Isländischer Staudamm auf wackeligem Boden

Island baut den höchsten Staudamm Europas – mitten in einem Erdbebengebiet. Regierung verschwieg dem Parlament vor dem Baubeschluss die Risiken. Gegner rufen zu weltweiten Aktionstagen auf

STOCKHOLM taz ■ Europas höchster Staudamm, der isländische Kárahnjúkar-Damm, steht auf wackeligen Beinen: in einem Gebiet mit hohem Erdbebenrisiko. Der Regierung in Reykjavík war das Problem zwar durchaus rechtzeitig bekannt. Dem Parlament enthielt sie diese Information jedoch wohlweislich vor, als dieses den Bau abzusegnen hatte.

Der 190 Meter hohe Damm im Osten des Landes ist mittlerweile fast fertiggestellt. Nach jetzigen Plänen soll noch in diesem Monat mit dem Füllen des Stausees begonnen werden. Der Riesenbau in einem der letzten unberührten Naturgebiete Europas dient ausschließlich der Versorgung eines Aluminiumschmelzwerks des US-amerikanischen Alcoa-Konzerns mit Billigstrom.

Das Bauprojekt hatte seit Bekanntwerden der ersten Pläne Proteste in In- und Ausland hervorgerufen. UmweltschützerInnen beschuldigen die isländische Regierung, die Naturschätze des Landes für die Produktion von Getränkedosen zu opfern. Sogar die Europäische Investitionsbank (EIB) zog sich aus der Finanzierung des Projekts zurück. Nahezu während der gesamten zweijährigen Baudauer gab es Aktionen von DammgegnerInnen vor Ort. Doch hatten diese genauso wenig Erfolg wie der Versuch, den Bau gerichtlich zu stoppen. Allerdings war damals noch nicht bekannt, dass die isländische Regierung das Parlament getäuscht hatte, als dieses grünes Licht für den Bau gab.

Der damaligen Industrie- und jetzigen Außenministerin Valgeršur Sverrisdóttir war vor der entscheidenden Abstimmung eine Alarmmeldung auf den Tisch gekommen, die sie aber lieber für sich behielt: Im fraglichen Gebiet hatte es noch nach der letzten Eiszeit vulkanische Aktivitäten gegeben. Die gesamte Zone gilt damit als Erdbebenrisikogebiet.

Dies war nicht einmal dem Bauherrn bekannt, dem teilweise staatlichen Elektrizitätsunternehmen Landsvirkjun, als er die Investition beschloss. Doch merkte man bei Landsvirkjun schnell, dass irgendetwas nicht stimmte. Bei den Bauarbeiten wurden immer neue Felsspalten entdeckt, in die man große Mengen Zement pumpen musste, um den Boden des künftigen Staubeckens einigermaßen abzudichten.

Nun fordert die Linksopposition im isländischen Parlament nicht nur den Rücktritt der damals zuständigen Ministerin, sondern auch eine gänzlich neue Risikoanalyse – und zwar bevor hinter dem Damm das Wasser aufgestaut werden darf. Sigurdur Arnalds, Sprecher des Kárahnjúkar-Projekts gibt zu, dass aufgrund neuer Erkenntnisse geologische Verschiebungen im Staudammgebiet nun tatsächlich als wahrscheinlicher gelten müssen. Doch halte man auch bei möglichen seismischen Aktivitäten den Damm für sicher.

Die Umweltschutzgruppe Saving Iceland hat nun zu weltweiten Aktionstagen gegen Island und den Alcoa-Konzern aufgerufen. „Wo immer in der Welt ihr seid, es wird dort ein Ziel geben, wo ihr euren Protesten Ausdruck verleihen könnt“, heißt es auf der Website der Organisation, seien es „isländische Botschaften, Konsulate oder die am Projekt beteiligten Unternehmen Alcoa, Bechtel und Impregilo“. Erste Proteste fanden bereits am Freitag statt; der nächste Protesttag ist am 15. September.

REINHARD WOLFF

www.savingiceland.org