Murat Kurnaz muss neu laufen lernen

Die Mutter des aus Guantánamo entlassenen Bremers berichtet erstmals über die Verfassung ihres Sohnes

BREMEN taz/dpa ■ Laut seiner Mutter befindet sich Murat Kurnaz, ehemaliger Guantánamo-Häftling aus Bremen, in körperlich guter Verfassung. Allerdings falle Kurnaz „das Laufen sehr schwer“, sagte Rabiye Kurnaz in einem Interview im NDR-Fernsehen. Dies komme vermutlich daher, dass er in der Gefangenschaft dauernd gefesselt gewesen war. Er sehe gut aus, habe jedoch von den Fesseln „rosa Stellen“ an den Handgelenken.

„Im Moment ist er sehr verschlossen, braucht viel Ruhe. Die meiste Zeit verbringt er in seinem abgedunkelten Zimmer“, berichtete die Mutter des 24-Jährigen. Die Familie sei momentan glücklich, dass ihr Sohn zurückgekehrt sei, und wolle ihn nicht mit Fragen bedrängen. Während seiner Haftzeit habe er sich einen langen Bart und lange Haare wachsen lassen.

Ihr Sohn habe nach seiner Rückkehr zunächst das Haus erkundet und mit Kindern aus der Nachbarschaft gespielt. Mehrfach habe er sie gebeten, mit seinen alten Freunden sprechen zu können. „Er vermisst die Stimmen von Kindern.“ Sie weise Besuch für ihn allerdings an der Tür ab. Die Verfassung ihres Sohnes erfordere „viel Ruhe und Dunkelheit“. Berichten zufolge war während Kurnaz’ 48-monatiger Haftzeit seine Zelle stets mit grellem Neonlicht erleuchtet.

Kurnaz’ Anwalt Bernhard Docke hält es für „ausgeschlossen“, dass die psychischen Schäden, die seinem Mandanten zugefügt worden seien, wieder gutzumachen sind. „Man hat ihm die Unbeschwertheit seines Lebens geraubt und ihn ein Stück weit gebrochen. Während der ganzen Zeit wusste er nie, ob er seine Eltern je wiedersehen wird.“ Dies werde ihn vermutlich sein ganzes Leben zeichnen.

Docke äußerte Unverständnis darüber, dass die damalige rot-grüne Bundesregierung im Herbst 2002 ein Angebot der US-Regierung ausschlug, Kurnaz vorzeitig zu entlassen. „Wir wissen, dass dieses Angebot vorgelegen hat. Dadurch, dass die Bundesregierung Kurnaz nicht zurückgeholt hat, trägt sie die Mitschuld an der langen Dauer der Inhaftierung von Murat Kurnaz“, sagte der Anwalt.

Docke forderte, der BND-Untersuchungsausschuss des Bundestags und der des EU-Parlaments müssten die Gründe aufklären. Auf dieser Basis sei auch eine Schadenersatzklage gegen die Bundesrepublik Deutschland denkbar. Docke erwägt zudem eine Klage gegen die US-Regierung. Dies, sagte er, werde aber „kein Spaziergang“ werden.

Die Familie Kurnaz will vorerst in Bremen bleiben: „Wir haben hier ein Haus und Arbeit. Im Moment haben wir nicht vor, wegzugehen“, sagte Rabiye Kurnaz. CHRISTIAN JACOB