Streit. Gibt es eine rechtsverbindliche Grundlage, die die Rückgabe regelt?

Michael Franz: Die gibt es nicht. Selbstverständlich haben die Beteiligten stets die Möglichkeit, ihre Ansprüche gerichtlich prüfen zu lassen. Maßgeblich aber für den Fall der NS-Raubkunst ist die „Gemeinsame Erklärung“ von 1999 von Bund, Ländern und Kommunen, die vom Auftrag der Wiedergutmachung ausgeht. Die Erklärung hat appellativen Charakter, ist also rechtlich nicht verbindlich. Sie hat aber hohes politisches Gewicht.

Solange kein Gesetz die Fälle regelt, wie sorgt Ihre Behörde für mehr Klarheit?

Für Fragen im politisch-rechtlichen Bereich ist die Behörde des Staatsministers für Kultur und Medien, Bernd Neumann, zuständig. Unsere Koordinierungsstelle sieht – unabhängig von der Ebene der Politik oder des Gerichts – ihre Aufgabe in der Dokumentation und in der Herstellung von Transparenz für solche Objekte. Auch dies trägt zum Klärungsprozess bei.

Jahrelang hing das Kirchner-Bild im Brücke-Museum. Teilen Sie den Vorwurf, die Museen täten nicht genug zur Aufklärung?

Gerade in den vergangenen Jahren haben wir mehrere tausend Fundmeldungen aus dem Bereich NS-Raubkunst von den Einrichtungen erhalten. Das zeigt, dass die Datenbank „Lost Art“ genutzt wird, auch von Museen.

Angesichts von über 4.000 Daten in Ihrer Behörde stellt sich die Frage, ob nicht jedes Museum seine eigene Lost-Art-Abteilung haben sollte.

Natürlich wäre es sinnvoll, wenn die Museen selbst diese Arbeiten zur Ermittlung von belasteten oder bemäkelten Provenienzen durchführen könnten. Allerdings ist das Ziel der „Gemeinsamen Erklärung“ die Restitution, und darum ist es nötig, eine Plattform wie die unsere zu haben.

Wie der Name sagt, sammelt Ihre Koordinierungsstelle Daten von Museen, Bibliotheken, Erben, Rechtsvertretern etc. Sie vernetzen diese und machen sie öffentlich. Was Sie nicht tun, ist prüfen, handeln. Warum nicht?

Lost Art bereitet die Such- oder Fundmeldungen auf, sie sind für jedermann recherchierbar. Das ist unsere Aufgabe. Sicher, wir gehen auch konkreten Hinweisen nach, aber die Verantwortung für das jeweilige Bild beispielsweise liegt beim Melder selbst. Wir haben 850 Melder, die uns über 90.000 Objekte detailliert beschrieben haben. Eine Prüfung ist schon angesichts dieser Masse kaum möglich.

Anwälte betätigen sich als so genannte Raubkunstscouts. Dahinter stehen – neben der Aufklärung – finanzielle Interessen. Kann man dem vorbeugen?

Kaum. Lost Art ist eine öffentliche Datenbank im Internet und allen, Forschern, Wissenschaftlern, Instituten, Museen und Kunsthandel, zugänglich. Dass Anwälte auch eine Nutzergruppe sind, ergibt sich von selbst. Missbrauch öffentlich zugänglicher Daten kann nie ganz ausgeschlossen werden. INTERVIEW:
ROLF LAUTENSCHLÄGER