Alles, was fehlt

Wer dachte, die Sat.1-Telenovelas seien arg simpel, wird bei der neuen RTL-Soap „Alles was zählt“ sein blaues Wunder erleben (Mo.–Fr., 19.05 Uhr)

Es bleibt einem nichts übrig, als entsetzt den humorfreien Dialogen zu lauschen

VON PEER SCHADER

Nein, Essen ist nicht mutig. Berlin wäre mutig gewesen, dann hätte man gleich neben den Kollegen von „Verliebt in Berlin“ in Adlershof drehen können, zusammen Mittag machen und darüber scherzen, wer heute wieder die höheren Quoten haben wird. Aber jetzt spielt die neue RTL-Telenovela – pardon: die neue RTL-Soap – eben in Essen, weil man dort den Kontrast zwischen Arm und Reich so gut herausarbeiten könne, behaupten sie beim Sender. Gedreht wird in Köln. Es ist eben alles nur Show.

Heute Abend eröffnet RTL mit „Alles was zählt“ den Kampf gegen die Sat.1-Telenovelas am Vorabend, ziemlich genau anderthalb Jahre zu spät, aber doch zu einem clever gewählten Zeitpunkt. Am Freitag verabschiedeten sieben Millionen Zuschauer Lisa Plenske in die Flitterwochen, heute sollen sie von Nachfolger Tim Sander für Sat.1 wieder vor den Schirm geholt werden – und RTL hält prompt mit dem Ex-Eislaufsternchen Tanja Szewczenko dagegen. Die Zuschauer müssen sich entscheiden: „Alles was zählt“ startet um 19.05 Uhr, wenn auf Sat.1 „Schmetterlinge im Bauch“ läuft und zehn Minuten danach das neue „Verliebt in Berlin“ losgeht.

Wie dieser alberne Kampf ausgeht, wird sich in den kommenden Wochen zeigen. Schon jetzt steht fest: Er wird mit denselben Mitteln ausgefochten. Und wer schon „Schmetterlinge im Bauch“ arg simpel und konstruiert fand, der wird heute auf RTL sein blaues Wunder erleben.

Ex-„Unter uns“-Star Tanja Szewczenko spielt Diana, die als Inline-Kurier arbeitet, eigentlich aber Eiskunstläuferin werden will. Durch Zufall wird sie vom attraktiven Marketingchef eines Fitness-„Imperiums“ (wie sie bei RTL sagen) auf dem Eis beobachtet, für ein Werbefilmchen engagiert und gleich wieder rausgeschmissen, weil ihre Gegenspielerin, die erfolgreiche Freundin des Marketingchefs, alles unternimmt, um sich die Konkurrenz vom Leib zu halten.

Egal wie eisern RTL an der Behauptung festhält, „Alles was zählt“ sei eine echte Neuerung – eigentlich ist auch diese dritte tägliche Serie bloß ein Aufguss bisher da gewesener Soap- und Telenovela-Stilmittel. Aber was hätten sie bei Grundy-Ufa auch tun sollen? Die Berliner produzieren seit gefühlten 60 Jahren „GZSZ“ für RTL, haben für Sat.1 dann „Verliebt in Berlin“ gezaubert und müssen dies nun mit einer weiteren Serie für RTL torpedieren. Erfolg kann so grausam sein.

Doch während man „Verliebt in Berlin“ zugestehen muss, eine gewisse Grundsympathie transportiert zu haben, bleibt einem bei „Alles was zählt“ nichts anderes übrig, als entsetzt den völlig humorfreien Dialogen zu lauschen: „Echte Traummänner sind so selten wie ein Sechser im Lotto“, sagt Dianas beste Freundin Annette, und Diana erwidert: „Irgendwann wird jeder Jackpot mal geknackt.“ Ein anderes Mal besprechen die beiden Dianas vermasselte Eislaufkarriere, Annette will sie zu einem Neuanfang ermutigen: „Wenn ich daran denke, wie du damals beim Dortmunder Nachwuchspokal …“ – „Da war ich zehn“, sagt Diana, „und außerdem bin ich gestürzt, schon vergessen?“ – „Ja, wegen deinem bescheuerten Stiefvater!“ Das hat fast schon „Lotta in love“-Qualität. Gut, dass RTL zumindest in der Auftaktfolge dauernd Szenen mit Songs von Rosenstolz, Juli oder dem Nena-Ersatz Christina Stürmer (von der auch der Titelsong „Nie genug“ kommt) beschallt – sonst hätten sie sich im Autorengrundkurs noch mehr solcher Schrecklichkeiten ausdenken müssen.

Schon Wochen bevor überhaupt jemand die erste Folge sehen konnte, ist im Internet der „offizielle Fanclub“ zur Soap gestartet. Das zeigt zwar, wie sehr sich RTL den Erfolg wünscht, aber vielleicht hätten sie sich in Köln weniger um die aufwändige Präsentation und ein bisschen mehr um die Geschichte kümmern sollen. Zumindest nach der ersten Folge ist „Alles was zählt“ nun nämlich eine einzige große Enttäuschung.