Mit kindlichem Gemüt

Rosalind Penfold malt ihren Absturz in einer ausbeuterischen Beziehung

VON HEIDE OESTREICH

„Er hat mich auf Händen getragen und mit Füßen getreten“, sagt Natascha Kampusch über ihre acht Jahre im Verlies ihres Entführers. Bei wie vielen Menschen hat es nach diesem Satz wohl geklingelt, obwohl sie in keinerlei Garagenloch eingekerkert waren? Denn das sogenannte Doublebind, das Senden paradoxer Botschaften an den Partner, ist eine Machtstrategie, die Psychologen aus der Praxis wohlbekannt ist.

Insbesondere in gewalttätigen Beziehungen wird dieses Spiel gespielt: das Hin- und Herwerfen zwischen Liebesschwur und Wutausbruch, das einem die Macht über den verunsicherten Partner garantiert. Der Freundeskreis rät tausendmal vergeblich, dass der Unterlegene sich doch vom andern trennen möge: Warum bleibt die nur bei dem Typ, der sie so mies behandelt? Oder auch: Warum macht der arme Mann das mit? Denn das Doublebind ist keineswegs spezifisch für ein bestimmtes Geschlecht.

Wie man sich hineinverstrickt in eine solche Beziehung der Gefühlsausbeutung, hat eine kanadische Grafikerin nun zum ersten Mal in einem Comic-Roman erzählt. Unter dem Pseudonym Rosalind Penfold hat sie auf 270 Seiten die Bildgeschichte ihrer eigenen Verhakelung in die Beziehung mit einem gewalttätigen Alkoholiker erzählt, der zuerst so ganz anders aussah. Anfangs war er der temperamentvolle Unternehmer Brian mit Hang zur Unkonventionalität, ein Witwer mit vier Kindern, der die umflirtete Roz spontan in den Swimmingpool wirft, auf dem Tisch tanzt und sie schon mal vorsorglich zu Flitterwochen einlädt.

Sie malt sein systematisches Besitzergreifen, wie er sie zunehmend für sich und seine Familie einspannt, ihr den eigenen Job ausredet, ihre Frisur, Figur, Kleidung, ihre gesamte Person immer wieder abwechselnd anhimmelt und dann wieder tief verachtet und in Frage stellt. Sie bebildert ihre wachsende Verunsicherung und ihren Wunsch, ihn und seine (Alkohol-)Probleme zu verstehen und zu heilen.

Als die Familie schon ziemlich zerrüttet ist, der Hund tot, ein Kind sich die Pulsadern aufschneiden wollte und Brians Nebenbeziehungen mit anderen Frauen entdeckt sind, geht Roz endlich zu einer Therapeutin. Die erklärt ihr den Suchtcharakter ihrer Beziehung, das Stockholm-Syndrom, dem sie erlegen ist, und was das mit ihrer Kindheit zu tun hat, in der sie auch „aus Liebe“ geschlagen wurde.

Die einfache, fast schulbuchbrave Bildersprache fügt der Geschichte die entscheidende eigene Qualität hinzu: Die Wahrnehmung der Ich-Erzählerin ist in dieser besonderen Hinsicht eine kindliche geblieben, deshalb illustrieren die Bilder mehr als nur die gruselige Geschichte, sie zeigen das „kindliche Gemüt“, das nicht nur die Erzählerin in diesen Gefühlsdingen ist. Eher ist es ja eine universelle Eigenart der Gefühle, dass sie eben aus der Kindheit in das jetzige Leben hineinragen und sich oft über Bilder stärker ausdrücken als über Sprache. „Ich habe mich instinktiv dem Zeichnen zugewendet, weil ich nicht fassen konnte, was mit mir geschah“, sagt die Autorin. Das ist die Chance, die sie auch den BetrachterInnen ihres Buches bietet.

Rosalind B. Penfold: „Und das soll Liebe sein? Geschichte einer bedrohlichen Beziehung“. Eichborn Verlag, Frankfurt 2006, 265 Seiten, 16,90 €