Aufwallungen um den Kulturstrategen

Der Antiheld im Berliner Kulturbetrieb: Thomas Flierl, Berlins PDS-Kultursenator und Opernreformer, wird von Skandalen und öffentlicher Kritik verfolgt. Vor allem die Ost-West-Debatten verliefen für ihn oft schmerz- und verlustreich. Dabei sieht seine kulturpolitische Bilanz sonst gar nicht so schlecht aus

VON ROLF LAUTENSCHLÄGER

Berlins Kultursenator ist neuerdings mit einer eigenen Website im Netz vertreten. Ein Klick auf www.thomas-flierl.de und weichgezeichnete Fotografien zeigen einen gebräunten, erholten und lächelnden Flierl. Auch die Texte sind locker flockig und nicht jenes akademisch-verschachtelte Deutsch, das der Senator sonst redet. Der umstrittenen PDS-Kulturpolitiker im rot-roten Senat braucht Publicity im Endspurt des Wahlkampfs.

Denn in der Realität hat Thomas Flierl derzeit nichts zu lachen. Weil Ernst Ludwig Kirchners berühmte „Berliner Straßenszene“ aus dem Jahr 1913 jüngst vom Land an die Erben der einstigen jüdischen Besitzer zurückgegeben wurde, steht er im Fadenkreuz expressiver Aufwallungen. Von Dilettantismus, von Verrat und Schaden für die Museums- und Kunstmetropole ist die Rede, obgleich Flierl das Kirchner-Bild nach den gültigen Regeln der Wiedergutmachung NS-geraubter Kunst abgegeben hat, ja, hat zurückgeben müssen. Lehnten doch die Erben in den Verhandlungen um das Bild jede Entschädigung oder einen Verkauf ab.

Es ist deshalb keine Rhetorik, wenn Flierl von einem „schmerzlichen“ Verlust für das Brücke-Museum und Berlin spricht. Nur, das glaubt in Berlin dem Senator aus dem Ostteil der Stadt kaum keiner – wie in den fünf Jahren Amtszeit dem ersten PDS-Kultursenator in der Republik mehr ein Misstrauen als Beifall, mehr ideologische Vorbehalte als Vertrauen entgegengebracht wurden. Ergo ist auch offen, ob Flierl nach der Landtagswahl am 17. September wieder als Kultursenator im Kabinett von Klaus Wowereit (SPD) sitzen wird. Ja mehr noch, vieles spricht dagegen – trotz eindrücklicher Erfolge in seiner Amtszeit.

Warum dem 49 Jahre alten Exmitarbeiter der Akademie der Wissenschaften mit SED-Vergangenheit die kulturpolitischen Resultate so wenig politische und persönliche Fortune einbrachten, ist evident. Flierls kluge Meisterstücke – der Erhalt der drei großen Berliner Opernhäuser samt Gründung der Opernstiftung, die Sicherung des 10 Millionen Euro dicken Hauptstadtkulturvertrags mit dem Bund, der Neubau für die Berlinische Galerie, das Engagement für den modernen Tanz, die Freie Szene und die Berliner Mauer sowie Gedenklandschaft – sind allesamt mit dem Makel der Strukturveränderung (Opern, Orchester), harter Finanzvorgaben und -einschränkungen (Theater) oder schwieriger Kompromisse (Gedenkkultur) behaftet.

Dass Sanierung statt Glamour noch nie gut in Berlin ankam, hat den Senator indessen nicht gejuckt: Anstatt wie viele seiner Vorgänger ungedeckte Schecks und gute Laune en masse zu verteilten, beharrte der kulturelle Antiheld stets auf Sparsamkeit, sprödem Ostcharme, intellektuellem Diskurs und seiner Abneigung gegenüber unsinnigen PR-Auftritten. „Ich habe eine andere Vorstellung von Politikstil“, sagte der promovierte Geisteswissenschaftler zum Amtsantritt 2002.

Partykönig Wowereit stieß er damit ebenso vor den Kopf („Wir ticken eben anders“) wie die eigenen linken Parteifreunde, die skeptisch Flierls Credo vom „Umbau der Berliner Kultur- und Universitätslandschaft“ beäugten.

In wirkliche Nöte aber haben den „verkopften Kulturstrategen“, wie eine seiner Vorgängerinnen einmal ätzte, aber Ungeschick, undiplomatische Entscheidungen und Kontroversen gebracht. Die rüde Entlassung von Intendanten an der Deutschen Oper und am Maxim-Gorki-Theater sowie die Neubesetzung einiger Bühnen, der Opernstiftung und des Kommunalen Kinos mit Theater- beziehungsweise Filmleuten mit Ostbiografie brachte Flierl verlustreiche Ost-West-Debatten besonders im bürgerlichen Charlottenburg ein. Auch sein Plädoyer für den Erhalt des Palastes der Republik als Kulturstandort wurde als Ost-Reminiszenz gedeutet.

Ebenso unversöhnlich war das alte Westberlin, als Flierl 2004/5 die defizitären Berliner Symphoniker abwickelte – was ihm als ähnlich schlimmes Verbrechen wie einst die Schließung des Schillertheaters 1993 angekreidet wurde. Schließlich erschütterte Flierl 2006 die Berliner Öffentlichkeit, als er bei einer Diskussionsrunde den Auftritt alter Stasi-Kader nicht in die Schranken wies, sondern umständlich drum herumredete. Und nun Kirchner!

Selbstbewusst und mit relaxter Pose hat Flierl kürzlich eine „positive Bilanz“ seiner Kulturpolitik gezogen und Ausblicke riskiert – wohl wissend, wie es um die Wiederwahl steht: Wowereit und die SPD bevorzugen den eigenen Kandidaten André Schmitz. Die vielen Attacken auf ihn und seine Amtsführung münzt Flierl – ironiesicher – im Wahlkampf sogar um: Auf der netten Website ist auch zu lesen: „Kein Senator der rot-roten Landesregierung wird in der Öffentlichkeit so kontrovers wahrgenommen wie ich“, steht da. Schon dies zeige, wie bedeutsam und zentral das Amt durch ihn geworden sei, sagt Flierl dazu.