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: Verzaubert mit einfachsten Mitteln

Kein deutsches Kino spielt die vertrackten Märchen des Eugène Green. Man muss sie sich als DVD bestellen. Es lohnt sich

Gut gebrüllt, Löwe! Nur ist der Löwe, einzig ein Blinder sähe es nicht, ein Hund. Und der Löwenritter (Alexis Loret) ein junger Mann in Jeans, der ein Schwert am Gürtel trägt. Einander begegnen auf einem Pfad im Wald besagter Löwenritter und ein anderer junger Mann namens Nicolas (Adrien Michaux). Der andere trägt kein Schwert am Gürtel. Man bleibt stehen, man grüßt sich in etwas altertümlichem Französisch, fragt, wohin es geht, und schreitet dann gemessenen Schritts weiter durch die verwunschene Welt von Eugène Greens zweitem Film „Le monde vivant“ (2003).

Green kam spät zum Film. Er hat Bücher zum Theater des Barock verfasst, in den späten 70er-Jahren eine Theatertruppe gegründet, mit der er barocke Dramen inszenierte, und war dann, schon deutlich über fünfzig, der Meinung, dass er dem Kino etwas zu geben hat. Seither gibt er dem Kino, hat mit aus der Zeit gefallenen Solitären wie „Toutes les nuits“ (2001) oder „Le pont des arts“ (2004) Bewunderer gefunden, wenn auch kein breites Publikum. Schon gar nicht bei uns. Kein deutsches Kino spielt Eugène Green. Jetzt aber gibt es alle drei bisher entstandenen Spielfilme auf DVD, man muss sie aus Frankreich bestellen, immerhin haben sie englische Untertitel.

Unübersehbar ist die Nähe von Greens Filmsprache zu der von Robert Bresson. Es gibt keine falsche Bewegung, weder der Kamera noch der Darsteller. Diese sprechen ihre Texte ohne Emphase. Allerdings arbeitet Green sehr wohl – anders als Bresson – mit Schauspielern, gerne mit immer denselben, er hindert sie nur am Schauspielern. Oft löst er Dialoge so auf, dass die Darsteller frontal in die Kamera blicken, in Schuss und Gegenschuss. Green vertraut dem Wort und dem Bild und der Buchstäblichkeit. Oder auch der Buchstäblichkeit, mit der das Wort das, was man sieht, zu etwas anderem macht. Darum ist der Löwe ein Hund, der mit Löwenstimme brüllt.

Verzaubert wird die Welt mit den einfachsten Mitteln. Einmal steht Nikolas vor einem Turm. Man sieht nur eine Hand, die aus dem Turmfenster hängt. Dann ein Schnitt auf Nicolas’ Füße, er steht auf Zehenspitzen, und man sieht, wie sie sich vom Boden lösen und aus dem Bild verschwinden. Die Kamera bleibt unbewegt, das Bild ist leer. Nicolas fliegt. Das sehen wir nicht, aber es kann nicht anders sein. Im nächsten Bild in einer Großaufnahme die Hand, die aus dem Fenster hängt. Von unten nähert sich eine andere Hand, es ist die von Nicolas, er schwebt heran, Hand schmiegt sich in Hand.

Die beiden Ritter sind ausgezogen, Frauen zu retten, die durch das Wort, das sie ihm gegeben haben, an einen furchtbaren Oger gebunden sind. Vom Oger sehen wir nur die haarige Rückenpartie, eine grünliche Hand hier, einen grünlichen Fuß da. Wir hören sein entsetzliches Schmatzen beim Verspeisen von Kinderfleisch aus der Tiefkühltruhe (genauer gesagt: von vermeintlichem Kinderfleisch). Die schöne Frau des Ogers heißt Penelope (Christelle Prot), sie strickt, nicht von Freiern bedrängt, sondern vom Ehemann. Der Löwenritter ist gekommen, sie zu erlösen.

Das sind natürlich Geschichten nicht von dieser Welt. Ein Märchen, aber nicht im Märchenton, sondern à la Bresson. Anders allerdings als bei Bresson mit zahlreichen Akzenten freiwilliger Komik. Zwischen dem Lachhaften und dem Erhabenen hält „Le monde vivant“ die erstaunlichste Balance. Einstellung, Schnitt, Wort, Spiel: weiterer Special Effects bedarf das Kino nicht. EKKEHARD KNÖRER

Die DVD kann für rund 20 Euro bei www.amazon.fr bestellt werden. Dort gibt es auch Eugène Greens Filme „Toutes les nuits“ und „Le pont des Arts“.