Regierungsberater wollen ALG II kürzen

Die so genannten Wirtschaftsweisen raten der Regierung zu drastischen Einschnitten beim Arbeitslosengeld II. Doch bevor ihr brisantes Sondergutachten überhaupt ausgehändigt ist, versichert die SPD: „Das wird niemals Grundlage der Politik“

VON HANNES KOCH

Das Arbeitslosengeld II sei noch nicht niedrig genug, erklären die Wirtschaftsberater der Bundesregierung in einem neuen Sondergutachten. Um zusätzliche Stellen im Niedriglohnsektor zu schaffen, solle die Leistung um 30 Prozent gekürzt werden, empfehlen die so genannten Fünf Weisen in dem Papier, das sie am kommenden Freitag an Bundeswirtschaftsminister Michael Glos (CSU) übergeben.

Die umstrittene Idee gehört seit langem zu den Lieblingsforderungen liberaler Ökonomen. Sie fand sich schon in einem Gutachten der Wirtschaftsweisen aus dem Jahr 2002. Umgesetzt wird sie deshalb noch lange nicht. „Das wird niemals Grundlage der Politik“, hieß es gestern aus sozialdemokratischen Kreisen der Bundesregierung. Arbeitsminister Franz Müntefering (SPD) hatte kürzlich erklärt, das Minimum von pro Kopf 345 Euro monatlich nicht unterbieten zu wollen. „Wir werden diese Leistungen nicht kürzen“, sagte gestern auch Klaus Brandner, der arbeitsmarktpolitische Sprecher der SPD-Bundestagsfraktion. Eine gewisse Wirkung könnte das Gutachten trotzdem entfalten: Es erhöht den Kompromissdruck auf die SPD, der Union in Richtung Niedriglohnsektor entgegenzukommen.

Die ökonomische Logik der Gutachter funktioniert so: Wenn das staatlich garantierte Existenzminimum sinkt, sind mehr Arbeitslose bereit, sehr schlecht bezahlte Stellen in der Wirtschaft anzunehmen. Es geht dabei um Jobs in der Preisklasse von zwei bis fünf Euro pro Stunde. Damit die Niedriglöhner nicht verhungern, würde ihnen der Staat einen ergänzenden Zuschuss gewähren, der ihr Einkommen insgesamt wieder auf das Existenzminimum anhebt. In der Union werden solche Ideen als „Kombilohn“ bezeichnet.

Laut einem Bericht der FAZ würden Beschäftigte, die zwischen 200 und 800 Euro Lohn im Monat nach Hause bringen, öffentliche Zuschüsse erhalten. Die ganze Operation soll nicht nur dazu dienen, den Anreiz für schlecht bezahlte Arbeiter zu erhöhen, sondern auch die Unternehmen animieren, solche Stellen anzubieten. 350.000 zusätzliche Jobs könnten dadurch entstehen, haben die Fünf Weisen mit ihren Computermodellen errechnet.

Eine spannende Frage ist freilich, was mit all jenen Empfängern des gekürzten Arbeitslosengeldes II passiert, die auf dem Markt keine neuen Niedriglohn-Jobs finden können. Ihnen müsse der Staat eine gemeinnützige Tätigkeit und ein zusätzliches Salär anbieten, damit auch sie wieder das Existenzminium erreichen, argumentieren die Gutachter.

Dass das funktioniert, bezweifelt allerdings selbst Stefan Müller, Arbeitsmarktpolitiker der Union. Millionen gemeinnütziger Stellen stünden bei den Kommunen nicht zur Verfügung, vermutet Müller. Außerdem würde diese Art öffentlicher Beschäftigung viel Geld kosten, das die Städte nicht haben, sagen Experten. „Eine unkonditionierte Kürzung“ des Arbeitslosengeldes II lehnt daher auch Unionspolitiker Müller ab. „Im Gesamtzusammenhang“ betrachtet er das Gutachten der Fünf Weisen allerdings als „interessanten Vorschlag“.