„Schockierend und völlig unmoralisch“

UNO kritisiert Israels Einsatz von Streubomben im Südlibanon, als Waffenstillstand schon feststand

STOCKHOLM taz ■ Als „schockierend und vollständig unmoralisch“ hat der UN-Nothilfe-Koordinator, der Norweger Jan Egeland, den israelischen Einsatz von Streubomben beim Krieg gegen die Hisbollah im Libanon kritisiert. Speziell verwerflich sei die Tatsache, dass Israel 90 Prozent der eingesetzten Streubomben in den letzten 72 Stunden vor Inkrafttreten des Waffenstillstands abgeworfen habe. Also in einer Zeit, als das Ende der Kämpfe bereits feststand.

Cluster- oder Streubomben sind Bomben, die ihrerseits bis zu mehrere hundert kleine, etwa tennisballgroße Explosivkörper enthalten, die von der „Mutterbombe“ in alle Richtungen freigesetzt werden. Es sind keine Präzisionswaffen. Sie sollen ihre explosive Ladung vielmehr über einen möglichst großen Bereich streuen. Um nennenswerten militärischen Sachschaden anzurichten, ist ihre Ladung zu klein. Sie zielen vielmehr darauf ab, die sich in ihrem Explosionsradius aufhaltenden Menschen zu töten, zu verletzen oder zu verstümmeln. Da viele – im Schnitt über 5 Prozent – der Sprengkörper nicht sofort explodieren, stellen sie ähnlich wie Minen bis zu ihrer Entschärfung eine latente Gefahr dar. Beispielsweise für Kinder, die die meist auch noch bunt gefärbten „Bombletten“ für Spielzeug halten können.

Laut Egeland waren zuletzt am Mittwoch im Libanon drei Kinder durch explodierende Submunition einer Clusterbombe umgekommen, seit Beginn des Waffenstillstands mindestens ein Dutzend Menschen. Die UN hätten bislang an 359 Stellen im Libanon zusammen etwa 100.000 undetonierte, von Clusterbomben ausgestreute Explosivkörper registriert. Es seien weite Gebiete, darunter große Teile landwirtschaftlicher Anbauflächen, aber auch viele Wohngebiete betroffen. Egeland: „Es ist ein Skandal, dass wir rund 100.000 nicht explodierte Bomben dort haben, wo Kinder, Frauen, Zivilisten und Bauern sich nun täglich bewegen. Es wird Monate, vielleicht Jahre dauern, sie alle zu entschärfen.“

Da die UN erst ganz aktuell eine Übersicht über den israelischen Streubombeneinsatz gewonnen hätten, sei Israel noch zu keiner Stellungnahme aufgefordert worden, sagte Egeland. Israel wies die UN-Anschuldigungen am Donnerstag in allgemeiner Form zurück: „Alle von den israelischen Streitkräften eingesetzten Waffen und Munitionen sind nach internationalem Recht legal“, heißt es in einer Erklärung der israelischen Armee. Der Einsatz von Streubomben gegen militärische Ziele ist völkerrechtlich nicht verboten. Ihr Einsatz wird aber seit langem kritisiert. Die norwegische Regierung kündigte gestern eine Initiative mit dem Ziel eines internationalen Verbots an. Das US-State-Department hatte bereits zu Anfang dieser Woche eine Untersuchung eingeleitet, ob diese Waffen von Israel so wie vereinbart, nämlich „vorwiegend gegen militärische Ziele“, eingesetzt worden seien. Die von Egeland behaupteten umfangreichen Streubombenfunde in Wohngebieten sprechen allem Anschein nach dagegen.

REINHARD WOLFF